Während der vergangenen Testfahrten in Barcelona hatte Norbert Haug den Mercedes-Fans einen kurzzeitigen Schock zugefügt. Der neue MGP W02 sei in der derzeitigen Situation kein Kandidat für die Top-10, verkündete der Motorsportchef. Mercedes als Mittelklasse-Team? Kaum vorstellbar, wenn man sich die vorangegangen Kampfansagen der Silberpfeile anschaut. So hatte Michael Schumacher betont, dass man wieder um Siege mitfahren wolle und in Zukunft den WM-Gewinn anstrebe.

Nach der ernüchternden Performance des neuen Boliden wurden die meisten Aussagen recht schnell relativiert. Der MGP W02 war während der Tests meist im unteren Segment der Zeitentabelle angesiedelt, mit gelegentlichen Ausreißern nach oben. Wundertüte Mercedes: Mal klappte nichts und das Auto hatte mit Problemen - vornehmlich an der Kühlung - zu kämpfen. An anderen Tagen lief der Silberpfeil wie ein Uhrwerk und spulte Kilometer um Kilometer ab - selbst zwei Bestzeiten sprangen dabei heraus.

Im fortschreitenden Test-Stadium nahmen die technischen Ärgernisse stetig ab, nur am Speed haperte es noch - sofern die Zeitentabellen solche Aussagen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Spritmengen, Reifenmischungen und Testprogramme zuließen.

Löcher als Lösung

Laut Teamchef Ross Brawn habe man die Probleme mit dem Kühlungs-System endlich in den Griff bekommen. "Die kurzfristigen Veränderungen, die wir an der Launch-Spezifikation des Autos vorgenommen haben, kosteten uns ein gewisses Maß an Leistung. Für unser Upgrade-Paket haben wir die Lösung jedoch in das Bodywork integriert, womit wir diese Performance noch vor dem ersten Rennen zurückgewinnen werden", erklärte der Brite. Bei den Tests hatten die Mechaniker eine rabiatere Vorgehensweise angewendet und kurzerhand Löcher in das Chassis geschnitten.

Immer wieder hatte Mercedes betont, dass die aktuelle Version des Boliden noch lange nicht das Endprodukt sei, dass man für die Rennen nutzen wolle. So sei beispielsweise der bisherige Frontflügel noch nicht die finale Version für den Saisonstart in Melbourne, betonte Brawn. Weitere Updates sollen folgen, um dem Silberpfeil nach der unbefriedigenden Saison 2010 die nötige Power zu verpassen.

Vertrauen auf das Upgrade-Paket

Das Zwischenfazit nach drei von vier Testfahrten: Die Zuverlässigkeit des Autos scheint weitestgehend zu stimmen, doch mit der Geschwindigkeit kann Mercedes im Vergleich zur direkten Konkurrenz noch nicht mithalten. Ein Umstand, dem Schumacher keine allzu große Bedeutung beimessen wollte. "Es war zu erwarten, dass wir im Winter Probleme haben würden, denn das Auto ist hauptsächlich dafür gebaut, um die Zuverlässigkeit zu testen, es ist nicht zur Leistungsschau hier. Die Leistung wird in den kommenden Wochen kommen und dann müssen wir schauen, wo wir stehen", sagte der Rekord-Champion am Rande der Barcelona-Tests.

Das Vertrauen auf die Performance-Upgrades ist groß. Gerhard Berger ist von den Planungen allerdings nicht überzeugt. "Es gibt keine logischen Gründe, warum sie auf McLaren oder Ferrari aufholen sollten - ganz zu schweigen von Red Bull", zweifelte der ehemalige F1-Pilot. Mercedes habe zwar die technische Abteilung umstrukturiert, aber sie hätten laut Berger nur die Techniker verschoben. Die neuen Renningenieure würden die Aerodynamik-Abteilung nicht verstärken. Mit Bob Bell wurde zwar ein neuer Technik-Direktor installiert, doch er wird seinen Dienst erst ab April antreten und erst dann wesentlichen Einfluss auf die Aerodynamik-Abteilung nehmen können.

Gewohntes Bild in Jerez: Rosberg neben dem W02, Foto: Sutton
Gewohntes Bild in Jerez: Rosberg neben dem W02, Foto: Sutton

Brawn kennt die Fakten

Brawn sieht das natürlich anders und verweist abermals auf die ehemaligen Probleme: "Wir sind uns der Pace unseres aktuellen Autos und des Abstands zur Spitze sowie der Gründe dafür bewusst. Letztere beinhalten die Kompromisse, die wir wegen der Kühlungsprobleme eingehen mussten. Wir wollten von Anfang an ein Auto vorstellen, das eine Grundversion darstellte, so dass wir uns mehr auf das Upgrade-Paket konzentrieren konnten." Deshalb sei man weiter von der Spitze entfernt, als es eigentlich der Fall sei. "Da ich alle Fakten kenne, bin ich mit unserer aktuellen Position und angesichts der anstehenden Entwicklungen zufrieden", versprühte Brawn Optimismus.

Mercedes hat sich im Verlauf der Testfahrten kontinuierlich gesteigert. Am 9. März steigt der letzte Test in Barcelona bevor der Ernst Ende März in Melbourne beginnt. Wenn bei den viertägigen Test-Sessions nichts Wesentliches schief geht, bleiben dem MGP W02 noch gut 1500 Kilometer, um sich an das neue Aero-Outfit zu gewöhnen. Bei den bisherigen drei Tests hatte Mercedes rund 4300 Kilometer abgespult.

Ob die Silberfeile dann mit den Top-Teams mithalten können? "Es ist noch zu früh, um das zu sagen, aber ich bin überzeugt, dass wir nach dem letzten Barcelona-Test mehr wissen werden", so Brawn. "Wir haben eine sehr gute Basis, auf der wir aufbauen können. Unser Team entwickelt sich sehr gut weiter und der Silberpfeil liegt im Plan."

Ein Blick zur großen Konkurrenz verrät, dass man Mercedes in der aktuellen Verfassung eher nicht auf dem Schirm hat. Red Bulls Motorsport-Berater, Helmut Marko, sieht sein eigenes Team und Ferrari auf einer Höhe, gefolgt von McLaren. "Mercedes und Renault sind nicht ganz auf diesem Level", so Marko. Ob der Österreicher mit seiner Einschätzung Recht behält, wird sich Ende März in Melbourne zeigen, wenn die Rundenzeiten wirklich wieder eine Rolle spielen.