Noch kaum vom Nervenkitzel in Baku erholt, fliegt der Formel-1-Zirkus nur wenige Tage später weiter nach Südostasien. Das letzte Rennen, bevor die Formel-1-Saison 2024 nach einer kurzen Verschnaufpause mit zwei Triple-Headern in ihre heiße Schlussphase geht. Vor der funkelnden Skyline Singapurs geht es beim Nachtklassiker ins 18. Rennen der Saison. An der Spitze rücken die Teams immer näher zusammen. Schließt Ferrari an diesem Wochenende in der Konstrukteurs-WM weiter auf? Spektakel und Herausforderung - kein Formel-1-Rennen verkörpert das besser als der Große Preis von Singapur. Die Ausgangslage verspricht maximale Spannung. Ein Blick auf die Schlüsselthemen vor dem Grand-Prix-Wochenende.
1. Brennpunkt: Frage der McLaren-Teamorder bleibt
Mit dem zweiten Sieg, den sich Oscar Piastri beim Aserbaidschan-GP sicherte, steht es unentschieden, was die Anzahl der Saisonsiege bei den beiden McLaren-Teamkollegen angeht. Die jüngste Handhabung der Teamorder beim Rennstall aus Woking hatte Kontroversen und Kritik ausgelöst. Gerade als das Team nach langem Ringen und vagen 'Papaya-Rules' in Baku Lando Norris als klare Nummer eins benannte, verpatzte dieser das Qualifying und die neu festgelegte Priorisierung war hinfällig. Im Gegenteil: Da Norris selbst nicht mehr als Siegkandidat galt, war er es jetzt, der Piastri auf die oberste Stufe des Podests verhalf.
In Singapur wird die größte Herausforderung für das McLaren-Team darin bestehen, die Dynamik zwischen den beiden Fahrern zu meistern: Wird Piastri jetzt trotzdem weiterhin die Unterstützerrolle einnehmen oder darf er frei gegen Norris fahren? McLaren muss die Gratwanderung gelingen - Fairness gegenüber beiden Fahrern und gleichzeitig nicht gegen Red Bull ins Hintertreffen geraten. Denn eines ist klar: Max Verstappen genießt einhundertprozentige Rückendeckung vom Team und Sergio Perez, dessen Rolle als Wingman erst am Sonntag von Teamchef Christian Horner untermauert wurde. Dies könnte sich am Ende noch als entscheidender Vorteil in der Fahrer-WM erweisen. Dort hat Norris an den verbleibenden sieben Grand-Prix-Wochenenden noch 60 Punkte auf Verstappen aufzuholen, um sich an die Spitze zu setzen.
2. Brennpunkt: Ferrari mischt mit - WM wird zum Dreikampf
Enger geht es in der Konstrukteurs-WM zu. Nicht nur, dass es dort in Baku den Führungswechsel gab, sodass McLaren jetzt ganz vorne steht. Auch Ferrari kehrte mit frischem Elan aus der Sommerpause zurück und prescht mit großen Schritten nach vorne. In den letzten drei Rennen war Ferrari zweitbestes Team. Red Bull, auf die sie nur noch 31 Punkte Rückstand haben, ist für sie auf den letzten Etappen definitiv schlagbar. McLaren liegt ebenfalls nur weitere 20 Punkte davor.
Und nicht zu vergessen: Ferrari wurde bereits im Vorfeld als Favorit im Stadtstaat gehandelt. Fernando Alonso prophezeite vor drei Wochen: "In den nächsten beiden Rennen ist Ferrari das Auto, das es zu schlagen gilt. Was wir letztes Jahr in Monza und Singapur gesehen haben - für Singapur, denke ich, dass sie die Favoriten sein werden." Ferrari stark in Monza - mit dieser Einschätzung lag Alonso richtig. Am bevorstehenden Wochenende wird sich zeigen, ob Orakel Alonso auch mit der Vorhersage für Singapur recht behält. Die Streckencharakteristik lag dem Ferrari in der Vergangenheit jedenfalls. Zwei Pole-Positions und zwei Siege haben die Roten in den letzten drei Ausgaben des Singapur-GP auf der Haben-Seite.
3. Brennpunkt: Rookie-Jagd auf letzte freie Formel-1-Cockpits für 2025
Fanco Colapinto hat seine Feuertaufe mit Bravour bestanden. Erstes Rennen als Formel-1-Fahrer in Monza, erstes Rennen in Baku überhaupt - und dabei fuhr der Argentinier stets auf Augenhöhe mit Alexander Albon. Gleich in seinem zweiten Formel-1-Rennen vervierfachte Franco Colapinto die Zahl der WM-Punkte, die Logan Sargeant in seiner gesamten eineinhalb Jahre langen Karriere holte. Chapeau! Jetzt wartet der Marina Bay Street Circuit auf den Neuankömmling. Wieder ein neuer Kurs für Colapinto, der vor der Sommerpause noch in der Formel 2 fuhr. Auch in der restlichen Saison stehen ihm einige Strecken bevor, auf denen er noch nicht unterwegs war.
Williams-Teamchef James Vowles will den Junioren wegen seines starken Debüts nächstes Jahr in der Formel 1 sehen. Allerdings gibt es bei Williams, die für 2025 bereits Sainz und Albon verpflichtet haben, keinen freien Platz mehr. Aus diesem Grund nimmt Vowles einen der direkten Konkurrenten, nämlich Sauber, ins Visier, die noch einen Platz zu vergeben haben: "In zwei Rennen hat er der Welt gezeigt, dass er einen Platz in der F1 verdient hat. Guten Fahrern muss man eine Chance geben. Wir werden deshalb prüfen, ob wir einen Weg finden können, um mit Audi/Sauber unter diesen Umständen zusammenzuarbeiten."
Das einzig andere, für 2025 noch unbesetzte Formel-1-Cockpit befindet sich bei den Racing Bulls. Auch dort gibt es bereits seit einem Jahr einen heißen Anwärter: Liam Lawson soll endlich seine Chance im Red-Bull-Kosmos bekommen, damit er nicht etwa in Richtung Audi/Sauber abwandert. Der Gerüchteküche zufolge könnte die Verkündung, dass Liam Lawson 2025 Daniel Ricciardo ersetzt, nach dem Singapur-GP unmittelbar bevorstehen. Damit steht Ricciardo in Singapur möglicherweise vor der letzten Gelegenheit, sich zu beweisen und sein Schicksal abzuwenden.
4. Brennpunkt: Mehr Singapur-Action dank vierter DRS-Zone?
Seit dem ersten Nachtrennen der Formel-1-Geschichte, das 2008 auf dem Marina Bay Street Circuit ausgetragen wurde, hat die Strecke einige Änderungen erfahren. Den größten Umbau gab es für 2023: Die Kurvenzahl schrumpfte von 23 auf 19, wodurch einer der langsamsten Formel-1-Kurse etwas schneller wurde. Das nach wie vor kurvenreiche Layout blieb für die 2024er Ausgabe des Singapur-GP zwar unangetastet. Jedoch sorgte eine vierte DRS-Zone zwischen Kurve 14 und 16 für frischen Wind. Diese Modifikation folgt, wie schon der Umbau im vergangenen Jahr, dem Wunsch, der überholunfreundlichen Strecke mehr Überholmöglichkeiten und somit mehr Action zu verschaffen. Ob die neue DRS-Zone wirklich der Heilsbringer für größere Spannung in Singapur ist, wird sich am Sonntag zeigen.
Zusätzlich wurde die Strecke in drei großflächigen Abschnitten neuasphaltiert. So erhielt der Marina Bay Street Circuit zwischen den Kurven 3 und 9, 10 und 12 sowie 14 und 17 einen neuen Belag. Dadurch wird die Oberfläche am Wochenende glatter sein als gewöhnlich und das Training wird für die Piloten umso wichtiger, um sich an die Streckenbedingungen zu gewöhnen.
In strategischer Hinsicht ist der Singapur-GP ein Ein-Stopp-Rennen. Mit rund 29 Sekunden, die der Boxenstopp hier kostet, verlieren die Fahrer im Stadtstaat nämlich so viel Zeit in der Boxengasse wie sonst auf keiner anderen Strecke. Der Grund liegt auf der Hand: Der Straßenkurs in Südostasien gehört zu einer der wenigen Strecken im Rennkalender, bei denen das Tempolimit 60 km/h statt der üblichen 80 km/h beträgt. Doch Vorsicht: Ein Safety Car könnte die strategischen Pläne der Teams jederzeit über den Haufen werfen - und hier ist das so wahrscheinlich wie sonst nirgends. In jeder der bisherigen 14 Auflagen des Singapur-GP musste Bernd Mayländer mindestens einmal ausrücken.
Denn der Marina Bay Street Circuit ist ein ganz spezielles Pflaster. Der Stadtkurs mit vielen engen Kurven und wenigen Auslaufzonen verlangt den Fahrern einiges ab. Doch die Formel-1-Stars lieben ebenjene Herausforderung. Sebastian Vettel, der auf dieser Strecke Rekordsieger ist, geriet 2022 bei seinem letzten Singapur-Auftritt regelrecht ins Schwärmen: "Ich habe viele fantastische Erinnerungen an die Rennen in Singapur und ich habe die Herausforderung dieser Strecke immer geliebt. Es ist ein richtiger Straßenkurs. Völlig erbarmungslos. Da folgt eine Kurve auf die nächste und einige Abschnitte sind unglaublich schnell."
5. Brennpunkt: Anspruchsvollstes Formel-1-Rennen des Jahres
Wenn das Formel-1-Rennen in Singapur mit einem Wort beschrieben werden müsste, dann wäre das wohl 'anspruchsvoll'. Es ist eine Härteprobe für Mensch und Maschine. Denn nicht nur die Streckenführung, ebenso die äußeren Bedingungen strapazieren die Fahrer. In der Löwenstadt kocht die Hitze. Auch am kommenden Wochenende wird es wieder schwülwarm. Vor allem in den frühen Sessions am Freitag und Samstag ist mit 30 Grad Celsius Lufttemperatur zu rechnen. Beim Rennen in der Nacht am Sonntag wird das Thermometer voraussichtlich auf bis zu 27 Grad Celsius klettern. Doch die eigentliche Herausforderung ist die hohe Luftfeuchtigkeit, die laut Vorhersagen knapp 80 Prozent Luftfeuchtigkeit betragen wird. Klima und Rennstrecke bringen die Fahrer in Singapur also an ihre Grenzen. Oftmals verlieren sie bis zu 3 kg an Körpergewicht.
Das ganze Wochenende über sind auch immer wieder Regenschauer gemeldet, die zwischen den Sessions auf die Strecke treffen könnten. Die Fahrer finden somit gegebenenfalls das ein oder andere Mal eine feuchte oder nasse Fahrbahn vor. Am Sonntag droht ein Regenrennen. Dementsprechend sollten die Teams sicherstellen, das Wetterradar die ganze Zeit über im Auge zu behalten.
Wer von Baku noch nicht genug bekommen kann und das aufregende Rennen mit ein paar Tagen Abstand noch einmal Revue passieren lassen möchte, ist mit Christians Rennanalyse im Video bestens bedient:
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