In den vergangenen Jahren dominierte Honda die MotoGP nach Belieben. Zuletzt gingen drei Mal in Folge alle drei Weltmeistertiteln in der Fahrer-, Team- und Konstrukteurswertung an die Japaner. Diese Titel wurden aber mehr und mehr zu einer Einzelleistung von Marc Marquez. 2019 holte er 420 der 458 Punkte in der Teamwertung. In der Konstrukteurs-WM, wo in jedem Rennen nur der bestplatzierte Fahrer eines Herstellers gewertet wird, lieferte er 420 der 426 Punkte ab. Lediglich bei Marquez' Ausfall in Austin steuerte Takaaki Nakagami sechs Zähler bei.

Dass in Marquez' Abwesenheit niemand dessen Lücke füllen kann, zeigt sich nun. Der noch amtierende Weltmeister stürzte ja im ersten Saisonrennen 2020 schwer, brach sich den Oberarm, musste daraufhin operiert werden, saß vier Tage später am zweiten Jerez-Wochenende wieder auf dem Motorrad, musste aufgeben und sich kurz darauf einer zweiten OP unterziehen. Seither ist Marquez außer Gefecht und Honda ohne zählbare Erfolge.

Honda ohne Marc Marquez im Niemandsland

In den fünf bisherigen Saisonrennen brachte man keinen einzigen Fahrer auf das Podium. Ein vierter Platz durch Nakagami im Andalusien-Grand-Prix war das höchste der Gefühle. Der Japaner ist, wohlgemerkt mit der Vorjahresmaschine, als Sechster auch Hondas stärkster Mann in der Gesamtwertung. Alex Marquez, Cal Crutchlow und Ersatzmann Stefan Bradl belegen nur die Ränge 15, 21 und 23. Das ergibt Platz fünf unter den Konstrukteuren und den allerletzten Platz für die Repsol-Truppe bei den Teams.

Es ist offensichtlich: Honda braucht Marc Marquez, um Erfolge einzufahren. Und um das MotoGP-Bike für 2021 auf Vordermann zu bringen. Honda braucht Marc Marquez aber auch für vier weitere Saisons. So lange dauert nämlich der Vertrag, den der 27-Jährige im Winter unterschrieben hat. 100 Millionen Euro soll er in diesem Zeitraum kassieren. Ein Investment, dass sich auch für Honda auszahlen soll. Damit das gelingt, braucht man aber einen fitten Superstar und keinen, der an den Spätfolgen einer Verletzung leidet.

MotoGP-Talk: Warum die WM ohne Marquez Kopf steht (01:00:34)

Marquez' erstes Comeback, nur sechs Tage nach der Operation am mit zwölf Schrauben und einer Platte fixierten rechten Oberarm, war verfrüht. Dass hat er auch selbst mittlerweile so klargestellt. Ebenso wohl das intensive Training im Fitnessstudio, auch wenn der zweite Eingriff am Oberarm offiziell wegen eines Unfalls beim Öffnen einer Schiebetür nötig wurde. Eine Version, die man glauben kann oder auch nicht. Fest steht, dass sich Marquez auf die Ärzte verlassen hat, die ihm die Freigabe erteilten.

Dass werde er auch weiterhin tun, erklärte der achtfache Weltmeister am Wochenende des Steiermark-Grand-Prix in einem Video-Interview. Der Rat der Ärzte, den sein Repsol-Honda-Team am Vortag veröffentlichte: Weitere zwei bis drei Monate Pause. Die kommenden vier Rennen in Misano (13.9. und 20.9), Barcelona (27.9.) und Le Mans (11.10.) scheinen somit außer Reichweite, auch wenn in manchen Medien bereits über ein Comeback beim Heimrennen in Katalonien spekuliert wird. Erster halbwegs realistischer Termin ist der erste Grand Prix in Aragon. Bei einem Comeback dort würde Marquez eine Woche unter der angegebenen Zwei-Monate-Marke liegen. Zum Saisonfinale in Portugal wären übrigens exakt die zitierten drei Monate abgelaufen.

Marc Marquez braucht Testkilometer für 2021

Eine Rückkehr für die letzten fünf Rennen wäre Gold Wert - für Marc Marquez und Honda. Er könnte auf ihm gut bekannten Strecken in Aragon und Valencia insgesamt vier Wochenenden lang wieder auf Touren kommen. Vor allem aber könnte er, trotz der abgesagten November-Testfahrten, rechtzeitig Anpassungen an der Honda RC213V für 2021 vornehmen. Denn es ist durchaus denkbar, dass auch Marquez in der aktuellen Saison seine Probleme mit dem Motorrad gehabt hätte. Die Wintertests liefen auch bei ihm überhaupt nicht nach Wunsch. In den letzten Testtagen am Losail International Circuit von Katar experimentierte man noch mit Teilen aus dem Vorjahr herum, die man sich bei LCR und Nakagami geborgt hatte. In der dadurch gefundenen Konfiguration kam Marquez wieder auf Touren, sein Rennspeed in Jerez war atemberaubend. Aber: Er stürzte beim Auftakt in Jerez zwei Mal. Einmal in FP2, einmal im Rennen. Vor seinem verhängnisvollen Crash konnte er einen wilden Abflug nur mit großer Mühe vermeiden. Schnell, aber sturzanfällig - das erinnert an Marquez' bislang einzige MotoGP-Saison, die er nicht als Weltmeister beendete. 2015 gewann er fünf Rennen, schied aber gleich sechs Mal aus.