Der Singapur-GP befeuerte die Debatte zu einem sonst überwiegenden Randthema in der Formel 1: Der Bonuspunkt für die schnellste Rennrunde. Daniel Ricciardo beging nämlich im Rennen kurz vor Schluss Diebstahl, und nahm dem WM-Zweiten Lando Norris Runde und damit Punkt weg.

Eine perfekte Gelegenheit, um sich den Mehrwert des 2019 wieder eingeführten Bonuspunktes anzusehen. Vor allem im Hinblick auf die Strategie drumherum. Wie oft nutzen Teams die Regeln aus, wie oft werden Teamkollegen zu Hilfsdiensten verpflichtet?

Zum Einstieg eine simple Statistik: 110 von 122 möglichen Bonuspunkten wurden seit 2019 vergeben. Im Regenchaos von Spa 2021 gab es keine gültige volle Runde. Und 11-mal fuhr sie ein Fahrer außerhalb der Top-10 und erhielt daher keinen Punkt. Das spannendste Thema ist aber der gemeine Diebstahl: Wenn ein Fahrer innerhalb der letzten 5 Runden stoppt und einem Konkurrenten den Punkt wegnimmt.

Punktediebstahl in der Formel 1: Wie oft passiert es wirklich?

Es ist eine nicht unwesentliche Zahl von insgesamt 45 schnellsten Runden, das sind 37,2 Prozent. So oft wurde bislang einem direkten Gegner der Punkt entrissen. Dabei muss differenziert werden. 11 dieser Fälle sind Kavaliersdelikte - ein Fahrer fährt ohne Zusatz-Boxenstopp kurz vor Schluss eine langsame Hybrid-Laderunde und dreht dann im letzten Umlauf mit alten Reifen noch einmal auf.

Der schwerwiegendere Fall inklusive Extra-Boxenstopp auf Soft-Reifen kam bislang 34-mal vor. Es überrascht nicht, dass die Rate 2021 im einzigen Jahr mit zwei engen WM-Kämpfen die höchste war. Nicht weniger als 11 von 21 Punkten wurden gestohlen. Hatten sie aber eine echte Auswirkung auf die Duelle Max Verstappen gegen Lewis Hamilton und Red Bull gegen Mercedes?

Nein, denn 2021 bestahl man sich zu gleichen Teilen, am Ende war es ein Nullsummenspiel. Selbst wenn Red Bull alle Chancen hätte verstreichen lassen, wäre Verstappen trotzdem Weltmeister geworden. Wenn auch mit fünf Punkten weniger. Das leitet weiter zur nächsten Frage.

Wie oft muss der Teamkollege die schnellste Runde stehlen?

Tatsächlich ist der Hilfsdienst gar nicht über Gebühr häufig. In 19 Fällen war der Dieb vielmehr ein Fahrer, den man als direkten Konkurrenten einstufen kann. Nur in 8 war es ein pflichtbewusster Teamkollege. Sogar ist es (mit 9 Fällen) wahrscheinlicher, dass der Dieb im eigenen Team sitzt - sprich, dass ein Verstappen oder ein Hamilton kurz vor Schluss dem Nummer-zwei-Fahrer noch einmal die Runde abnimmt.

Eine Randnotiz: Zwei Mal gab es vorbeugenden Diebstahlschutz. Ein Fahrer, der bereits die schnellste Runde hielt, wurde zu einem weiteren Boxenstopp geholt, um einen Versuch der Konkurrenz vorzubeugen. Äußerst selten ist der Hilfsdienst außerhalb der Punkte. Kaum überraschend, verlangt der schließlich nach einem Fahrer in einem Top-Auto, der ein richtig schlechtes Rennen fährt, aber nicht ausfällt.

Überhaupt gab es bloß 7 Diebstähle von Fahrern außerhalb der Punkte. Nur 3 davon entfielen auf Spitzen-Kontrahenten. George Russell bestahl 2022 Sergio Perez in Singapur, und 2021 brachte Perez in Silverstone Hamilton um einen Punkt, sowie später Valtteri Bottas in Mexiko Max Verstappen.

Keine Rolle spielt das zweite Red-Bull-Team. Vor Singapur beraubte man nur einmal einen Konkurrenten der Muttermannschaft, nämlich 2021 in Ungarn Mercedes. Und gerechtfertigt, denn Pierre Gasly lag sowieso in den Punkten und hatte nach hinten ausreichend Luft für einen Gratis-Stopp.

Formel-1-Mittelfeld spielt im Kampf um Bonuspunkt kaum eine Rolle

Allgemein spielt das Mittelfeld nur eine Statistenrolle. Lediglich 12 schnellste Runden insgesamt entfallen auf Fahrer, die in einem zu dem Zeitpunkt als Mittelfeld-Material einzustufendem Auto saßen. 7 davon kamen in den letzten Runden, 4 davon außerhalb der Punkte. Allerdings sind das sehr seltene Szenarien.

Danner: Horner regiert zwei F1-Teams - das ist schlecht! (06:56 Min.)

Bahrain 2023 dient als gutes Beispiel: Pierre Gasly im Alpine war mehr zufällig dank glücklichem Rennverlauf auf Kurs zum Bonuspunkt, und da jeder Zähler im Hinterfeld mehr Wert hat, holte Sauber den auf aussichtsloser Position liegenden Zhou Guanyu zum Stopp, um zu verhindern, dass der Punkt überhaupt vergeben wurde. Letztendlich irrelevant, da sich im Saisonverlauf herauskristallisierte, dass Alpine und Sauber keine direkten Gegner waren.

Diese Szenarien sind allein deshalb äußerst selten, weil es besonders aktuell mit vier Spitzenteams kaum Platz für das Verfolgerfeld in den Top-10 gibt. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit von vornherein gering, dass ein Mittelfeld-Pilot je in Griffweite des Bonuspunkts kommt und dadurch einen direkten Gegner zum Nachdenken verleiten würde. Die letzte schnellste Runde eines Mittelfeldlers, die tatsächlich auch einen Punkt einbrachte, fuhr Lando Norris 2022 in Abu Dhabi.