Am Ende des Großen Preises von Italien waren Daniel Ricciardo und Sebastian Vettel durch lediglich einen Platz getrennt. Der Australier wurde Fünfter, der Deutsche Sechster - für die Ansprüche des Weltmeisterteams kein Grund für Freudensprünge, doch blickte man in die Gesichter der beiden Piloten, hätten die Emotionen unterschiedlicher nicht sein können. Während Ricciardo mit der Sonne über dem königlichen Park um die Wette strahlte, stellte sich Vettel missmutig den Fragen der Medien.

Ricciardo hatte wieder einmal gut lachen, Foto: Red Bull
Ricciardo hatte wieder einmal gut lachen, Foto: Red Bull

Erneut hatte der Heppenheimer im teaminternen Duell den Kürzeren gezogen, sodass er mittlerweile bereits 60 Punkte hinter Ricciardo zurückliegt. Diesmal war Vettel an der Niederlage jedoch größten Teils schuldlos, denn Red Bull beging einen kapitalen strategischen Fehler und schickte ihn ins Verderben. Motorsport-Magazin.com rollt den Highspeed-Klassiker von Monza noch einmal aus der Sicht von Vettel und Ricciardo auf.

Der Start läuft für Vettel

Dass nach 53 Runden Ricciardo und nicht Vettel die Nase vorne haben würde, zeichnete sich zu Beginn des Rennens alles andere als ab. Der Weltmeister startete vom achten Platz und verbesserte sich in der ersten Runde um drei Positionen, während Ricciardo äußerst schlecht vom Start wegkam, die erste Schikane abkürzen musste und bis auf den zwölften Rang zurückfiel. "Ich habe die Kupplung losgelassen und keine Traktion bekommen", erklärte der Australier seinen schlechten Auftakt ins letzte Europa-Rennen.

An den Positionen der Red-Bull-Piloten änderte sich kaum etwas, bis man am Kommandostand eine für Vettel schicksalhafte Entscheidung traf. Weil man es ihm aufgrund des Topspeed-Unterschieds nicht zutraute, den vor ihm fahrenden McLaren-Piloten Kevin Magnussen auf der Strecke zu überholen, beorderte man ihn bereits in der 18. Runde an die Boxen, um von den mittleren auf die harten Reifen zu wechseln. Lässt man Esteban Gutierrez außer Acht, der schon in der neunten Runde stoppte, um auf eine Zwei-Stoppstrategie zu wechseln, war Vettel der erste Pilot, der zum Service kam.

Vettel zog ein langes Gesicht, Foto: Sutton
Vettel zog ein langes Gesicht, Foto: Sutton

"Wir wählten eine aggressive Strategie bei Sebastian und setzten ihn damit unter Druck, denn zum Ende des Rennens waren seine Reifen in schlechter Verfassung", erklärte Teamchef Christian Horner im Nachhinein. "Wir entschieden uns, sofort zu handeln und den Undercut zu versuchen. In diesen Situationen ist es unmöglich, das Ende des Rennens zu prognostizieren. Es gilt, im jeweiligen Moment zu handeln." Somit musste Vettel auf seinen harten Reifen 35 Runden bis zum Fallen der Zielflagge zurücklegen, was selbst für die robusten Pneus deutlich zu viel war.

Ricciardos langer Stint

Dass der frühe Boxenstopp keine unüberlegte Kurzschlusshandlung von Red Bull war, belegt Ricciardos Aussage vom Samstag. Der Australier sagte nach dem Qualifying hinsichtlich der limitierten strategischen Möglichkeiten in Monza auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com: "Im Rennen wird der harte Reifen lange halten, es wird darauf ankommen, wie mutig die Leute sind und wie früh sie mit dem Medium stoppen. Man kann einen Undercut versuchen, aber dazu muss man Vertrauen in den harten Reifen haben, um ans Ende des Rennens zu kommen."

Es war aber nicht Ricciardo, der früh an die Boxen gerufen wurde, sondern Vettel. Angesichts des schlechten Starts des Australiers stellte Red Bull seine Strategie um und beorderte ihn erst in der 26. Runde zum Stopp. "Ich habe gesehen, dass die Autos vor mir stoppten, aber meine Pace war noch immer gut genug, sodass wir dachten, wir probieren etwas anderes und fahren länger", erklärte er.

Auch Räikkönen hatte Ricciardo nichts entgegenzusetzen, Foto: Sutton
Auch Räikkönen hatte Ricciardo nichts entgegenzusetzen, Foto: Sutton

Durch den Stopp fiel Ricciardo zwar kurzfristig wieder auf den zwölften Platz zurück, lange sollte er dort aber nicht bleiben. Durch die im Gegensatz zu den anderen Piloten frischeren Reifen gelang es dem 25-Jährigen, Überholmanöver um Überholmanöver zu setzen. "Er hat nicht nur Räikkönen geschlagen, sondern fuhr auch noch am Force India und den McLaren vorbei. Seine Performance nach dem Stopp war wirklich bemerkenswert", lobte Horner.

Red Bull gibt Fehler zu

In Runde 47 kam es schließlich zum Manöver gegen Vettel. Der Heppenheimer hatte wegen seiner deutlich stärker abgenutzten Reifen keine Chance, Ricciardo hinter sich zu halten, der in der gesamten zweiten Rennhälfte wesentlich schnellere Rundenzeiten fahren konnte. "Am Ende des Rennens rutschten die Hinterräder sehr stark", klagte Vettel. "Beim ersten Angriff von Ricciardo konnte ich noch dagegenhalten, aber meine Räder drehten im dritten und vierten Gang durch. Da hätte es keinen Sinn gemacht, dagegenzuhalten."

Und so kam es, dass Vettel trotz wesentlich besserer Ausgangslage letztlich mehr als neun Sekunden nach seinem Stallgefährten die Ziellinie überquerte. Dass man bei Red Bull den taktischen Fauxpas zugab, war da freilich nur ein schwacher Trost. "Uns ist ein grober Fehler bei der Strategie unterlaufen. Wir haben Sebastian viel zu früh hereingeholt. Wir hatten keine Erfahrungswerte und dadurch war er am Ende des Rennens wehrlos gegen Ricciardo", gestand Dr. Helmut Marko im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com ein. Und Horner meinte: "Im Nachhinein hätten wir natürlich noch ein oder zwei Runden warten können."