Rund um Lewis Hamilton splitterte das Karbon, kollidierten die Kontrahenten und flogen die Autos durch den Melbourner Luftraum. Den Briten ließ das kalt. Er drehte seine Runden unbeeindruckt vom Chaos im Albert Park. Nur in den Runden kurz nach seinen beiden Boxenstopps gab er die Führung zwischenzeitlich an seinen Teamkollegen ab. Nach den verlorenen WM-Titeln, der Strafe und dem Spionagewirbel war das Balsam auf die silberne Seele.

Wirklich gefordert wurde Hamilton nie. Robert Kubica war von Beginn an nicht schnell genug, um den McLaren mit der Startnummer 22 zu gefährden, fiel mit körnenden Reifen immer weiter zurück. Auch Teamkollege Heikki Kovalainen konnte nur bedingt mithalten und hätte wohl eh kein Überholmanöver riskiert. Die Ferrari-Piloten Felipe Massa und Kimi Räikkönen eliminierten sich durch Fehler und Defekte selbst. Und die Podestbesucher Nick Heidfeld und Nico Rosberg waren keine Gegner für Hamilton.

"Wenn ich gemusst hätte, hätte ich noch mehr pushen können", sagte Hamilton folgerichtig. "Aber ich lag mit meiner Pace ziemlich komfortabel vorne." Die Spazierfahrt im Chaos von Melbourne bedeutet allerdings noch lange nicht, dass es so weitergehen wird. Die Strecke im Albert Park hat eine einzigartige Charakteristik, die sich nicht 1:1 auf die folgenden Kurse übertragen lässt. Letztes Jahr dominierte Kimi Räikkönen den Auftakt-GP, aber schon beim nächsten Rennen in Malaysia war McLaren vorne.

"Für unser Team war dies ein erfreuliches Wochenende, doch wir haben noch einen weiten Weg vor uns und unterschätzen unsere Gegner nicht", betonte Teamboss Ron Dennis. Bis zum nächsten Rennen werde man versuchen, die Leistung von Ferrari zu analysieren und zu verstehen. "Man sollte in dieses Rennen nicht zu viel hineininterpretieren. Wir machen uns nicht die Illusion, dass dies ihre wahre Stärke war. Sie werden schon beim nächsten Rennen konkurrenzfähig sein - wie in der gesamten Saison."

Champagner für Hamilton, Sorgenfalten bei Ferrari., Foto: Sutton
Champagner für Hamilton, Sorgenfalten bei Ferrari., Foto: Sutton

Auch Hamilton beruft sich darauf, dass noch 17 Rennen zu fahren sind. "Ferrari wurde im Winter stark gehypt, sie hatten hier ein hartes Wochenende, aber das kann jedem im Laufe der Saison passieren." Man dürfe nicht vergessen, dass Ferrari weiterhin ein starkes Auto und zwei starke Fahrer habe. Die in Melbourne jedoch beide patzten. Felipe Massa hatte seinen Aussetzer schon am Start. "In der ersten Kurve habe ich die Kontrolle über das Auto verloren, während ich mit Kovalainen kämpfte und kam von der Strecke", sagte er gelassen. Christian Danner analysierte die Situation mit etwas mehr Feuer: " Massa ging es zu brasilianisch an, etwas mehr Ruhe im Team wäre vielleicht angebracht. Dann wird man Ferrari auch wieder vorne sehen."

Weltmeister Kimi Räikkönen leistete sich gleich zwei Fehler: einen Dreher und einen Ausrutscher ins Kiesbett. "Beim ersten Mal mit Glock kam ich mit einem Rad auf das Gras und beim zweiten Mal mit Kovalainen war ich etwas zu optimistisch." Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali machte aber noch mehr Gründe für das australische Debakel aus. "Das Qualifying ist der Schlüssel. Wenn man hinten startet, verliert man so viel Zeit. Kimi hing beispielsweise so lange hinter Rubens", klagte Domenicali.

Aber auch das reichte ihm noch nicht aus. "Wir hatten mit dem Safety Car wirklich Pech." Es sei für Ferrari immer im schlechtesten Moment herausgekommen. "Die zweite Phase war für die anderen perfekt, aber für uns ein Desaster." Fahrfehler, schlechte Ausgangslage und Pech mit dem Safety-Car - das ist die frustrierende Dreifaltigkeit aus Maranello. Bei der Leistung sah Domenicali keinen Rückstand. "In punkto Konstanz und Leistung war es gut, deswegen war der Verkehr auch schade. Denn in den wenigen freien Runden haben wir gezeigt, dass die Leistung im Rennen da ist."

Im Qualifying fehlte sie auf einer schnellen Runde aber noch. Das gestand auch Felipe Massa ein. "Wir haben da Probleme, unsere Reifen auf Temperatur zu bringen." Schnellschüsse sind nach der Niederlage nicht zu erwarten. "Wir müssen jetzt cool bleiben", betonte Domenicali. "Nicht überreagieren, das macht den Unterschied. Unsere Leute werden jetzt sicher viel nachdenken, aber es wird keine Emotionen geben. Alles läuft rational."

An die Stelle von Ferrari trat in Melbourne BMW Sauber. Noch sieht Mario Theissen sein Team allerdings nicht ganz vorne. "Wir waren auf einer Runde mit fast leerem Tank und mit Benzin für das Rennen dran, aber vielleicht sind wir das noch nicht unter allen Rennbedingungen, sprich auf Long Runs." Beweise für diese These lieferten das starke Qualifying von Kubica, der nur zwei Runden früher tankte als Pole-Mann Hamilton, und die Anfangsphase des Rennens, in welcher der Pole dem Führenden, trotz ähnlicher Spritladung, nicht nah genug folgen konnte.

BMW Sauber nutzte das Debakel bei Ferrari., Foto: Sutton
BMW Sauber nutzte das Debakel bei Ferrari., Foto: Sutton

"Generell rechne ich mit einem Duell zwischen Ferrari und McLaren, habe aber Hoffnung auf BMW Sauber und Williams", sagt Danner. Es gibt also keinen Grund abzuheben. Theissen weiß zudem: "Ferrari hat dieses Wochenende deutlich unter Wert abgeschnitten. Den Gefallen werden sie uns bestimmt nicht noch mal tun." Andererseits hat BMW Sauber das getan, was man in ihrer Situation machen muss - die Fehler der Konkurrenz ausnutzen. "Genau dann muss man zur Stelle sein", lächelte Theissen.

Nick Heidfeld bestätigt, dass sich das Bild aus Australien nicht auf andere Strecken übertragen lasse, allerdings sei es der beste Indikator, den es bislang in diesem Jahr gebe. "Die Bedingungen waren für alle gleich, es kann sich natürlich noch ein bisschen etwas tun, aber es wird sich nicht komplett umdrehen." Für BMW Sauber heißt das, dass sich die kurzfristigen Ziele verändern. "Aufs ganze Jahr gesehen, ist es eh klar: wir wollen gewinnen. Aber die Tatsache, dass wir jetzt schon so stark sind, macht das wahrscheinlicher." Vor dem Rennen habe man gehofft, die dritte Kraft zu sein, jetzt hoffe man, an der Spitze dranbleiben zu können. Noch ist es also kein Dreikampf, aber was nicht ist, kann ja noch werden...

Die 8 Fragezeichen: Das Chaos entschlüsselt

Wie kamen sich Heidfeld und Rosberg ins Gehege?
Schon am Start lagen die beiden Deutschen im Clinch. "Ich habe den Start perfekt hinbekommen", sagte Rosberg, der an Trulli und Heidfeld vorbeiging. Heidfeld schrieb das Rennen danach bereits ab. "Mein Start war nicht gut und der von Nico war sensationell." Aber den Platz, den er am Start verloren hatte, holte sich Heidfeld an der Box zurück. "Beim Rausfahren war es eng zwischen Nico und mir, aber noch im Rahmen." Heidfeld glaubt, Rosberg so viel Platz wie möglich gelassen zu haben, was Rosberg etwas anders sah. "Aber man muss einfach gestehen, dass wir bessere Arbeit gemacht haben", beharrte Heidfeld. "Ich habe bei der Boxeneinfahrt ein paar Meter gutgemacht und dann hatten wir den besseren Boxenstopp." Nico war es - offiziell - letztlich egal: "Ich sehe es nicht so, dass ich einen Platz verloren habe, ich habe einen Podestplatz gewonnen."

Warum hob Timo Glock ab?
Glock wollte den Vorsprung auf Kimi Räikkönen vergrößern, kam dabei zu weit über den Kerb hinaus. Auf dem Weg zurück auf die Strecke erwartete er keine solche Bodenwelle, wie er sie antraf. "In dem Moment gab es den Megaschlag und es hat mich ausgehebelt." Bei der Landung brach seine Radaufhängung. "So etwas kann man nur als Skandal bezeichnen", schimpfte Christian Danner. "Der Übergang zwischen Strecke und Auslaufzone muss glatt sein, sonst heben die Autos ab." Glock nahm es hinterher mit Humor: "Diese Bodenwelle sollte auf gar keinen Fall da sein. Ich weiß nicht, ob die hier im Winter Skispringen machen..."

Vorzeitiges Ende für David Coulthard., Foto: Sutton
Vorzeitiges Ende für David Coulthard., Foto: Sutton

Wie kam Alonso wieder an Kovalainen vorbei?
Kaum war Kovalainen in einem harten Zweikampf an Alonso vorbeigegangen, hatte ihn der Spanier schon wieder kassiert. Der Grund war ein Missgeschick des Finnen. "Auf der langen Geraden wollte ich ein Abreißvisier abreißen, weil es voller Öl war und ich kaum noch etwas sehen konnte, und kam dabei versehentlich mit der Faust auf den Speedlimiter", gestand Kovalainen. "Es war mein Fehler."

Wer trägt die Schuld: Massa oder Coulthard?
Felipe Massa war schneller, Felipe Massa wollte unbedingt vorbei, aber David Coulthard war schon in der Kurve. "Ich kann verstehen, dass Felipe ein schnelleres Auto hatte und vorbei wollte, aber man muss schon daneben sein, besonders vor Kurve 1, da kann man nicht einfach reinstoßen", beschwerte sich der Schotte. An dieser Stelle müsse man früh einlenken, nicht wie in einer Haarnadel wie Kurve 3, wo man die Tür lange offen lassen könne. "Ich habe letztes Jahr einen Fehler begangen, als ich gegen Alex [Wurz] ein zu großes Risiko einging, aber ich habe dafür die volle Verantwortung übernommen - das würde ich heute auch von Felipe erwarten." Massa sah das anders: "Ich war innen und er hat die Tür zugemacht; vielleicht, weil er mich nicht gesehen hat." Stefano Domenicali berief sich auf den Schiedsrichter: "Die Rennleitung hat keine Maßnahmen ergriffen."

Was passierte in Kurve 1?
Schon der Start war chaotisch. Vier Fahrer steuerten am Ende des Feldes auf die erste Kurve zu. Giancarlo Fisichella war mittendrin und flog hochkant ins Kiesbett: "Ein anderer Fahrer rammte wie ein Kamikaze in mein Auto." Dieser Jemand war GP-Debütant Nelsinho Piquet. "Als Piquet innen durchgehämmert ist, dachte ich mir, dass manchen Leuten vielleicht ein bisschen zu warm ist", sagte Timo Glock, der zwischen Fisichella und dem heranhämmernden Piquet steckte. Ähnlich sah Mike Gascoyne die Szene vom Kommandostand: "Jemand war außen neben Giancarlo und Glock und Piquet waren auf der Innenseite außer Kontrolle. Es gab einfach keinen Platz, wohin er hätte ausweichen können." Und was sagt Piquet Junior? "Ich hatte einen guten Start und konnte einige Plätze in der ersten Runde gutmachen. Leider wurde ich am Start getroffen, wobei mein Auto beschädigt wurde." Er wurde getroffen...

Was passierte in Runde 1?
Mit dem Erstkurvenzwischenfall war das Adrenalin der ersten Runde noch nicht verbraucht. Sebastian Vettel fiel am Start zurück, hatte Räikkönen links von sich und Button rechts. "Ich wollte so nahe wie möglich an Kimi dran bleiben, damit ich dem Auto rechts genug Platz gebe. Als ich in die Kurve ging, hatte ich das Gefühl, dass ich rechts getroffen wurde. Das drehte mich herum und ich war mitten in einer Kollision", war Vettel enttäuscht. Mark Webber bestätigte diese Worte: "Jemand hat Jenson innen getroffen und ich musste aufs Gras." Noch ging es für Webber weiter, aber Button war draußen: "Wir sind zu dritt oder zu viert nebeneinander durch die enge und schnelle erste Kurve. Ich berührte Vettel am Seitenkasten, was ihn zu drehen schien und dann drehte er sich ein und traf mein Hinterrad, als ich vorbeiging."

Die zweite Flugeinlage des Force India fand ohne Fahrer statt., Foto: Sutton
Die zweite Flugeinlage des Force India fand ohne Fahrer statt., Foto: Sutton

Für Webber ging es noch weiter: "Plötzlich war Nakajima ohne Frontflügel neben mir. Da dachte ich mir: Das könnte interessant werden." Nakajima kam erwartungsgemäß ins Straucheln, aber auch Davidson war direkt dahinter. "Ich versuchte ihnen so viel Raum wie möglich zu geben", so Webber. "Aber obwohl ich keinen Kontakt spürte, bekam mein Auto hinten links einen Schlag von Davidson ab." Der sagte, dass er ohne eigenes Verschulden zwischen zwei Autos eingeklemmt worden sei. "Ich versuchte das Unvermeidliche zu vermeiden, bremste, um mich von ihnen fernzuhalten, aber die Autos rechts und links von mir fuhren einfach über meine Vorderräder. Ich konnte nirgends ausweichen." Für Davidson und Webber war das Rennen gelaufen. Nakajima konnte nach einem Reparaturstopp weiterfahren, überstand kurz vor Rennende eine weitere Kollision und holte drei Punkte.

Wieso fuhr Nakajima Kubica ins Heck?
"Noch vor dem Restart ist mir Nakajima in Kurve 14 hinten rein gekracht - vielleicht hat er etwas geschlafen", sagte Kubica kurz angebunden. Danach waren seine Radaufhängung, der Heckflügel und der Reifen hinten rechts irreparabel beschädigt. "Es war ein heftiger Aufprall", versicherte Willy Rampf. Nakajima wurde nach dem Rennen von der Rennleitung mit einer Strafversetzung um 10 Startplätze für das nächste Rennen in Malaysia bedacht.

Was war mit Rubens Barrichello?
Er war der Unglücksrabe des Rennens. Kurz vor seinem geplanten zweiten Boxenstopp kam das Safety Car auf die Strecke. Barrichello musste jedoch in die Box, da ihm sonst der Sprit ausgegangen wäre. Weil die Boxengasse noch nicht geöffnet war, erhielt er eine 10 Sekunden Stop-and-Go-Strafe. Beim Boxenstopp schickte ihn der Lollipopmann zu früh los, so dass er den Tankschlauch beim Wegfahren aus dem Auto riss. Zu allem Überfluss überfuhr er eine rote Boxenampel, wofür er im Nachhinein disqualifiziert wurde. Statt einem Podestplatz fuhr Barrichello so null Punkte ein. "Das war eine ungünstige Verkettung der Ereignisse", meinte er.