Jede Serie geht irgendwann einmal zu Ende. Mercedes musste dies im Qualifying zum Großen Preis von Singapur besonders schmerzhaft am eigenen Leib erfahren, schließlich ging die Pole Position zum ersten Mal seit 23 Rennen nicht an einen Silberpfeil-Piloten. Lewis Hamilton und Nico Rosberg kamen nicht über die Startplätze fünf und sechs hinaus, da Ferrari und Red Bull den Trend des bisherigen Wochenendes bestätigten und die ersten beiden Startreihen unter sich ausmachten.

Ganz besonders glänzte unter den rund 1.600 Scheinwerfern, die den Marina Bay Circuit illuminieren, Sebastian Vettel, der sich seine erste Pole Position in Diensten von Ferrari sicherte. "Das Setup im Qualifying war sehr gut. Wir haben das absolute Maximum aus dem Auto geholt", strahlte der Heppenheimer über das ganze Gesicht.

Mercedes kämpft mit den Reifen

Dass Ferrari in Singapur auftrumpft, kommt nicht völlig überraschend. Zum einen fühlt sich Vettel beim Nachtrennen von Haus aus pudelwohl und gewann drei der bisherigen sieben Auflagen, und zum anderen liegen dem SF15-T die langsamen Kurven, in denen viel Grip gefragt ist, um optimal zu beschleunigen.

Mercedes verpasste den Sprung in die Top-3, Foto: Sutton
Mercedes verpasste den Sprung in die Top-3, Foto: Sutton

Ganz ähnlich verhält sich die Sache bei Red Bull, wo man nach den Power-Strecken von Spa und Monza regelrecht Singapur entgegenfieberte. Um nichts dem Zufall zu überlassen, wurden beim letzten Rennen sogar Strafen für Motorwechsel in Kauf genommen, nur um in Singapur mit frischen Aggregaten antreten zu können.

Diese Vorgehensweise sollte sich bezahlt machen: Daniel Ricciardo stellte den RB11 zum ersten Mal überhaupt in die erste Startreihe und unterstrich damit, dass die Aerodynamik weiterhin Red Bulls Steckenpferd ist. "Es ist eine Überraschung, dass kein Mercedes hier oben ist", war der Australier durchaus verblüfft, keinen Silberpfeil-Fahrer bei der Pressekonferenz zu sehen.

Dass Mercedes in Singapur nur die dritte Geige spielen könnte, zeichnete sich bereits am Freitag ab, als die Konkurrenz jedoch mehrheitlich noch damit gerechnet hatte, die Silberpfeile würden bluffen und Leistung zurückhalten. Doch dem war nicht so. Während Ferrari und Red Bull im Verlauf der Sessions sukzessive zulegen konnten, wie aus dem Diagramm deutlich hervorgeht, verrannte sich Mercedes beim Setup, was in Q3 einen Rückstand von fast anderthalb Sekunden auf die Bestzeit zur Folge hatte.

"Es scheint, als ob wir irgendwo beim Setup oder unserer Herangehensweise an das Wochenende die falsche Richtung eingeschlagen hätten", erklärte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Das Problem waren die Reifen, die Hamilton und Rosberg einfach nicht zum Arbeiten bekamen. "Ich hatte heute Spaß, aber uns fehlte einfach die Pace", meinte WM-Leader Hamilton, der es verpasste, seine achte Pole Position in Serie zu erzielen und damit Ayrton Sennas Rekord einzustellen.

Statistik spricht für Vettel

Die Aussichten für das Rennen sind für Mercedes nicht die besten, dürfen aufgrund der Parc-fermé-Bestimmungen zwischen Qualifying und Rennen an den Boliden bekanntlich nur mehr geringfügige Änderungen vorgenommen werden. Hamilton und Rosberg müssen also mit ihrem suboptimalen Setup in den Grand Prix gehen.

Auch das Layout des Marina Bay Circuit spricht nicht wirklich für eine silberne Aufholjagd. Der winkelige Kurs bietet wenige Überholmöglichkeiten, weshalb die Pole Position statistisch gesehen bereits mehr als die halbe Miete ist. Nur zwei Mal gewann in Singapur ein Pilot, der nicht vom ersten Platz startete: Fernando Alonso 2008 (Startplatz 15, begünstigt durch die Crash-Gate-Affäre) und Vettel 2012 (Startplatz drei).

Es deutet somit viel auf ein Duell zwischen Ferrari und Red Bull, vermutlich in Person von Vettel und Ricciardo, um den Sieg hin. Am Freitag hinterließ Red Bull bei den Longruns auf den superweichen Reifen, die im Grand Prix wohl die erste Wahl darstellen werden, den etwas besseren Eindruck, sodass Ricciardo gegenüber seinem Ex-Teamkollegen Vettel gewiss nicht als Außenseiter ins Rennen geht.

Mercedes konnte das Tempo der Gegnerschaft hingegen nicht mitgehen. "Wie es jetzt aussieht, auch nach den Longruns, sind wir bisschen im Niemandsland. Red Bull war am Schnellsten auf dem Longrun, dann folgten Ferrari und wir", analysierte Toto Wolff das Kräfteverhältnis.

Ricciardo rechnet mit Duell mit Vettel

Dennoch, abschreiben sollte man die Silberpfeile trotz der wenig erbaulichen Ausgangslage nicht, denn Singapur steht nahezu synonym für turbulente Rennen und verfügt über eine Safety-Car-Garantie. Zudem könnte auch über die Strategie etwas gehen. Zwar planen die meisten Teams mit drei Stopps, zwei sind allerdings nicht unmöglich. Gerade Hamilton könnte in Anbetracht seines großen Vorsprungs in der Weltmeisterschaft etwas mehr Risiko nehmen.

Gelingt Ricciardo der große Wurf?, Foto: Sutton
Gelingt Ricciardo der große Wurf?, Foto: Sutton

"Ich persönlich erwarte nicht, dass wir besser performen, sollte es keine Zwischenfälle oder eine sehr gutes Leistung von Lewis oder Nico geben. Man kann nie wissen, aber Singapur ist Strecke, auf der man schwer überholen kann und wo man auf Bremsen achten muss", rechnet Wolff jedenfalls nicht mit einem vollen Erfolg im südostasiatischen Stadtstaat.

Im Lager der Scuderia Ferrari herrscht hingegen Zuversicht vor. "Wir stehen nicht irgendwie aus glück oder Zufall da vorne sondern haben uns das heute sehr verdient und deswegen sollten wir auch morgen gut unterwegs sein", ist Vettel optimistisch, seine imposante Erfolgsserie in Singapur weiter ausbauen zu können.

Dagegen hat naturgemäß sein Ex-Teamkollege Ricciardo etwas. "Betracht man gestern, sind wir so gut wie Ferrari", nahm der Australier, für den Singapur die größte Siegeschance der Saison darstellt, auf die Longrun-Pace Bezug. "Für mich waren wir beide die Schnellsten - Seb war ziemlich ähnlich wie ich", so Ricciardo weiter. "Wenn das morgen auch so ist, wird es ein lustiges Rennen an der Spitze und könnte eine Art Katz- und Mausspiel mit der Strategie werden."

Doch vielleicht kommt ja auch alles ganz anders und nicht Vettel und Ricciardo, sondern ihre Stallgefährten Kimi Räikkönen und Daniil Kvyat setzen aus der zweiten Startreihe zum großen Wurf an. Ein hochspannender Grand Prix scheint garantiert.