Formel 1 Silverstone, Verlierer: Red Bull

Red Bulls Strategieabteilung zeigte sich im Regenchaos von Silverstone in meisterlicher Verfassung. Jede Entscheidung saß goldrichtig, sowohl der Zeitpunkt der Boxenstopps als auch die jeweilige Reifenmischung - zumindest bei Max Verstappen. Dass man bei Sergio Perez auf die ersten Regentröpfchen reinfiel und ihn auf Intermediates umsattelte, passt da nicht so ins Bild. Aber egal, bei Verstappen passte die Strategie und sorgte beinahe für einen Erfolg, den sich dieses Auto eigentlich gar nicht verdient hätte.

Der Formel-1-Weltmeister schlug gestern nach dem Rennen Alarm. "So können wir bis zum Ende nicht die Meisterschaft gewinnen", ist er sich sicher. Und genau da liegt das Problem in Milton Keynes. Über das schnellste Auto verfügen die Bullen seit Miami nicht mehr. Äußere Umstände und ein Verstappen in Topform kaschieren das bislang. Ewig kann das nicht gutgehen, sondern nur solange McLaren immer einen Weg findet, den Sieg zu verspielen. Die Fahrer-WM in der Formel 1 ist trotz 84 Punkten Vorsprung kein Selbstläufer. In der Konstrukteurs-Meisterschaft brennt es schon länger lichterloh. 78 Punkte Vorsprung gut und recht, nur die sind schnell weg, wenn Red Bull als 1-Mann-Team unterwegs ist.

Formel 1 Silverstone, Verlierer: Sergio Perez

Womit wir bei Sergio Perez wären. Der Fehler im Qualifying sieht schlimmer aus, als er war. Verstappen wäre immerhin um ein Haar dasselbe Missgeschick unterlaufen. Aber der Ausrutscher in Q1 passt einfach in diese Negativ-Strähne, die sich bei Perez seit Imola fortsetzt. Vor allem kam er zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt, denn neben der Strecke kommt es so wie es kommen muss: An Perez' Fahrersitz wird kräftig gesägt.

Nicht nur wilde Fantheorien, sondern inzwischen auch anerkannte Fachportale vermelden, dass Red Bull bei ihrem frisch verlängerten Fahrer nach Ausstiegsklauseln sucht, um ihn loszuwerden. Im Cockpit hält ihn derzeit nur der Umstand, dass keine Alternative bereitsteht, die a) keine Unruhe ins Team bringen würde und die b) schnell genug ist, um an der Seite von Verstappen zu bestehen. Die Messlatte Perez liegt bei zweiterem aber inzwischen schon so tief, dass man möglicherweise Ricciardo, Tsunoda oder Lawson wenigstens mal risikofrei ausprobieren könnte.

Formel 1 Silverstone, Verlierer: McLaren

Im schnellsten Auto zu gewinnen, das ist nicht weiter schwer. Das hieß es regelmäßig als Verstappen Woche für Woche jeden Grand Prix gewann, als Hamilton die Formel 1 im Griff hatte, und auch schon zu den Zeiten, als Vettel im Red Bull der Königsklasse seinen Stempel aufdrückte. McLaren beweist im Moment aber eindrucksvoll, dass da doch mehr dazu gehört. Seit Miami verfügen die Papaya-Orangen unter dem Strich über das schnellste Auto. Klar, der Abstand ist nicht unendlich groß, aber er ist vorhanden. Siege gab es seit dem Premieren-Erfolg von Lando Norris in Florida keine mehr.

Die Gründe waren vielfältig. In Silverstone lässt es sich auf ein Wort herunterbrechen: Strategie. Diese ging kolossal daneben, und das mehr als einmal. Zunächst verkalkulierte man sich bei Oscar PIastri komplett, als man davon ausging, dass ein Double-Stack mehr Zeite kosten würde als eine Extrarunde auf den Trockenreifen im Regen, dann ließ man einen Undercut von Hamilton gegen Norris zu und traf dabei auch noch die falsche Reifenwahl. Die Zeiten, als sich Woking über Podien freuen konnte, sind vorbei. Vor allem weil der Gewinn der Konstrukteurs-WM 2024 bei der derzeitigen Pace alles andere als ein ferner Wunsch ist.

Formel 1 Silverstone, Verlierer: Ferrari

Wenn es nicht läuft, dann läuft es nicht. Charles Leclercs Seuchenmonat Juni geht nahtlos in den Juli über. Das Q2-Aus, die vollkommen vermurkste Strategie mit einem Boxenstopp während des ersten kurzen Regengusses… Man mag es dem Monegassen verzeihen, wenn er am Sonntag nach dem Rennen desillusioniert gewirkt hat. Was viel schwerer wiegt als das Leid ihres Topfahrers an diesem einen Wochenende ist die allgemeine Entwicklungsrichtung bei Ferrari. Zu Beginn der Saison war die Scuderia klar zweite Kraft. Inzwischen sind neben Red Bull auch McLaren und Mercedes den Italienern auf den meisten Strecken einen Schritt voraus, wenn nicht der Kurs perfekt dem SF-24 auf den Leib geschneidert ist. Aber Monaco ist nur einmal im Jahr.

Formel 1 Silverstone, Verlierer: Sauber

Eigentlich kratzt Sauber jede Woche daran, in diese Rubrik aufgenommen zu werden. Denn mit null Punkten hat man es sich eigentlich immer verdient, als Verlierer genannt zu werden. Gleichzeitig ist es beim Schweizer Team inzwischen schon so zum Standard verkommen, dass es auch nicht mehr wirklich ein Ausreißer nach unten ist. Silverstone war aber selbst gemessen an diesen niedrigen Erwartungen eine Enttäuschung. Valtteri Bottas schaffte das Kunststück, mit der perfekten Strategie überrundet zu werden und sogar hinter Charles Leclerc zu landen. An einem Wochenende, an dem durch den turbulenten Rennverlauf vielleicht mal etwas zu holen gewesen wäre, war der C44 selbst dafür zu langsam. Kein Wunder, dass es hinter den Kulissen inzwischen schon dicke Luft gibt. Was sich wohl die Verantwortlichen bei Audi während diesem Rennen gedacht haben?

Formel 1 Silverstone, Verlierer: Alpine

Nach Wochen des Aufschwungs legte Alpine in Silverstone eine brachiale Bauchlandung hin. Wie gut wäre die Pace im Rennen gewesen? Diese Frage stellte sich in Großbritannien gar nicht, denn dafür waren die Rennen beider Fahrer zu früh zerstört. Das von Pierre Gasly begann nach einem Getriebe-Defekt auf der Einführungsrunde erst gar nicht. Esteban Ocon gehört zu jener Gruppe an Fahrern, die dem ersten Regenschauer in die Falle tappten. Wenigstens korrigierte Alpine diesen Fehler noch. Aber da war der Schaden schon verursacht. Der Rest des Grands Prix war nur noch eine Testfahrt vor großem Publikum und mit Verkehr.

Formel 1 Silverstone, Verlierer: George Russell

Wie bitter kann ein Rennen eigentlich laufen? Pole Position, viele Führungsrunden und dann ist es nach einem Wassersystem-Problem plötzlich vorbei. Einziger Wehrmutstropfen: Zu diesem Zeitpunkt lag George Russell nicht mehr in Front, ein Podium wäre dennoch drin gewesen. Immerhin bewies der Brite nach dem Rennen Fairness und anstatt alleine an der Box seinen Frust auszubaden, war er der erste, der seinem Teamkollegen Lewis Hamilton zum Sieg gratulierte. Der Umstand, dass er letzte Woche in Österreich zu einem unverhofften Erfolg kam, macht es vielleicht eine Spur einfacher. Der Umstand, dass Mercedes von nun an wohl regelmäßiger um Siege mitkämpfen kann, vermutlich auch.

Hamiltons Tränensieg: Ist der Knoten geplatzt? (10:00 Min.)

Formel 1 Silverstone, Gewinner: Lewis Hamilton

945 Tage, 56 Rennen, etwa 17.000 Renn-Kilometer. So lange hat es nach Saudi-Arabien 2021 gedauert, bis Lewis Hamilton endlich wieder einen Grand Prix gewinnen konnte. In der Zwischenzeit musste er nicht nur zusehen, wie sein ehemaliger Erzrivale Max Verstappen drei Weltmeister-Titel gewann, sondern auch wie seine wenigen Siegchancen immer im Sande verliefen und die einzigen Mercedes-Siege in dieser Zeit an seinen Teamkollegen George Russell gingen. Russell, der übrigens auch in diesem Jahr der klar bessere Mercedes-Pilot ist.

Lewis Hamilton kommt nach seinem 9. Silverstone-Sieg im Parc Ferme an
Foto: Mercedes-AMG

Das alles hat an Hamilton genagt, wie er nach dem Silverstone-Triumph zugab. Es schürte Zweifel. Zweifel, ob er überhaupt jemals wieder auf einem Podium ganz oben stehen könnte. Er kann - und wie. In Silverstone profitierte er nicht nur von den richtigen Strategie-Entscheidungen seines Teams, sondern auch von seiner persönlichen Klasse. Russell überholte er auf der Strecke und im letzten Stint teilte er sich die eigentlich schlechteren Soft-Reifen perfekt ein. Sogar die Konkurrenz konnte sich nur vor ihm verbeugen. "Da sieht man, welch ein Meister er ist, dass er ein Rennen lesen kann und die Reifen genau so fordert, dass sie nicht einbrechen", sagte etwa Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko im ORF-Interview.

Formel 1 Silverstone, Gewinner: Nico Hülkenberg

Genial war auch der Auftritt von Nico Hülkenberg in Silverstone. So genial, dass es eigentlich schon langweilig war. Denn wirklich in Gefahr kam die "Best-of-the-Rest"-Position des Haas-Piloten nie. Dass sich Charles Leclerc mit einem strategischen Fehlgriff aus dem Rennen um die Punkte nahm und George Russell mit einem Defekt aus dem Rennen geworfen wurde, kam ihm dann auch gerade recht. Dazu kommt noch ein starkes Qualifying, in dem er beide Ferrari-Piloten in den Schatten stellen konnte. Alles in allem: Ein perfektes Wochenende.

Formel 1 Silverstone, Gewinner: Carlos Sainz

Mehr als Platz 5 war für Ferrari in Silverstone nicht zu holen. Die Topteams waren vorne zu weit weg, fairerweise muss aber gesagt werden, dass es der Rest des Feldes hinter ihnen auch war. Carlos Sainz war einmal mehr der bessere der beiden Ferrari-Piloten. Aber das ist für ihn womöglich nicht einmal der größte Sieg an diesem Wochenende. Denn auf dem Transfermarkt scheint seine Aktie wieder gestiegen zu sein. Nachdem er monatelang aus dem Kampf um ein Mercedes-Cockpit raus zu sein schien, steht er jetzt doch wieder auf dem Zettel von Toto Wolff. Max Verstappen hat unlängst Red Bull die Treue geschworen, hinter der F1-Reife von Andrea Kimi Antonelli steht trotz seines ersten F2-Sieges noch ein Fragezeichen. Da könnte sich das Warten für Sainz vielleicht doch lohnen?

Formel 1 Silverstone, Gewinner: Williams

Zwei Punkte fürs gute Gefühl, zwei weitere Punkte, um Sauber weiter abzuhängen. Williams kann zufrieden aus seinem Heimrennen abreisen. Nur durch Glück lässt sich der neunte Platz von Alex Albon auch nicht erklären, denn bereits am Samstag waren die beiden Piloten im FW44 in diesen Gefilden unterwegs. Am Sonntag eilten dann noch Russell und Leclerc zur Hilfe. Ja, ganz ohne Schützenhilfe scheint das Team aus Grove nach wie vor nicht punktfähig zu sein. Dennoch muss man erst einmal in die Position gelangen, Zähler abzustauben, sobald sich die Chance dazu bietet.