Ducati erlebte 2023 die erfolgreichste MotoGP-Saison der Unternehmensgeschichte. Nicht nur die Konstrukteurs- und Team-Weltmeisterschaft wurden von den Italienern eingefahren, mit Francesco Bagnaia, Jorge Martin und Marco Bezzecchi landeten erstmals auch gleich drei Ducati-Fahrer an der Spitze der Fahrer-WM. Des Weiteren konnten 33 der 39 Grand-Prix- und Sprintrennen gewonnen und 17 von 20 Pole Positions eingefahren werden.

Eine ebenso dominante wie historische Saison also, nachdem Ducati schon im Vorjahr wieder ganz oben gestanden hatte. Zuvor musste Borgo Panigale viele Jahre warten und eine lange Leidenszeit durchstehen, ehe 2022 mit Bagnaia der Sprung zurück an die Spitze gelang. Den letzten und bis dahin auch einzigen WM-Titel hatte schließlich Casey Stoner im Jahr 2007, der ersten Saison der 800ccm-Ära, geholt. Und genau dieser Casey Stoner ist es jetzt, der sich in einem Interview mit 'Gazzetta dello Sport' alles andere als glücklich mit der Art und Weise präsentierte, wie sein ehemaliger Arbeitgeber an die MotoGP-Spitze zurückkam.

Der hinlänglich bekannte Weg Ducatis ist der Folgende, den Motorsport-Magazin.com unlängst auch in einem ausführlichen Artikel unseres Printmagazins Nr. 93 beleuchtete. Zunächst installierte Borgo Panigale ein Dreigestirn aus Paolo Ciabatti, Davide Tardozzi und Gigi Dall'Igna, das für Konstanz sorgte und die Richtung vorgab. Dann wurden Lücken im Regelwerk zum eigenen Vorteil genutzt und die MotoGP-Entwicklungsarbeit revolutioniert. Abschließend setzte Ducati nach gescheiterten Experimenten mit Starpiloten wie Valentino Rossi und Jorge Lorenzo auf den eigenen Nachwuchs und wurde von Bagnaia dafür belohnt. Also eine Geschichte harter Arbeit und viel Fleiß, die nach Jahren der Leidenszeit nun entsprechend belohnt werden.

Stoner kritisiert: Ducatis MotoGP-Dominanz ist nicht ehrenhaft

Gleichzeitig aber auch eine Erzählweise, die Ex-Pilot Stoner so nicht teilt. "Ducati hätte in der Vergangenheit schon viel erfolgreicher sein können als jetzt", kritisiert er und erklärt: "Ihr größter Fehler war es, sich von Filippo Preziosi zu trennen, und ich habe keinen Respekt für die Art und Weise, wie sie es getan haben." Preziosi leitete die Rennabteilung der Roten von 1994 bis 2012 und musste gehen, als Ducati auch mit Rossi den eigenen Erwartungen weit hinterherfuhr. Verglichen mit der heutigen Zeit verfügte Preziosi damals aber über deutlich weniger Ressourcen als Nachfolger Dall'Igna. "In den Jahren, die ich mit ihm zusammengearbeitet habe, haben wir während der Saison nie neue Teile erhalten. Wir hatten immer das gleiche Paket und mussten damit Lösungen für unsere Probleme finden", erinnert sich Stoner, der von 2007 bis 2010 für Ducati antrat.

Filippo Preziosi leitete Ducatis Geschicke bis 2012, Foto: Milagro
Filippo Preziosi leitete Ducatis Geschicke bis 2012, Foto: Milagro

Der Australier ergänzt: "Zur Saisonmitte konnten wir das neue Bike testen. Das war schon im ersten Test viel besser und ich wollte damit fahren, weil ich die restliche Saison eine halbe bis ganze Sekunde schneller gewesen wäre." Ducati entschied sich jedoch dagegen, da das nötige Budget fehlte. Und so geriet Stoner 2008 nach der Sommerpause im WM-Kampf mit Rossi und Yamaha zunehmend ins Hintertreffen, eine Titelverteidigung scheiterte letztlich deutlich. "Natürlich hat Gigi Dall'Igna gute Arbeit geleistet, aber er brauchte viel Zeit und ein großes Budget, um dorthin zu kommen", meckert Stoner.

Des Weiteren kritisiert der heute 38-Jährige, dass sich Ducati den Erfolg durch eine dominante Position in der Weltmeisterschaft erkauft hat. "Ich bin nicht glücklich darüber, dass sie so viele Motorräder im Feld haben. Sie können praktisch jedes Team kontrollieren und die gewünschten Ergebnisse fordern, was nicht korrekt ist", meint er. Seit 2022 rüstet Ducati vier MotoGP-Teams aus: Das Werksteam und Pramac erhalten aktuelle Maschinen, VR46 und Gresini Vorjahresbikes. Somit stellt der italienische Hersteller mehr als ein Drittel des gesamten Feldes. Und Stoner ist davon überzeugt, dass Ducati diese Vormachtstellung auch zum eigenen Vorteil nutzte: "Eine Teamorder ist in Ordnung, aber sie sollte nicht von einem Hersteller kommen. Ich habe viel Respekt verloren, als sie dieses Level erreichten. Ich bin mir sicher, dass auch Pecco nicht auf diese Weise siegen wollte. Sie wollen um jeden Preis gewinnen und das ist nicht ehrenhaft."

Ducati: Nie eine offensichtliche MotoGP-Teamorder eingesetzt

Heftige Worte vom ehemaligen Ducati-Star also. Zur Wahrheit gehört an dieser Stelle aber auch, dass Ducati nie eine offensichtliche Teamorder verordnete. Einzig 2022 in Malaysia, als Bagnaia mit dem richtigen Ergebnis vorzeitig Weltmeister hätte werden können, wurde kurzzeitig darüber nachgedacht, aber nie gehandelt. Im Gegenteil: Ducati war stehts bemüht, die eigenen Fahrer frei gegeneinander fahren zu lassen. Selbst in jenem Rennen in Sepang durfte Enea Bastianini mit Bagnaia um den Sieg kämpfen. Und auch 2023 erhielten die Kundenpiloten Martin und Bezzecchi zumindest öffentlich vollste Rückendeckung im WM-Kampf mit dem Werksteam und Bagnaia.

Stoners Aussagen fehlt es an dieser Stelle also an Boden. Dennoch ist natürlich nicht zu verneinen, dass eine Vielzahl konkurrenzfähiger Motorräder speziell im WM-Kampf mit einem anderen Hersteller helfen kann, da es so deutlich einfacher ist, möglichst viele Bikes zwischen den eigenen Starpiloten und den stärksten Herausforderer zu bringen. Fabio Quartararo musste diese Erfahrung in der zweiten Saisonhälfte 2022 bereits machen und auch Brad Binder erlebte 2023 ähnliches, als er oftmals als KTM-Speerspitze alleine gegen mehrere Ducatisti antreten musste.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass schon in der Vergangenheit andere Hersteller acht oder mehr Bikes im Grid hatten und dabei Weltmeister wurden, Honda zu Beginn der MotoGP-Ära in den Jahren 2002 und 2003 etwa. Das ist auch völlig normal, schließlich sind sämtliche Kundenteams auch darum bemüht, das bestmögliche Material zu erhalten und das liefert momentan einfach Ducati.