Das MotoGP-Rennen von Austin endete für Francesco Bagnaia am Sonntag im Kiesbett von Kurve zwei. Zuvor hatte er den Amerika-Grand-Prix sieben Runden lang souverän angeführt. Ein vermeidbarer Crash und somit ein Muster, dass wir von Bagnaia in den letzten Jahren viel zu oft gesehen haben. Vor zwei Wochen stürzte er in Argentinien unbedrängt. Im Vorjahr brachte er sich gleich vier Mal in Rennen selbstverschuldet um wertvolle Punkte. Und auch davor war Bagnaias MotoGP-Karriere geprägt von dramatischen Eigenfehlern. 2021 etwa crashte er bei beiden Italien-Rennen in Führung liegend, ein Jahr zuvor warf er in Misano den sichergeglaubten ersten Sieg in der Königsklasse weg.
Einsicht zeigte Bagnaia danach nur selten. In Misano 2020 vermutete er, auf einem herumliegenden Abreißvisier weggerutscht zu sein. Immer wieder erklärte er, seine Stürze nicht nachvollziehen zu können und eigentlich keine Fehler gemacht zu haben. Am Sonntag in Austin lieferte Bagnaia die bislang kurioseste Erklärung für einen Crash: Sein Motorrad sei zu stabil und vermittle ihm damit ein falsches Gefühl von Sicherheit, Ducati müsse ihm helfen, das zu ändern.
Eine Analyse, die seine Rivalen so nicht teilten. Sowohl der spätere Sieger Alex Rins als auch Bagnaias VR46-Kumpel Luca Marini waren sich einig, dass Bagnaia in der schnellen Kurve zwei eine zu enge Linie gewählt habe. Marini, der als Ducati-Pilot Einsicht in die Daten des Gestürzten hat, erklärte Bagnaia sei über das gesamte Wochenende hinweg in diesem Abschnitt viel schneller gewesen als alle anderen Fahrer auf einer Desmosedici GP und sprach von einem - zugegebenermaßen schwer zu glaubenden - Unterschied von bis zu 10 km/h. Bei schwierigen Verhältnissen am Circuit of the Americas mit schlechtem Grip, vielen Bodenwellen und im Rennen auch starkem Wind habe er dem Vorderreifen einfach zu viel abverlangt.
Bei derart schwierigen Bedingungen ist es keine Schande, einen Fehler einzugestehen. Zehn Fahrer crashten im Amerika-GP beim Versuch, den in der modernen MotoGP extrem schmalen Grat zwischen Sicherheit und Speed zu beschreiten. Da reicht schon die kleinste Fehleinschätzung aus, um sich im Kies wiederzufinden. Dass ihm ein derartiger Fehler passiert ist, hätte Bagnaia zugeben können. Ihm wäre kein Zacken aus seiner Weltmeisterkrone gefallen.
Stattdessen suggerierte er, sein Motorrad liefere zu wenig Feedback. Ein Motorrad, welches aktuell das mit Abstand beste der MotoGP ist, wie Bagnaia selbst bestätigte. Er würde ein langsameres Bike bevorzugen, das ihm die Grenzen des Machbaren klarer aufzeige. Was Bagnaia dabei vergisst ist, dass es immer ein Trumpf großer Motorradchampions war, dieses Limit besser evaluieren zu können als ihre Rivalen. Und die haben aktuell selbst ihre Probleme mit dem vorliegenden Material: Aprilia kämpft immer wieder mit technischen Defekten, Aleix Espargaro stürzte am Sonntag etwa aufgrund eines fehlerhaften Ride-Height-Devices. Yamaha fehlt es dramatisch an Beschleunigung und Topspeed. Die KTM macht ihren Piloten das Leben ebenfalls nicht leicht, wie die Crashes von Jack Miller und Brad Binder am Sonntag beweisen. Und über den Zustand der Honda RC213V muss nicht mehr viel gesagt werden. Dennoch fuhr Alex Rins damit in Austin an seinem erst dritten Rennwochenende für den neuen Arbeitgeber sensationell zum Sieg.
Dass Bagnaia am Sonntag frustriert war ist mehr als verständlich. Ducati, das ihm Rennen für Rennen ein überragendes Motorrad in die Box stellt, die Schuld für seinen Sturz in die Schuhe zu schieben, war allerdings kein kluger Schachzug des MotoGP-Weltmeisters. Denn mit Enea Bastianini wird wohl schon in zwei Wochen in Jerez ein Mann sein Comeback geben, dessen Mission es ist, Bagnaias Vorherrschaft im Team zu beenden. In einem derartigen Stallduell geht es nicht nur darum, auf der Strecke schneller zu sein als der Fahrer auf der anderen Seite der Box. Es gilt, das Team auf die eigene Seite zu ziehen und so intern eine Vormachtstellung zu schaffen. Mit Kritik an einem beinahe perfekten Bike wird Bagnaia das nicht erreichen. Und 53 Zähler Vorsprung bei noch 666 zu vergebenden Punkten in der MotoGP-Saison 2023 sind definitiv zu wenig, um sich darauf auszuruhen.
Bagnaia würde gut daran tun, auf derartige Vorwürfe in der Öffentlichkeit zukünftig zu verzichten. Dass er in der Lage ist, eigene Schwächen einzugestehen, hat der 26-Jährige bereits oft bewiesen. Immer wieder lobte er Rivalen in höchsten Tönen. Attestierte etwa sogar Fabio Quartararo nach dessen WM-Niederlage im Vorjahr, eigentlich ein besserer Rennfahrer als er selbst zu sein. Tolle Worte in der Stunde des Sieges. Es muss in Bagnaias Sinne sein, diese Reife in Zukunft auch nach Niederlagen und vor allem gegenüber Arbeitgeber Ducati an den Tag zu legen.
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