Es hat nur zwei Rennen gedauert. Schon hat Franco Colapinto gepunktet - und Platz acht bringt ihm gleich vier Zähler. Viermal so viele wie Logan Sargeant in 37 Rennen davor schaffte. Williams kann nach Baku aber nicht nur Colapintos vier Punkte feiern. Sechs weitere steuerte Alex Albon auf P7 bei. Außerdem kämpften beide nicht bloß mit dem Mittelfeld, sondern konnten sich gar gegen McLaren und Mercedes behaupten.

Das ist besonders im Fall Colapintos beeindruckend. In Runde 41 war nämlich der aus der Boxengasse gestartete Lewis Hamilton in seinem Rückspiegel aufgetaucht. Dort blieb er auch, bis ins Ziel. Das war Colapintos erste Realisation, dass er jetzt in der Formel 1 mit Weltmeistern kämpft: "Ein stolzer Moment. Er ist sehr gut gefahren, aber wir konnten ihn hinter uns halten!"

Diese letzten zehn Runden waren wohl Colapintos beste im Grand Prix. Optimiert hat er den nicht - keinesfalls verwerflich, es war ja erst sein zweiter Auftritt. Nachdem er schon in Runde 10 als erster Fahrer zum Wechsel auf Hard-Reifen gestoppt wurde, erteilte ihm das Rennen wertvolle Lektionen in Sachen Reifenmanagement.

Franco Colapinto lernt gerade rechtzeitig für Lewis Hamilton

"Ich dachte, ich würde sehr viel sparen müssen", erklärt Colapinto. Lange hatte er direkt vor sich Fernando Alonso in Sichtweite, traute sich aber keinen Angriff zu: "Ich wusste nicht, wie lange die Reifen halten würden. Da waren noch 25 oder 27 Runden übrig, und ich dachte nur: Das wäre ja richtig verrückt, den jetzt anzugreifen. Dann komme ich nicht einmal bis ins Ziel."

Aston Martin-Pilot Fernando Alonso vor den beiden Williams mit Franco Colapinto und Alexander Albon
Hinter Fernando Alonso war Colapinto zu passiv, Foto: LAT Images

In Alonsos verwirbelter Luft hatte er sich nämlich schwergetan, die Vorderreifen ins Arbeitsfenster zu bringen, und hatte früh Graining erzeugt. "Ich wusste nicht wirklich, was los war." Was war los? Baku war ein Rennen, in dem Vorderreifen außerhalb des Arbeitsbereichs leicht Graining erzeugten. Um diesen Effekt loszuwerden, musste man pushen. Das erhöhte Tempo würde die Reifen säubern - und danach wären sie wieder schnell.

"Das habe ich erst sehr spät herausgefunden, sonst hätte ich Fernando mehr attackieren können", bedauert Colapinto. "Das ist etwas, da muss ich einfach weiter lernen." Erst als er in Runde 34 von Nico Hülkenberg überholt wurde, begann er mehr zu pushen, und die Erleuchtung kam. "Plötzlich sind die Reifen aufgewacht."

Gerade rechtzeitig, denn wenige Runden später kam Lewis Hamilton: "Deshalb war mein Rennende so stark, und meine Rundenzeiten waren gut genug, um Lewis hinter mir zu halten, wegzufahren und eine Lücke aufzubauen." Dadurch war Colapinto in Position, groß zu profitieren, als in chaotischen letzten Runden Hülkenberg vor ihm erst Mauer, dann Teile berührte. Und als schließlich ganz vorne Carlos Sainz und Sergio Perez crashten, rückte Colapinto bis auf Platz acht vor.

Alex Albon scheitert an Alonso: Williams war zu schnell!

Nach Reflektion bleibt für Williams trotzdem das Fazit: Beide Fahrer hätte man doch an Alonso vorbei auf die Plätze sechs und sieben bringen können. Auch Alex Albon trauert den Chancen hinterher. Er war mit alternativer Strategie auf Hard losgefahren und hatte erst in Runde 31 auf Medium umgesteckt: "Ich denke, es war nicht die schnellere Strategie. Denn wir haben mit den Top-Teams zu viel Zeit verloren."

Albons Begründung mutet da fast absurd an: "Wir waren eigentlich zu schnell." Williams hatte erwartet, dass die Topgruppe am Start so schnell davonziehen würde, dass sie selbst bei ihren Boxenstopps vor Albon bleiben würden. Aber mehrere Autos stoppten früh und tauchten plötzlich mit neuen Reifen hinter ihm auf.

"Es war fast wie mit blauen Flaggen", beschreibt Albon. "Ich hatte gebrauchte Reifen, und dann bekam ich die ganze verwirbelte Luft ab. Da habe ich viel Reifentemperatur verloren, als ich mit ihnen kämpfen musste." Auch dass er Lando Norris im McLaren bis zu seinem Stopp abwehrte, machte da keine Freude.

Williams überholt Alpine in der Formel-1-WM

So bekam auch Albon Graining. Anders als Colapinto wusste er zwar, wie er damit umzugehen hatte, aber das dauerte trotzdem seine Zeit: "Meine Reifen kamen just eine Runde vor meinem Stopp zurück. Fast schade." Auf den Medium überholte er dann Hülkenberg und schloss zu Alonso auf, als der seinerseits in seine Graining-Phase kam.

Diese schien kurz vor Schluss zu enden, aber ein Angriff wäre noch möglich gewesen, bedauert Albon: "Ich bin gerade im DRS angekommen, als der Crash passierte. Aber ganz ehrlich: Es ist nicht so einfach, Fernando zu überholen!" Durch das von Sainz und Perez ausgelöste Virtuelle Safety Car spielte es keine Rolle mehr.

Trotzdem kann Williams feiern. "P7 und P8 ist Luxus", weiß Albon. "Wir haben massive Fortschritte mit den letzten Upgrades gemacht. Noch eine Punkteankunft, noch ein Wochenende, an dem wir schnell waren, ähnlich wie Aston Martin." Zehn Punkte in einem Rennen katapultieren das Team wieder vorbei an Alpine auf den achten Rang in der Konstrukteurs-WM.

Das Thema Reifen ist aber nicht bloß für Rookies problematisch. Selbst Spitzenfahrer wie George Russell haben Probleme. Denn erst recht auf der Suche nach den letzten Zehnteln sind die Pneus ein Mysterium. George Russell platzte nach Baku deshalb der Kragen. Seine Aussagen gibt es hier: