Max Verstappen ging am Ende des Spanien-GPs der Formel 1 zu weit. So viel gestand der Weltmeister nach Reflexion am Montag sogar selbst. Es scheint einfach, die Ursache in einer bizarren Reifenwahl seines Teams für den Safety-Car-Restart zu suchen. Der harte Reifen hatte aber mehrere Gründe - und einer davon war, dass Red Bulls Strategie-Abteilung in Barcelona eigentlich vor dem späten Safety Car einen Genie-Streich versucht hatte.

Dass das Rennen um den Sieg gegen McLaren schwierig werden würde, war von Anfang an klar gewesen. Erst recht, als Pole-Mann Oscar Piastri klar den Start gewann und als Führender aus der ersten Kurve kam. Verstappen hatte zwar Lando Norris vom zweiten Platz verdrängen können, aber schnell wurde Red Bull klar: Sie hatten ein Defizit im Reifen-Management.

Verstappen konnte den Anschluss an Piastri nicht halten. In Runde 13 konnte er, jetzt schon über vier Sekunden hinten, nur tatenlos zusehen, wie Norris ihm in der ersten Kurve mit massivem Überschuss den zweiten Platz entriss. "In einem direkten Kampf hatten wir keine Chance", sagt Teamchef Christian Horner. Also wurden die Red-Bull-Strategen kreativ.

Red Bull wechselt Strategie: Drei Stopps in Barcelona sogar schneller

Am Ende von Runde 13 bog Verstappen in die Box ab. "Bei der Runde war sofort klar, dass es eine Drei-Stopp-Strategie ist", rekapituliert McLaren-Teamchef Andrea Stella nach dem Rennen. Wichtig wird hier erstmals, welche Reifen das auf Soft gestartete Spitzentrio jetzt noch hatte.

Alle hatten einen Hard. Der galt seit Freitag wegen eines Grip-Defizits als wertlos. Alle hatten einen Medium. Der war gut, aber wohl kaum für über 30 Runden gut. Der anspruchsvolle Circuit de Catalunya lässt den linken Vorderreifen über die Distanz stark verschleißen, während der Hinterreifen zugleich unter der Hitze leidet. Weiters hatten alle drei noch drei Soft-Reifen. Verstappen steckte einen dieser drei Soft auf. Soft-Soft-Medium schien bei 52 verbleibenden Runden utopisch. "Wir haben kurz darüber nachgedacht und uns dann entschieden, nichts zu tun", sagt Stella.

FahrerHardMediumSoft
Piastri1x neu1x neu1x neu, 3x alt
Norris1x neu1x neu1x neu, 3x alt
Verstappen1x neu1x neu1x neu, 3x alt

McLaren hatte mit dem reifenschonenden MCL39 zwei Stopps als optimale Lösung auf dem Zettel. Der Red Bull hätte das nie auch nur annähernd schnell geschafft. "Die hätten beim Safety Car 20 Sekunden vor uns sein müssen", meint Horner nach dem Rennen. Mit dem RB21 war die Dreistopp-Strategie in Sachen optimaler Rennzeit sogar die schnellere. Wohl weil das Defizit im Reifenmanagement dadurch nicht so stark hervorgestrichen wurde.

Max Verstappen mit Renn-Feuerwerk dank Zusatz-Stopp

Ein langsameres Auto mit einem pfeilschnellen Fahrer hinter dem Lenkrad auf so eine Strategie umzustellen, fördert da oft überraschende Ergebnisse zutage. Der Ablauf ist stets der gleiche: Man befreit seinen Fahrer vom schlimmsten Pace-Management. Dann kann er voll pushen und sein ganzes Können ausspielen, um auf der Strecke den Zusatz-Stopp herauszufahren.

Auf seinem zweiten Soft-Stint brannte Verstappen ein Feuerwerk ab. Ohne einen allzu schlimmen Pace-Einbruch zu erleben. Er begann im mittleren 1:19er-Bereich und beendete 13 Runden später im mittleren 1:20er-Bereich. Als die McLaren zu ihren ersten Stopps kamen, fielen sie daher beide erst einmal sechs respektive zehn Sekunden hinter Verstappen zurück. Für den Red-Bull-Piloten war klar: Er musste jetzt die Pace hochhalten, nachdem er beim zweiten Stopp auf Medium in Runde 31 wieder hinter die beiden zurückfiel.

Verstappen verliert Rennen auf Medium: Piastri hat zu viel in der Hinterhand

Die McLaren-Strategen waren alarmiert, als Verstappen nun vier Runden in Folge eineinhalb Sekunden schneller fuhr als Piastri. Als sie ihre Fahrer baten, das Tempo auf ihren nun schon zehn Runden alten Mediums zu verschärfen, wurde es noch wärmer. "Beide antworteten, sie seien sich nicht sicher, ob noch mehr ginge", sagt Stella. "Dann bekamen wir etwas Angst, dass die Lage doch offener sei als im ersten Stint."

Es ist das Risiko der Zwei-Stopp-Strategie: Man muss irgendwann mehr als geplant pushen, um einen Dreistopper abzuwehren. "Wenn dir dann die Reifen eingehen, musst du trotzdem weiterfahren, und es wird brutal", weiß Stella. Wenn Verstappen wie im zweiten nun auch im dritten Stint im Schnitt eine Sekunde pro Runde gutmachen würde, so hätte er kurz nach Runde 40 Norris eingeholt. Und alle drei würden dann noch einmal stoppen müssen - Verstappen aber später, wodurch er auf einem Schluss-Sprint in der Theorie dann zum Reifen-Management gezwungenen McLaren überholen könnte.

Doch der Red-Bull-Spaß hörte in Runde 38 auf. Als Piastri sich von Überrundungsverkehr befreit hatte und wieder in den Rhythmus fand. Während Verstappen sich auf dem Medium wohl verschätzt hatte. Der Reifen hatte unter der brutalen 1:18er-Anfangspace schwer gelitten und brach nun ein. Ab Runde 43 war Piastri trotz sieben Runden älterer Medium wieder schneller als Verstappen.

Red Bull spielte die letzte Strategie-Karte, aber sie war kein Trumpf mehr. Man hatte gehofft, zumindest so nah an die McLaren ranzukommen, um sie mittels verfrühtem Stopp dank des in Barcelona über zwei Sekunden pro Runde bringenden Undercuts zu bedrängen. "An einem Punkt war das gefährlich, weil Oscar und Lando nur zweieinhalb Sekunden getrennt waren", meint Stella. So hätte McLaren eventuell Norris' zweiten Platz opfern müssen, um Piastris Sieg zu retten, denn man hätte Piastri sofort stoppen müssen, um den Verstappen-Undercut zu unterbinden.

Doch in Runde 40 war es zu früh für Verstappen, um diesen Trick zu versuchen. 26 Runden auf Soft durchzufahren war ambitioniert, und er war zu weit von Norris weg. Piastris zeitgleiche Wiederauferstehung machte Red Bulls Undercut-Gefahr in den folgenden Runden zahnlos. Verstappens Stopp am Ende von Runde 47 verpuffte wirkungslos. Norris konnte gefahrlos in Runde 48, Piastri in Runde 49 abdecken.

Alle F1-Boxenstopps beim Spanien-GP grafisch dargestellt
Alle Boxenstopps bei der Formel 1 in Barcelona, Foto: Pirelli Sport

Safety Car erwischt Red-Bull-Strategen mit leerer Barcelona-Garage

Es war ein guter Kampf gewesen, und Verstappen war viel näher dran als er hätte sein sollen - aber nie nah genug, um ernsthaft an mehr als P3 zu denken. Red Bulls Strategie-Abteilung hatte damit alle guten Karten gespielt. Dann kam das Safety Car. Zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt. Das war die Gefahr einer Dreistopp-Strategie in Barcelona.

Was hatte Verstappen nun schon verbraten? Seinen einzigen Medium. Seinen einzigen neuen Soft. Zwei alte Soft aus dem Qualifying. Der dritte alte Soft? Der hatte nicht nur Qualifying-Runden drauf, sondern auch die Sichtungsrunden vor dem Start. Inklusive Probestarts. Damit waren die einzigen realistischen Optionen: Draußenbleiben oder den als wertlos geltenden Hard aufziehen. "Unser Gefühl war, dass ein neuer Hard besser wäre als ein nach acht Runden schwer verschlissener Soft", meint Horner.

Sein McLaren-Gegenpart Stella kann es verstehen: "Wenn du so viel Abbau hast, dann wirst du immer zu einem Stopp getrieben." Rückblickend wäre Red Bull draußengeblieben. Man hätte die Führung dank der McLaren-Stopps übernommen. "Die McLaren hätten uns überholt, aber Leclerc auch? Das ist subjektiv, dann musst du dich entscheiden", meint Horner.

Man entschied auf Hard, und das Unheil nahm seinen Lauf. Piastri nahm vor dem Restart viel Tempo raus. Verstappen kam ohne Grip beim Restart an, wurde von Charles Leclerc überholt und verstrickte sich schließlich in das dramatische Duell mit George Russell, an dessen Ende die beiden hin zu Kurve 5 kollidierten. War da Absicht dabei? Wir haben alle Stimmen und Daten zur Kollision hier gesammelt: