Liebe Motorsport-Magazin.com-Leser,

wenn ein Formel-1-Rennleiter einfach so ohne Begründung verabschiedet wird, dann ist das für mich ein echter Anlass für diesen Gastkommentar. Ich war schockiert, entsetzt und extrem verwundert. Denn ein Formel-1-Rennleiter ist eine exponierte Persönlichkeit. Darüber sollten wir reden.

Ich hatte in meiner Formel-1-Karriere mit vielen verschiedenen Rennleitern zu tun. Zu Beginn haben die Rennleiter von Strecke zu Strecke und von Land zu Land gewechselt. Dann kam mit Roland Bruynseraede der erste permanente Rennleiter. Später hatte ich bei RTL sehr intensiven Kontakt mit Charlie Whiting, dann mit Michael Masi und schließlich mit Niels Wittich.

Ich kann eines dazu sagen: Dieser Job ist nicht ohne. Man hat eine unglaubliche Verantwortung. Unter dem Druck, der hier auf einem lastet, kann das nicht jeder. Man muss Entscheidungen im Sinne des Sports und der Sicherheit treffen. Die Entlassung ist deshalb dramatisch, weil Formel-1-Rennleiter nicht auf Bäumen wachsen. Das sind Gewächse, die man über viele Jahre herangezüchtet hat.

Da gibt es für mich nur ein Resümee: Einen fehlerlos agierenden Rennleiter ohne Begründung auf die Straße zu setzen, ist nicht nur in sich skandalös, sondern es ist auch ausgesprochen nicht fertig gedacht. Wer soll denn dauernd nachwachsen?

FIA Rennleiter Michael Masi scherzt mit Red Bull Teamchef Christian Horner in der Formel-1-Startaufstellung.
Michael Masi geriet 2021 im WM-Kampf zwischen die Fronten, Foto: LAT Images

Wo ist denn der Nachwuchs an Rennleitern, die sich in diesem Job gegen einen Christian Horner, gegen einen Toto Wolf oder einen Zak Brown durchsetzen können? Der Druck ist so unglaublich groß. Gute Rennleiter im Motorsport sind nicht automatisch für diesen speziellen Job in der Formel 1 gemacht. Mit Eduardo Freitas hat man gesehen, dass es dann nicht jeder kann.

Wir hatten einen, der es konnte und fehlerlos agiert hat. Natürlich wird über die Arbeit diskutiert, weil jeder eine eigene Meinung hat. Für den einen ist eine Rote Flagge schlecht, für den anderen gut. Unterm Strich ist es aber genau das, was der Rennleiter machen muss: Unabhängig von subjektiven Fahrer-, Team- und Pressemeinungen eine objektiv richtige Entscheidung treffen. Im Herzen bin ich noch immer Fahrer und deshalb weiß ich, wie sich das anfühlt: Man fühlt sich immer ungerecht behandelt und schimpft über den Rennleiter.

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Und das gehört zu den Stärken von Niels Wittich. Er war völlig unbefangen. Er war ein starker Rennleiter, der das Regelbuch nicht ausgelegt, sondern es eins zu eins umgesetzt hat. Ich habe zuvor schon über den Nachwuchs gesprochen. Selbst wenn es geeignete Kandidaten gäbe: Wer tut sich denn diesen Job mit diesem Stress überhaupt noch an, wenn man - egal wie gut man ist - einfach gefeuert werden kann?

Und dann die Art und Weise, wie unsere Sportbehörde kommuniziert: Man bringt einfach vollendete Tatsachen an den Mann, die dann auch nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Man braucht sich nicht wundern, dass der ein oder andere Mal nachhakt.

Danner: FIA-Präsident zu dünnhäutig?

Und das zweite große Thema ist natürlich das Warum. Denn man kann ja nicht einfach - auch im Geschäftsleben - jemanden feuern, weil man sich denkt, dass einem seine Nase nicht mehr passt. Wenn es ein Gremium beschlossen haben sollte, bräuchte man Argumente. Die gab es aber nicht. Mein erster Gedanke war der Brief der GPDA. Aber darin ging es nicht um den Rennleiter: Es ging um den Präsidenten. Vielleicht ist da bei ihm eine gewisse Dünnhäutigkeit entstanden.

Das Ablenken von Problemen ist noch lange kein Grund, den Rennleiter zu feuern. Im Hinblick auf die Tatsache, dass es eigentlich keinen richtigen Nachwuchs gibt, halte ich das für eine fatale Fehlentscheidung der FIA. Es ist eine unnötige Destabilisierung des Gesamtsystems.

Euer
Christian Danner