Uli Hoeneß hat im vergangenen Jahr vom neuen Bayern-Sportdirektor Matthias Sammer gefordert, den Verein in derartige Erfolgshöhen zu katapultieren, dass die Konkurrenz die Mannschaft nur noch mit dem Fernglas beobachten könne. Bayern hat mit dem Triple vorgelegt, erwarten Dr. Zetsche und der Daimler-Vorstand Ähnliches von dir?
Toto Wolff: So direkt hat es Dr. Zetsche nicht formuliert, aber der Erfolgsanspruch an die Marke ist sehr hoch und somit wird auch an uns der Anspruch gestellt, erfolgreich zu sein. Mercedes ist in der Formel 1, um die Marke strahlen zu lassen und um die Historie der Silberpfeile erfolgreich weiterzuschreiben. Der Anspruch ist es, langfristig erfolgreich zu sein. Es geht nicht darum, ein Rennen zu gewinnen oder auf dem Podium zu stehen, sondern über mehrere Jahre hinweg erfolgreich zu sein.

Fakt ist, dass Mercedes in den letzten drei Jahren an Strahlkraft eingebüßt hat, doch wenn ich mir die Fan-Reaktionen auf Motorsport-Magazin.com und unserer Facebook-Seite ansehe - die immerhin 200.000 Fans hat - dann wirkt es, als würde Mercedes mehr und mehr zum Sympathieträger werden. Kann man sagen, Toto Wolff ist ein Gewinn-Maximierer?
Toto Wolff: Es freut mich, wenn die Leute das meinen. Tatsache ist, dass nicht meine Person für die Performance des aktuellen Autos zuständig ist, sondern Designchef Aldo Costa und Aerodynamikchef Mike Elliott, der im vergangenen August zum Team gestoßen ist. All die wichtigen Entscheidungen wurden von diesen Personen bereits vor Monaten getroffen. In meiner Geschäftsführerrolle versuche ich, meinen kleinen Anteil zu liefern, damit das Team erfolgreich ist. Dabei bin ich mir bewusst, dass wir "Business-Leute" uns in einer Supportfunktion für die Jungs befinden, die für die Performance des Autos zuständig sind. So reell muss man das sehen. Meine Funktion ist, die Strukturen zu optimieren. Mir ist bewusst, dass es kritische Stimmen gibt, die meinen "Wolff stößt zu Mercedes und wirft alle raus", aber das ist nicht der Fall. Meine Rolle ist es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Leute in ihren Positionen bestmöglich performen - dazu zählt das Budget, der Support aus Stuttgart, den besten Mann in der besten Position zu haben sowie den einen oder anderen zu verstärken. Natürlich geht das nur im Rahmen der Effizienz von Mercedes, denn wir haben hier kein Gießkannenprinzip. Es gibt ein Effizienzprogramm im Daimlerkonzern "fit for leadership" und das gilt auch für uns.

Toto Wolff erklärte Motorsport-Magazin.com seine Philosophie für die neue Silberpfeil-Ära, Foto: Sutton
Toto Wolff erklärte Motorsport-Magazin.com seine Philosophie für die neue Silberpfeil-Ära, Foto: Sutton

Du hast die kritischen Stimmen angesprochen, die es in Verbindung mit deiner Person gibt. Liegt es an der Brisanz, dass du sowohl Anteile an Mercedes als auch an HWA besitzt, an deinem Williams-Abschied oder daran, dass die alte Garde der Journalisten mit dem Generationswechsel nicht klarkommt?
Toto Wolff: Ich glaube, dass es mehrere Faktoren gibt. Mit Sicherheit ist ein Thema, dass sich die Formel 1 derzeit im Wandel befindet. Ich möchte nicht von einem Generationswechsel sprechen, aber es stoßen viele, neue Leute dazu, die nun einmal nicht 30 Jahre in der Formel 1 vorweisen können, sondern vielleicht nur drei Jahre. Für Manche ist es definitiv schwierig, damit zurechtzukommen, weil Leute verschwinden, mit denen sie 30 Jahre um die Welt gereist sind und mit denen sie in all den Jahren auch freundschaftliche Beziehungen aufgebaut haben. Das ist nur verständlich. Gleichzeitig finde ich, dass man den neuen Leuten eine Chance geben muss und sie nicht vorzeitig disqualifizieren darf.

Ist diese Polarisation einfach Teil deines Jobs?
Toto Wolff: Mercedes polarisiert als Marke und wenn man für diese Marke arbeitet, dann polarisiert man ebenfalls. Persönlich fällt mir diese Medienpräsenz schwer - das ist nichts, was ich gesucht habe. Ich konnte die letzten 20 Jahre meinen Weg verfolgen und der war ausschließlich ergebnisorientiert. Jetzt bin ich ein Partner von Mercedes, repräsentiere die Marke und bin darüber sehr stolz. Ich muss mich jeden Tag zwicken, dass ich diese Chance gekriegt habe. Dazu gehört die Marke auch medienwirksam zu repräsentieren. Liegt mir das charakterlich? Nicht wirklich. Ist es Teil meiner Rolle? Ja. Die einen denken, ich mache meinen Job gut, die anderen denken das Gegenteil.

Du hast dir als Ziel gesetzt, den Mitarbeitern in Brackley eine Identität einzuhauchen. Wie genau sieht diese Identität aus?
Toto Wolff: Die Mitarbeiter in Brackley haben im Verlauf der Jahre schon so vieles gehört. Mal waren sie Japaner, mal amerikanische Zigarettenverkäufer und jetzt heißen sie seit einigen Jahren Mercedes-Benz. Plötzlich kommt ein neuer Mitgesellschafter, was wieder eine neue Situation für alle ist. Mir geht es darum, das Beste aus beiden Welten zu nehmen, die Stärke und die Kraft eines multinationalen Konzerns zu nutzen, aber trotzdem die Effizienz eines mittelständischen Racing-Teams in England beizubehalten. Meine Aufgabe ist es, das Beste aus Stuttgart zu bekommen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass Brackley so gut wie möglich arbeiten kann. Das ist eine meiner Hauptrollen, die auch mit Ross [Brawn] so abgesprochen ist. Ross ist mit 15 WM-Titeln der erfolgreichste Techniker der Formel 1, meine Aufgabe muss es sein, diese Jungs so gut wie möglich zu unterstützen und ihnen all den "commercial und political stuff" abzunehmen. Ich kann das Team besser funktionieren lassen, aber ich mache das Auto nicht schneller.

Wolff hat seine Zelte in der Teamfabrik in Brackley aufgeschlagen, Foto: Sutton
Wolff hat seine Zelte in der Teamfabrik in Brackley aufgeschlagen, Foto: Sutton

Im Zuge dessen wurdest du zitiert, dass diejenigen, die diese Identität nicht übernehmen wollen, nicht lange im Team bleiben werden. Das Wort "Kündigung" dürfte in England nicht gut angekommen sein.
Toto Wolff: Das habe ich so nie gesagt. Ich habe gesagt, dass wir versuchen, die neuen Strukturen umzusetzen und wir hoffen, dass die Leute das annehmen. Gleichzeitig habe ich gesagt, dass wir die zu motivieren versuchen, die das nicht annehmen wollen, aber dass mancher trotzdem nicht bleiben möchte. In den Medien war danach zu lesen: "Wolff droht Brackley mit Kündigungen." So ein Blödsinn. Diejenigen, die Freude an ihrem Job haben, werden bleiben und die anderen werden gehen.

Auch wenn das Risiko solcher Schlagzeilen besteht, ist es doch wichtig, Klartext zu reden, um zu verhindern, dass die Ergebnisse nicht wieder sukzessive schlechter werden.
Toto Wolff: Natürlich. Wir stehen unter einem großen Druck. Unser Chef will Erfolge sehen, deshalb sind wir alle in der Formel 1. Dieser Druck liegt auf meinen Schultern und auf positive Weise versuche ich, das Team damit zu motivieren. Aber ich will gleich mit den Klischees aufräumen, dass es deshalb bei uns laut zugeht. Das ist nicht der Fall. Ich muss einfach versuchen, das Beste aus den Leuten herauszuholen. Da gibt es die technische, die kommerzielle, die finanzielle, die politische Seite und, und, und. Der große Fehler, der einem in der Formel 1 aufgrund dieser großen Medienvisibilität passiert, ist, dass man sich zu schnell zu wichtig nimmt. Wenn das passiert, verliert man den Kontakt zum Boden. Genau das will ich verhindern. Wir sind hier in einem Mikrozirkus aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir Sport und Entertainment betreiben. In der Welt gibt es viel wichtigere Themen als das, was wir hier tun.

Zu deinen Aufgaben zählt es, beide Welten - Stuttgart und Brackley - zu vereinen. Warum ist ein deutsches Team nicht in Deutschland ansässig wie Ferrari in Italien oder Sauber in der Schweiz? Liegt es wirklich nur daran, dass man ohne die Infrastruktur und Fachkräfte aus dem "motorsport valley" England kein erfolgreiches Team in Deutschland aufbauen kann?
Toto Wolff: Es gibt zwei Gründe. Einerseits ist die Formel 1 ein Sport mit High-Entry-Barriers. Das heißt, dass große Investitionen notwendig sind, um etwas auf die grüne Wiese zu stellen. Andererseits dauert es eine sehr lange Zeit, bis man Personal findet. Das gilt für alle Bereiche, vom Mechaniker bis zum Teamchef. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen, das braucht Zeit. Deswegen sind diese Strukturen historisch gesehen an bestimmten Plätzen gewachsen, unter anderem in Maranello, in Hinwil, in Woking, in Grove und eben in Brackley. Dass das Ganze ein wenig englischlastiger ist, liegt vermutlich daran, dass die Gentleman-Driver aus den 40er und 50er Jahren mehr Motorsport betrieben haben als wir auf dem Kontinent. Diese Strukturen sind historisch gewachsen. Man kann sie nicht nehmen, abbauen und irgendwo anders wieder aufstellen.

Bei Williams konnte es zwischen dir und Patrick Head auch mal laut werden. Ist bei Mercedes Niki Lauda dein Sparring-Partner?
Toto Wolff: Er ist einer meiner Sparring-Partner in verschiedensten Themen. Er bringt dem Team echte Vorteile, denn er ist unheimlich vernetzt, besitzt sehr viel Erfahrung und ist jemand, der seine Meinung sehr direkt sagt. Das ist von Vorteil, weil es hilft, sehr schnell ans Ziel zu kommen. Niki und ich kennen uns schon lange. Manchmal reiben wir uns, manchmal lachen wir miteinander, aber es ist eine gut funktionierende Beziehung. Wir haben beide das gleiche Ziel - mit dem Team langfristig erfolgreich zu sein - und das schweißt uns zusammen.

Wolff und Lauda brachten Mercedes wieder in Schwung, Foto: Mercedes AMG
Wolff und Lauda brachten Mercedes wieder in Schwung, Foto: Mercedes AMG

Bedeutet das auch, dass Aussagen zutreffen, wonach mit dir und Lauda zwei Privatiers bereitstehen, um den Rennstall zu übernehmen, falls Mercedes vorzeitig aussteigen sollte. Oder ist diese Aussage - wie Niki es sagen würde - einfach nur "deppert"?
Toto Wolff: Ich würde es gleich wie Niki formulieren. Niki und ich haben null Interesse, das Team ohne Mercedes zu führen. Man muss sich schon darüber im Klaren sein, dass zwei Privatiers so einen F1-Rennstall nicht leiten, nicht finanzieren und somit nicht langfristig überleben lassen können. Ohne einen starken Mutterkonzern im Rücken wäre die Verantwortung einfach zu groß, umso mehr hoffe ich, dass die Verbindung noch lange bestehen bleibt. Denn Niki und ich fühlen uns in unserer Junior-Rolle als Teil von Mercedes-Benz sehr wohl.

Welche Elemente zeichnen die Führung eines Formel-1-Teams aus und welche deiner Erfahrungen als erfolgreicher Geschäftsmann lassen sich anwenden?
Toto Wolff: Am Ende des Tages ist ein Rennstall auch ein Unternehmen. Ein Racing-Team identifiziert sich über den Erfolg auf der Rennstrecke, aber um diesen Erfolg herbeizuführen, musst du Strukturen wie ein funktionierendes Unternehmen haben. Ross und die technische Gruppe machen den sportlichen Teil sehr gut und ich versuche, den anderen Teil bereitzustellen. Wir wollen keinesfalls ein Unternehmen sein, das Rennen fährt, sondern ein Racing-Team, das kommerziell rentabel funktioniert. Aber das geht nur, wenn du ein Rennteam so gut wie eine Firma organisierst. Du brauchst gute Mitarbeiter, finanzielle Ressourcen, einen langfristigen Plan respektive eine Strategie. Da gibt es dann die Racing-Profis, die Finanzleute, die Kaufmänner und das Engineering - das alles muss funktionieren.

Welchen Einfluss hat Paddy Lowe auf den 2014er Boliden?
Toto Wolff: Paddy ist ein weiterer Baustein eines hoffentlich langfristig, funktionierenden Rennteams. Fix ist, dass 2014 eine Revolution darstellt. Es gibt ein anderes Motorenkonzept und dadurch auch ein anderes Fahrzeugkonzept. Es ist eine enorme Herausforderung, weil du mit der Entwicklung des Autos viel früher beginnen musst.

Lowe gilt als Top-Mann und Fakt ist, dass man die richtigen Leute an den richtigen Stellen braucht, um erfolgreich zu sein. Dieses Puzzle richtig zusammenzusetzen, ist das eine Herausforderung, die dich reizt?
Toto Wolff: Ja, das ist für mich der Reiz an meiner Aufgabe. Und in den vergangenen 20 Jahren habe ich nichts anderes gemacht, als in den verschiedensten Unternehmen - früher eher in der Technologiebranche - die besten Leute so gut wie möglich funktionieren zu lassen.

Wolff sieht keine österreichischen Talente auf dem Weg in die Formel 1, Foto: Sutton
Wolff sieht keine österreichischen Talente auf dem Weg in die Formel 1, Foto: Sutton

Die Pirelli-Reifen sind dieses Jahr ein heißes Thema. Mercedes zählt zu den Kritikern. Laut Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner habt ihr Pirelli den schwarzen Peter zugeschoben, um vom Team abzulenken. Deine Antwort?
Toto Wolff: Christian kennt sich in der Branche wirklich gut aus und natürlich ist sein Argument nachvollziehbar. Ich kann mit einem Schmunzeln zustimmen, dass man das eigene Team immer hochhalten will. Fakt ist, dass der Reifen der entscheidende Faktor in diesem Jahr ist. Wir legen das ganze Wochenende danach aus, damit wir am Sonntag über die Renndistanz kommen. Dazu müssen wir zwei, drei Sekunden langsamer fahren, als wir es könnten. Das ist eine neue Art von Formel 1, eine sehr strategische Art zu fahren. Wir investieren sehr viel Zeit in die Analysen, um endlich Herr der Lage zu werden. Kurz gesagt: "Same deal for everybody and we have to get on top of it."

Immer mehr Österreicher sind im Spitzen-Management der Formel 1 anzutreffen. Man könnte fast meinen: Österreich übernimmt die Formel 1. Doch wo bleiben die rot-weiß-roten Fahrertalente?
Toto Wolff: Ich verstehe ehrlich gesagt auch nicht, wie es zu solchen Zyklen kommt, wo es manchmal mehr Fahrer und manchmal mehr Manager aus Österreich gibt. Im Moment sehe ich niemanden, der in die Nähe der Formel 1 kommt. Es gibt sicher Talente in den Juniorklassen oder im Kart, aber mir fehlt in Österreich der Nachwuchs, wo man sagt, dass der Fahrer nicht nur Talent besitzt, sondern auch die finanziellen Möglichkeiten hat, um ganz nach oben zu kommen. Es ist für junge Talente, die vielleicht im Kart sehr gute Leistungen zeigen, extrem schwierig geworden, an die Spitze der GP2 oder Formel 3 zu gelangen. Österreich ist ein sehr kleiner Markt und nicht so interessant wie andere Länder. Deshalb werden die Jungs nicht so unterstützt, damit sie ganz einfach durch die Nachwuchsserien kommen.

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