Vor dem Formel-1-Qualifying in Saudi-Arabien-GP waren sich alle einig: McLaren verfügt an diesem Wochenende über das schnellste Auto. Diese Gewissheit ist vor dem F1-Rennen heute nicht verflogen, mit einem bedeutenden Unterschied allerdings: Es steht kein McLaren auf Pole, sondern wieder einmal Max Verstappen, der wie schon in Japan ein vermeintlich unterlegenes Auto gegen die Papaya-Brigade auf die Pole manövrierte.
Vor dem Rennen auf dem Jeddah Corniche Circuit stellt sich also jene Frage, an deren Beantwortung die Strategen im Team von Andrea Stella vor zwei Wochen gescheitert ist: Wie soll man den Verteidigungsriegel des Formel-1-Weltmeisters knacken? Eine strategisch vorteilhafte Überzahl kann man heute im Rennen nicht geltend machen, dafür sorgte Lando Norris mit seinem Unfall in Q3, dennoch ist die Ausgangslage für Team Woking alles andere als hoffnungslos.
McLaren lauert auf DRS und Longrun: Max Verstappen diesmal angreifbar
Zumal der Stadtkurs in der Metropole am Roten Meer trotz zahlreicher Parallelen nicht vollumfänglich mit Japan vergleichbar ist. Von der Streckencharakteristik schon: Viel Grip, sehr viele schnelle Kurven, ein flüssiges Layout und ein zahmer Asphalt für die Reifen - diese Faktoren ließen den Red Bull erst wieder polefähig werden. Doch Jeddah ist nicht nur Highspeed, sondern hat auch drei DRS-Zonen vorzuweisen. Zur Erinnerung: In Japan war es nur deren eine.
Überholmanöver sind also um einiges einfacher, wenn auch nach wie vor kein leichtes Spiel, wie die letzten Saudi-GPs bewiesen. Formel-1-Reifenhersteller Pirelli ging außerdem im Vergleich zum letzten Jahr einen Schritt weicher in die Wüstenstadt. Anstelle der goldenen Mitte von C2 bis C4 brachten die Italiener die Reifenmischungen von C3 bis C5 mit.
Die Hoffnung, dadurch 2-Stopp-Strategien in eine konkurrenzfähige Alternative zu verwandeln, wird sich trotzdem nicht erfüllen, erwartete Pirellis F1-Boss Mario Isola am Vorabend vor dem Grand Prix: "Eine 1-Stopp mit dem Medium und dem Hard-Reifen ist die schnellste Variante auf dem Papier." Nichtsdestotrotz rückt Reifenmanagement dadurch etwas mehr in den Fokus, in der Vergangenheit konnte man diesen Faktor in Jeddah eigentlich pauschal außen vor lassen. 2024 dauerte der letzte Stint beispielsweise bei den meisten 43 Runden.

Max Verstappen fürchtet Longruns: Wird nicht genug sein
Mehr Reifenmanagement spielt McLaren in die Karten, die nicht nur historisch betrachtet besser mit den Pneus umgehen, sondern dies auch in den Longruns im FP2 am Freitag unter Beweis stellten. Die verkürzten Rennsimulationen ließen das Pendel in Richtung der WM-Führenden ausschlagen, vor allem in Richtung Oscar Piastri. Red Bull hingegen hatte hingegen große Probleme im Longrun.
Motorsportberater Dr. Helmut Marko hatte nach den Freitagstrainings Verbesserungen in diese Richtung versprochen. Verstappen gab sich nach seiner Pole am Samstag dennoch pessimistisch: "Unsere Longruns haben nicht gut ausgesehen. So wie sich das Auto am Qualifying-Tag reagiert hatte, wird es ein bisschen besser sein. Aber ich denke nicht, dass es genug sein wird, um herausragend konkurrenzfähig zu sein, vor allem auf dem Medium."
Auch bei Marko regiert mit Blick auf die Erfolgsaussichten der Setupanpassungen für denn Renntrimm vielmehr das Prinzip Hoffnung. Eine Ass weiß er allerdings im Ärmel des Champions: "Wenn du ganz vorne losfährst und saubere Luft hast, dann ist das Leben wesentlich leichter. Da liegt die Hoffnung schon bei uns, dass wir das Rennen vorne beenden können."
Für Verstappen sprechen die geringen strategischen Spielräume im Grand Prix. Wir erinnern uns an die Ansage von Isola: Medium-Hard ist die beste Wahl. Zwischen diesen beiden Reifensätze ist pacemäßig nicht viel um. Pirelli hat errechnet, dass der Unterschied zwei bis drei Zehntelsekunden pro Runde beträgt, im Rennbetrieb halbiert sich dieses Delta ungefähr. Zudem ist das Undercut-Potenzial eher gering, wenn man die Reifen zu früh hart rannimmt, droht außerdem Graining. Das aber nur nebenbei, denn im Vergleich zum Vorjahr fällt dieses Risiko wesentlich geringer aus.
Was können George Russell und Charles Leclerc?
Sprich: Piastri muss auf der Strecke im Longrun ausreichend Pace-Vorteil kreieren können, um Verstappen entweder auch ohne Reifenvorteil besiegen zu können, oder über einen späteren Boxenstopp und einem Reifendelta gegen Ende des Rennens in die Knie zu zwingen. Für zweitere Variante wäre es natürlich Gift, falls noch ein weiterer Verfolger dem Duo im ersten Stint dicht auf den Fersen bleiben und Piastri ihn somit ebenfalls auf der Strecke überholen muss. George Russell wäre der logischste Kandidat dafür.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff rechnet sich von P3 aus sogar Siegchancen aus, wenn auch vorsichtig: "Max wird sich so breit wie möglich machen, Piastri war im Longrun der Schnellste, wir sind dort aber eine solide Größe", so Wolff auf Sky Deutschland. "Die Ferraris sind in den letzten Rennen am Ende immer stark geworden", betont er zudem. Mit Charles Leclerc auf Startplatz 4 könnte also noch ein weiterer Bremsblock für einen späten Piastri-Stopp drohen, das alles spricht gegen einen langen ersten Stint des Australiers.
Lando Norris vor Aufholjagd: Safety-Car-Poker oder nicht?
Was bedeutet das alles nicht nur für Piastri, sondern auch für Lando Norris? Dass ein Start auf einer alternativen Strategie bei einem normalen Rennverlauf nicht unbedingt viel Nutzen verspricht. Mit der logischen Konter-Variante auf dem Hard ins Rennen zu gehen, würde er nur erst recht Gefahr laufen im Verkehr hängen zu bleiben. Dann lieber doch die Flucht nach vorne? "Ich wäre nicht überrascht, wenn beide McLaren auf den Medium starten", sagt auch Mario Isola.
Aber ein Punkt spricht dann doch für einen Start auf dem harten Reifen. Stichwort Safety Car. Eine günstige Renn-Neutralisation gegen Ende des Rennens würde einem Hard-Starter voll in die Karten spielen. Ein Glücksspiel, das man von P10 aus gut und gerne eingehen könnte, zumal kaum eine Strecke im F1-Rennkelander derart zu SC-Phasen einlädt wie der unbarmherzige Highspeed-Stadtkurs. Bislang gab es bei jeder Ausgabe mindestens eine Safety-Car-Phase.
Darauf haben auch die Teams ihre Reifenplanung ausgelegt. Der harte Reifen, der nur wenig Spitzenperformance-Nachteil gegenüber dem Medium bietet, gleichzeitig aber deutlich beständiger ist als der gelb markierte Pneu, sollte der bevorzugte Rennreifen sein.
15 Fahrer haben sich beide Sätze, die an einem Wocheneden davon zur Verfügung stehen aufgespart, um notfalls auf 2-Stopp umstellen zu können. Williams, Haas und Gabriel Bortoleto sind die Ausnahmen. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass all jene Fahrer an diesem Wochenende noch keine einzige Runde auf dem Hard gedreht haben. Das Überraschungspotenzial bleibt also groß.
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