Mercedes veranstaltet am späten Samstagnachmittag traditionell eine Medienrunde mit Toto Wolff, Lewis Hamilton und Nico Rosberg. Beim ungewöhnlichen Singapur-Zeitplan fiel die Fragestunde ausgerechnet auf die Geisterstunde. Geister müssen in Singapur beteiligt gewesen sein, schließlich bekamen Nico Rosberg und Lewis Hamilton im Qualifying 1,4 Sekunden von Sebastian Vettel aufgebrummt.

Dabei dominierten die Silberpfeile die Saison bisher nach Belieben. Bei zwölf von zwölf Rennen stand ein Mercedes auf Pole, im Rennen gab es nur zwei Niederlagen die unter nicht ganz normalen Umständen zustande gekommen waren. Und plötzlich sind da sie Startplätze fünf und sechs.

"Was lief falsch?", lautete die erste Frage an Wolff. "Das ganze Wochenende", die ehrliche Antwort des Österreichers. "Von der ersten Ausfahrt am Freitag an haben wir gemerkt, dass wir Probleme haben und seitdem ging es nur nach hinten." Nico Rosberg wurden die Augen erst am Samstag geöffnet. "Als Sebastian in FP3 seine erste Runde auf den Softs gefahren ist. Ich dachte, er wäre sie auf Supersofts gefahren. Von da an habe ich die Notsituation erkannt."

Mercedes stochert im Dunkeln

Singapur läuft für Mercedes durchwachsen, Foto: Sutton
Singapur läuft für Mercedes durchwachsen, Foto: Sutton

Die erste Analyse von Toto Wolff klingt nicht besonders ermutigend. Es hört sich eher nach einem Stochern in der nicht ganz so dunklen Nacht von Singapur an. "Es sind viele Faktoren dafür verantwortlich, aber wir wissen nicht, was der Hauptfaktor dafür ist."

Viele vermuteten, dass Mercedes mit den angepassten Reifendrücken mehr zu kämpfen hatte als die Konkurrenz. Doch diese Theorie wiesen Wolff und die beiden Piloten entschieden zurück. Schließlich wurden die Drücke in Singapur auch nur sehr moderat angehoben. 18 PSI auf der Vorderachse, 17 PSI auf der Hinterachse - das ist lediglich ein PSI mehr als im vergangenen Jahr. "Und wir waren hier innerhalb der Limits", fügte Wolff an.

Weil auch die anderen Mercedes-Teams weiter hinter Ferrari und Red Bull liegen als noch zuletzt, glaubten manche auch an den Faktor Motor. Die Luftfeuchtigkeit in Singapur ist extrem. Ähnliche Bedingungen gibt es sonst nur in Malaysia. Dort gewann Sebastian Vettel. "Das hat wahrscheinlich einen Einfluss, aber das ist wahrscheinlich der kleinste von allen Faktoren", relativierte Wolff.

Mercedes sicher: Auto hat keine Performance verloren

An den Fahrern lag es jedenfalls nicht. "Lewis ist die gesamte Saison der beste Fahrer, am Fahrer und am Vertrauen ins Auto liegt es nicht. Man kann natürlich härter pushen, aber wenn Reifen und Grip nicht stimmen, dann fliegt man ab." Auch Lewis Hamilton sieht diesen Faktor natürlich als unrealistisch an: "Ich habe keine Performance verloren."

Sieht schnell aus, fühlt sich schnell an - ist es aber nicht, Foto: Sutton
Sieht schnell aus, fühlt sich schnell an - ist es aber nicht, Foto: Sutton

"Das Auto hat auch keine Performance verloren, also müssen es die Reifen sein", lautete die Schlussfolgerung des Briten. "Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was wir mit dem Team herausfinden." Weder Hamilton, noch Rosberg hatten Probleme mit der Balance. Selbst Rosberg, der im Qualifying in diesem Jahr oftmals mit Untersteuern zu kämpfen hatte, beklagte sich nicht darüber.

"Wenn ich die Rundenzeiten nicht sehen würde, würde ich denken, ist stehe auf Pole", meinte der Deutsche. Will heißen: Das Auto fühlt sich schnell an, ist es aber nicht. Lewis Hamilton verglich es mit dem Unterschied zwischen zwei Reifentypen: "Man kann die gleiche Runde mit Softs und mit Supersofts fahren. Sie fühlt sich gleich an, aber mit Supersofts ist sie anderthalb Sekunden schneller. Die Balance war heute gut, nur Traktion und Grip haben nicht gestimmt."

Die Piloten mussten sich im Debriefing die Onboard-Aufnahmen von Vettels Pole-Runde ansehen. Rosbergs Urteil: "Was zur Hölle? Der fährt in manchen Kurven wie auf einem anderen Planeten." Komplett unerwartet kommt die stärkere Konkurrenz nicht. Rosberg warnte bereits am Donnerstag vor Red Bull und Ferrari. "Deshalb bin ich nicht überrascht, dass sie da sind, aber ich bin überrascht, dass sie 1,4 Sekunden vor uns sind."

Reifen nicht im Arbeitsfenster

Als wahrscheinlichste Ursache für den Mega-Rückstand macht Mercedes die Reifen verantwortlich. Nicht die Reifen an sich, aber die Tatsache, dass sie nie den richtigen Sweet-Spot gefunden haben. "Und das ist neu", warnte Toto Wolff. Die Frage lautet: Warum fand Mercedes den Sweet-Spot nicht?

Schon vor jedem Grand Prix gibt es in den Fabriken umfangreiche Simulationen, um das Grundsetup für die jeweiligen Strecken herauszuarbeiten. Eigentlich eine Paradedisziplin von Mercedes. "Normalerweise kommen wir an und unser Auto funktioniert. Hier war es nicht so und es hat auch später nicht funktioniert."

Schon im vergangenen Jahr war Mercedes' Vorsprung auf die Konkurrenz in Singapur etwas kleiner als den Rest der Saison. Ein streckenspezifisches Problem also? "Das wäre der Fall, wenn wir weniger Vorsprung, aber nicht so eklatant viel Rückstand hätten", glaubt Wolff. "Aber ja, es ist schon eine schwierigere Strecke für uns."

Rosberg: Problem ist streckenspezifisch

Rosberg sieht den Übeltäter vor allem im Marina Bay Street Circuit. "Ja, ich glaube, dass es eher streckenspezifisch ist und nicht reifenspezifisch." Singapur hat die meisten Kurven im Rennkalender. Die Kurven sind größtenteils langsame 90-Grad-Knicke. Dazu kommt wegen des Nachtrennens, dass der Asphalt nicht viel wärmer ist als die Umgebung. Untypische Faktoren.

Auch die Longruns lassen Mercedes nicht auf große Sprünge im Rennen hoffen. "Wir dürfen keine Wunder erwarten. Wir waren bei den Longruns irgendwo im Niemandsland. Da lag Red Bull vor Ferrari und wir lagen irgendwo dahinter vor Williams", sagte Wolff. "Wenn keinen Unfälle passieren oder Nico oder Lewis nicht noch einen auspacken können wird es schwierig. Wir waren bei den Longruns wie heute auf fünf und sechs."

Die Fahrer sind für Sonntag noch etwas optimistischer. "Es gab schon Wochenenden, an denen wir im Qualifying nicht so gut waren, aber im Rennen dann", erinnert sich Rosberg. "Aber um den Sieg kämpfen? Das wird sehr, sehr schwer. Meine Aufgabe ist es, Lewis zu schlagen und er steht direkt neben mir. Wir müssen aber auch Punkte für das Team holen und auf Sebastian muss ich in der WM auch noch aufpassen."

Hamilton will noch gewinnen

Hamilton will das Rennen noch gewinnen, Foto: Sutton
Hamilton will das Rennen noch gewinnen, Foto: Sutton

Lewis Hamilton gibt sich wie immer kämpferisch: "Ich will das Rennen noch gewinnen, aber die Jungs vorne waren schneller und werden das wahrscheinlich auch im Rennen sein. Aber meine Einstellung ist auf Sieg."

Ist Singapur also nur eine Ausnahme oder doch ein Wendepunkt? "Wir hatten die ganze Saison über ein gutes Auto, deshalb weiß ich nicht, warum es plötzlich anders sein wollte", hofft der Motorsportchef.