Als Ducati im Vorjahr bei den Testfahrten vor Saisonbeginn in Katar erstmals mit Flügeln an der Desmosedici GP15 auftauchte, erntete man zunächst verwunderte Blicke. Kleine Winglets hatte es in der Vergangenheit schon des Öfteren gegeben, in dieser Größe und Komplexität waren sie aber neu. Die Verwunderung der Konkurrenz verwandelte sich bald zu Interesse. Yamaha zog im September nach und montierte in Misano ebenfalls Flügel an seine M1, bei den Testfahrten 2016 folgte auch Honda.
"Zuerst haben uns alle belächelt und jetzt machen es uns alle nach," schmunzelt Ducati-Sportdirektor Paolo Ciabatti im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Mit Ducati, Yamaha und Honda sind nun also drei der fünf Hersteller, wenn auch nicht alle mit dem gesamten Fahrer-Line-Up, mit Winglets unterwegs. Eine Entwicklung, die dramatische gesundheitliche Folgen für die Piloten haben könnte, und das auch gleich aus mehreren Gründen.
MotoGP-Flügel können zu Waffen werden
Die offensichtlichste Gefahr liegt natürlich in den scharfen Kanten der an der Front und der Seite der Maschinen weit abstehenden Flügel. Zwar wurde für jegliche Kanten der Winglets ein Mindestradius von 2,5 Millimetern vorgeschrieben, um die Gefahr eines Schnittes zu vermindern - wirken aber große Kräfte, drohen dennoch Verletzungen. "Ich kann mir vorstellen, dass die ein Bein ordentlich aufschlitzen können", befürchtet etwa LCR-Honda-Pilot Cal Crutchlow, der bisher noch ohne Flügel unterwegs ist.
Dennoch machte Crutchlow bereits unliebsame Bekanntschaft mit den Aerodynamikteilen aus Carbon. Oder vermutet das zumindest. Im Vorjahr kamen sich Crutchlow und Ducati-Pilot Andrea Dovizioso im Grand Prix von Malaysia zu nahe, als Crutchlow an seinem Ex-Teamkollegen innen in Kurve sechs vorbeigehen wollte. Dovizioso ging zu Boden, Crutchlow hält eine Berührung des Flügels für einen möglichen Unfallgrund: "Ich weiß nicht, ob ich ihn am Flügel oder am Lenker berührt habe. Man kann es auch auf den Videoaufnahmen nicht erkennen, aber es kann auf jeden Fall sein."
Egal ob sich Crutchlow und Dovizioso tatsächlich aufgrund der Ducati-Winglets berührt hatten oder nicht, ausreichend Situation, in denen nur Zentimeter ein derartiges Unglück verhinderten, gab es bereits. Die Rechtfertigung, derartige Verletzungen könnten etwa auch durch den Schutzbügel am Bremshebel entstehen, lässt Crutchlow nicht gelten: "Diese Dinge braucht man an einem Rennmotorrad."
Luftverwirbelungen sorgen für Wackler
Nun weist Crutchlow auch noch auf eine weitere Gefahrenquelle der neuen Aerodynamik hin: Dirty Air. Das bereits aus dem Vierradsport bekannte Phänomen tritt nun auch in der MotoGP auf. Gemeint sind damit die Luftverwirbelungen, die durch die Winglets entstehen und die das Verfolgen solcher Maschinen extrem erschweren - ein klarer Vorteil bei Windschattenschlachten im Rennen. "Die Turbulenzen hinter den Ducatis sind der Wahnsinn", staunt Crutchlow. "Bei den Testfahrten auf Phillip Island ist Dani Pedrosa direkt hinter Andrea Iannone nachgefahren und ich war noch hinter Dani. Im Windschatten hat das Motorrad dann derart zu wackeln begonnen, dass ich geglaubt habe, Dani fliegt im sechsten Gang herunter."
Könnten die Winglets also in engen Rennen auch zur Abwehr von Gegner dienen, welche die Verfolgung aufnehmen wollen? Ein durchaus denkbarer Ansatz, mit dem in der Moto2 bereits experimentiert wurde. An Dominique Aegerters Kalex wurden - ohne die Mithilfe von Kalex wohlgemerkt - bei den Testfahrten erstmals im Bereich des Hecks nach unten gerichtete Carbonelemente montiert, um für zusätzliche Verwirbelungen zu sorgen. Am Donnerstag des Katar-Rennwochenendes kam schließlich das Aus für die Teile. Sie waren nicht regelkonform, da breiter als die Sitzbank.
Das letzte Wort im Streit um die Flügel ist aber definitiv noch nicht gesprochen. Einige einflussreiche Persönlichkeiten des MotoGP-Paddocks machen sich für ein Verbot stark. Dieses würde aber voraussichtlich frühestens 2017 in Kraft treten Die Saison 2016 werden die Piloten also unter großer Wahrscheinlichkeit mit Winglets bestreiten und hoffen müssen, dass sie so lange für keinerlei Verletzungen sorgen.
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