1. - S wie Startaufstellung
Damit hatte niemand gerechnet, noch nicht einmal Mario Theissen und Robert Kubica selbst. Nur ein kleiner Fehler, ein bisschen zu viel Wind und definitiv zu viel aufgewirbelter Staub kosteten den Polen im Qualifying die Pole. "Ich bin in Kurve zwölf weggerutscht und kam auf den Kunstrasen. Das hat zwei bis drei Zehntelsekunden gekostet und damit die Pole Position", sagte Kubica. "Die erste Startreihe ist schon eine Überraschung", gestand sein Chef. "Gestern beim Training haben wir gesehen, dass Ferrari und McLaren Mercedes auf Anhieb schnelle Runden fahren konnten." Da gelang dies BMW Sauber noch nicht. Doch die harte Arbeit in den drei Trainingssitzungen zahlte sich aus.
Noch mehr für Lewis Hamilton. "Ich hätte mir keinen besseren Saisonstart wünschen können", freute er sich über die geschenkte Pole. Ganz anders Weltmeister Kimi Räikkönen. "Natürlich bin ich enttäuscht. Das war nicht gerade der beste Weg in die Saison zu starten", klagte er. Sein Ferrari blieb am Ende des 1. Qualifying mit einem Benzinpumpenproblem liegen. Da er nicht aus eigener Kraft an die Box zurückkam, durfte er im 2. Qualifying nicht mehr antreten. Auch sein Teamkollege Felipe Massa kam nicht über Platz 4 hinaus. "Es ist nicht so, wie es scheint", wiegelte er ab. "Ich kam nicht zu meinem letzten Reifensatz. Ich hätte mich auch verbessern und um die Pole kämpfen können."
So klagte Massa, dass er auf dem Weg zu seiner letzten Qualifyingrunde von vielen Autos aufgehalten wurde und so seine Reifen nicht richtig aufwärmen konnte. "Unser Auto muss man auf der Outlap aber richtig pushen, sonst haben wir nicht die nötige Temperatur." So sei der zweite Versuch fast völlig verschenkt gewesen.
McLaren hätte hingegen ein viel schlechteres Qualifying oder sogar Rennen erleben können. In der Nacht von Freitag auf Samstag entdeckte das Team ein Getriebeproblem am Auto von Heikki Kovalainen. Früher hätte man einfach das komplette Getriebe ersetzt. Doch seit dieser Saison gilt: die Getriebe müssen vier Rennwochenenden halten. Ein Wechsel zieht eine Strafversetzung um 5 Plätze nach sich. Der Rückwärtsgang von drei der vier McLaren-Getrieben war bei einem Probelauf in der Fabrik beschädigt worden. Unter Aufsicht und in Rücksprache mit der FIA tauschte McLaren die betroffenen Teile in einer Nacht und Nebel Aktion aus.
2. - S wie Start
Melbourne sieht nicht nur den ersten Start der neuen Saison, es wird auch der erste Start ohne Fahrhilfen seit einer langen Zeit. Natürlich ist die Launch Control schon länger verboten, aber dank der Traktionskontrolle und ausgeklügelter Softwaresysteme hatten die Teams trotzdem eine Art Starthilfe eingebaut. "Im letzten Jahr war es einfach", gestand Lewis Hamilton, "jetzt liegt es ohne die Elektronik an jedem Fahrer selbst." Norbert Haug erwartet deshalb Verschiebungen. "Es ist nicht so leicht, ohne durchdrehende Räder loszufahren." Auch Mario Theissen glaubt, dass die neue Startprozedur für ein bisschen Unruhe sorgen wird. "Ich hoffe aber nur hinter uns."
Nick Heidfeld nimmt es locker. "Wir haben bei den Tests täglich Starts geübt, da ging es meistens gut." Dennoch hält er den Start für relativ unvorhersehbar. "Die Unterschiede könnten größer sein." Teamkollege Kubica erinnert: "Und in der Formel 1 sind Starts sehr wichtig." Gerade auf engen Strecken wie Melbourne, wo Überholmanöver sehr schwierig sind. Eine konservative oder aggressive Vorgehensweise gibt es laut Theissen aber nicht, "jedenfalls nicht bei uns".
Die McLaren-Fahrer setzen auf einen anderen Vorteil. "Zum Glück starte ich auf der sauberen Seite der Strecke, hoffentlich hilft mir das ein bisschen", sagt Hamilton. "Die Innenseite ist immer ein Vorteil, unabhängig davon, ob man eine Traktionskontrolle oder ein Launch System hat oder nicht", fügt Kovalainen hinzu. "Es wird aber schwer, einen sauberen Start zu schaffen. Viel leichter ist es, einen schlechten Start zu haben. Hoffentlich hilft mir die Innenseite." Norbert Haug kommen die Position 1 und 3 aus dem gleichen Grund entgegen. "Das ist unser Traum, da dort die Griplinie besser ist, es ist die bessere Seite."
3. - S wie Schlüsselstellen
"Der Albert Park ist im Prinzip ein Straßenkurs", sagt BMW Sauber-Tester Christian Klien. "Hier findet nur ein Rennen im Jahr statt und den Rest der Zeit werden die meisten Streckenteile als öffentliche Straßen benützt oder sind für den Verkehr gesperrt. Deswegen gibt es hier so gut wie keinen Grip." Das bedeutet, dass sich vom Freitag bis zum Sonntag auch täglich die Bedingungen ändern. "Dazu kommt, dass nicht nur der Asphalt rutschig ist. Überall auf der Strecke hast Du die weißen und gelben Bodenmarkierungen der öffentlichen Straßen. Da musst du doppelt aufpassen, speziell wenn es nass ist."
In Summe ist es eine mittelschnelle Formel 1-Strecke mit einer einzigen Highspeed-Kurve, der Schikane zwischen Kurve 11 und 12. "Danach kommt man zu einer guten Überholmöglichkeit vor Kurve 13. Der Ausgang von Kurve 12 verleitet leicht zu Fehlern." Wenn ein Fahrer hier mit den Rädern über den Randstein fährt kann ihn der nachfolgende Pilot ganz gut überholen. "Das ist die größte Herausforderung der Strecke", weiß Renault-Chefingenieur Pat Symonds. Dort wird Mut noch belohnt. Im Hinblick auf die Rundenzeit sind diese beiden Kurven nicht unbedingt die wichtigsten, "aber obwohl man hier nicht viel Zeit gutmachen kann, ist es extrem einfach mit einem Fehler viel zu verlieren." Und: Ein Fehler in einer der beiden Kurven kostet wichtige km/h auf der folgenden Geraden. Das wiederum könnte im Rennen eine Position kosten.
4. - S wie Setup
Die Strecke im Albert Park ist ein 5,3 Kilometer langer Stop-and-Go-Kurs mit zahlreichen langsamen Kurven. Die langsamen Zweitegangkurven zwingen die Ingenieure jedoch zu einem Setupkompromiss: hoher Speed bei gleichzeitig maximalem Abtrieb. Die flacheren Flügel für die Highspeedpassagen kosten die Piloten Grip in den langsamen Bereichen, somit wird es für sie schwieriger aufs Gas zu steigen. Das wird dieser Tage ohne Traktionskontrolle noch kniffliger. Erschwert wird dies durch die wellige Streckenoberfläche, die den Fahrern vor allem in einigen Anbremszonen Probleme bereitet. Vor allem in den Kurven 11 und 12 müssen die Autos relativ steif abgestimmt sein. Dort werden schnelle Richtungswechsel von ihnen verlangt. Auch eine gute Bremsstabilität ist von Nöten. Die Stop-and-Go-Charakteristik macht den Kurs zu einem der härtesten für die Bremsen. Dabei spielt nicht die Stärke der Bremsmanöver eine entscheidende Rolle, sondern vielmehr deren Häufigkeit.
5. - S wie Strategie
Melbourne ist traditionell ein Zweistopprennen. Dabei erwartet Mario Theissen durchaus unterschiedliche Boxenstoppfenster von frühen bis späten ersten Stopps - und auch verschiedene Strategien. Nur ein Einstopprennen schließt er aus. "Allein von dem, was wir über die weichen Reifen gelernt haben, geht das nicht." Drei Stopps hält er aber durchaus für möglich.
Aus Sicht von Alex Wurz kommt sogar ein BMW Sauber-Pilot dafür in Frage. "Wir müssen abwarten, wie viel Sprit Kubica drin hat. Möglicherweise ist er als einziger Fahrer da vorne auf einer Dreistoppstrategie." Theissen hielt sich dazu bedeckt, sprach viel lieber darüber, wie gut Kubica die Strecke im Albert Park liege. Aber ist er leichter? "Das werden wir morgen sehen." Auch Nick Heidfeld wollte das weder ausschließen noch bestätigen. "Ich kann wie immer nicht sagen, wer mehr Sprit drin hat. Aber ich hoffe, dass es im Rennen gut läuft."
"Es ist toll, jetzt mit ihnen zu kämpfen. Morgen werden wir sehen, welche Strategie sie haben", zweifelt Lewis Hamilton noch an der Spritmenge in Kubicas Tank. In der Vergangenheit setzte BMW Sauber gerne mal auf ein leichtes Auto. "Ob das wieder der Fall ist oder nicht, werden wir sehen", so Hamilton. Sein Ex-Teamkollege Fernando Alonso glaubt hingegen, dass BMW Sauber auf gleichem Level mit McLaren ist. "Kubica war im ersten Qualifying auf P1 und im zweiten Qualifying auf P2. Der zweite Platz in Q3 ist kein Ergebnis der Benzinladung, da BMW auch vorher auf P1 und zwei war." Dem stimmt Norbert Haug zu: "Wenn man das Q2 nimmt und den Fehler einrechnet, muss BMW so schnell sein wie wir."
Angesichts der hohen Safety Car-Wahrscheinlichkeit in Melbourne könnte eine Anpassung der Strategie Sinn machen. "Aber wenn dann kein Safety Car kommt, ist das nicht erfolgreich", spricht das gebrannte Kind Theissen aus Erfahrung. Bei McLaren ging man keine Kompromisse zugunsten der Startposition ein. "Wir haben keine Harakiri-Strategie, um vorne zu sein", betonte Haug. Letztes Jahr stoppte McLaren mit Alonso in Runde 22 und Hamilton in Runde 23 als letztes unter den Topteams. Als erstes kam übrigens BMW Sauber mit Heidfeld in Runde 14, Kubica stoppte erst in Runde 21. Diesmal könnte es umgekehrt sein.
Rubens Barrichello muss derweil woanders positive Aspekte suchen. "Nicht unter den Top10 zu sein, könnte sogar einen Vorteil haben, denn dadurch sind wir mit der Strategie flexibler", meinte er. Und dann ist da ja noch Ross Brawn: "Er hat hier den gleichen Einfluss auf die Strategie wie bei Ferrari, aber er muss natürlich auch das Team noch kennen lernen, bis sich das optimal auswirken kann."
6. - S wie Sonntagswetter
Mindestens 36 Grad werden für den Renntag erwartet. Giancarlo Fisichella hofft, dass es nicht ganz so heiß wird. Er ist erkältet, hat sogar Fieber. "Es wird sauhart", sagt Nico Rosberg. Aber nicht nur für die Fahrer, "bei den Temperaturen wird es auch hart für die Mechanik". Williams stört das nicht. "Für uns heißt es, je heißer, desto besser. Besonders bei der Aerodynamik. Da sind wir wirklich gut." Nur die Reifen werden ihre Probleme haben. "Auf einer Runde war es okay, aber morgen wird es ein Problem sein."
"Die warmen Bedingungen werden für alle Teilnehmer eine Herausforderung", pflichtet Honda-Ingenieur Steve Clark bei. "Bei der Zuverlässigkeit und bei den Reifen mit der Benzinladung für das Rennen. Dadurch könnten sich für uns Möglichkeiten ergeben, näher an die Punkte zu kommen." Selbst auf das Kräfteverhältnis haben die Temperaturen Einfluss. "Das ist extrem schwierig einzuschätzen, weil es morgen noch wärmer sein soll", sagt Nick Heidfeld. Denn unter solchen Bedingungen haben die Teams im Winter nicht testen können.
7. - S wie Spannung
Am Samstag waren alle von BMW Sauber überrascht. "Man muss immer auf sie aufpassen, sie können stark sein", weiß auch Felipe Massa. Vielleicht springt sogar der für dieses Jahr angepeilte erste Sieg heraus. "Die Chancen sind viel besser als erwartet. Eine gewisse Chance auf den Sieg ist immer da", sagt Heidfeld, "weil ein Rennen immer chaotisch verlaufen kann. Aber heute waren wir vom Speed her so nah dran wie fast noch nie - wenn wir Kanada 2007 außen vorlassen. Wir waren unerwartet stark."
Mario Theissen nimmt den Begriff Sieg noch nicht in den Mund. Aber an ein Podium denkt er schon. "Man will sich nicht nach hinten orientieren", sagt er. "Aber Felipe Massa steht hinter uns, der hat sicher noch ein paar Pfeile im Köcher, auch Kovalainen. Warten wir es ab. Wir haben auf jeden Fall eine gute Ausgangsbasis."
Die hat auch McLaren Mercedes. "Wir sind so unterwegs, dass wir um den Sieg fahren können", betont Haug, "aber den haben wir noch nicht. Wir müssen uns noch anstrengen." Auch gegen Felipe Massa, dessen Ferrari bei den Wintertests sehr stark auf Long Runs war. "Wir haben eine gute Rennpace", kündigt er an. "Es ist immer besser, vorne zu stehen, aber wir können kämpfen und Plätze gutmachen. Wenn man hinten startet, ist es schwierig", sagt er vielleicht in Anspielung auf seinen Teamkollegen Kimi Räikkönen, "aber wenn man vorne startet, gibt es immer eine Chance."
diese Formel 1 Hintergrund