In der 20. von 52 Rennrunden schlugen die Herzen der McLaren-Fans beim Großbritannien-GP 2024 höher. In den gemischten Bedingungen zeigten Lando Norris und Oscar Piastri die beste Pace und übernahmen die Doppelführung von Mercedes. Im Ziel blieben Norris und Piastri aber nur die Positionen drei und vier.

Bei beiden Piloten patzte die Strategie-Abteilung. Während Norris zu spät auf Slicks und dabei auf die falsche Reifenmischung wechselte, waren Piastris Siegchancen schon weitaus früher dahin. Ironischerweise war dafür ausgerechnet Piastris starke Pace verantwortlich. Denn als in der 27. Runde Reifenwechsel von Slicks auf Intermediates anstanden, befand sich der Australier nicht einmal eine Sekunde hinter Norris.

Piastri nach Boxenstopp-Fauxpas chancenlos

Angesichts dessen verzichtete McLaren anders als die beiden Mercedes direkt dahinter auf einen Doppel-Stopp. Ein folgenschwerer Fehler: Die Strecke war mittlerweile so nass, dass die Spitze innerhalb von nur einer Runde fast wieder zu Piastri aufschloss. Nach seinem Boxenstopp kam Piastri dadurch nur noch auf Platz sechs auf die Strecke zurück - mehr als 18 Sekunden hinter Norris.

Anschließend profitierte Piastri zwar vom Ausfall von George Russell, ging beim Wechsel zurück auf Slicks per Undercut an Carlos Sainz vorbei und legte auf Mediums einen starken Schluss-Stint hin, hatte aber mit dem Kampf um den Sieg nichts mehr zu tun. Schlussendlich trudelte Piastri mit 12,429 Sekunden Rückstand auf Sieger Lewis Hamilton im Ziel ein.

McLaren-Duo mit Lando Norris vor Oscar Piastri
Zwischenzeitlich belegten beide McLarens die ersten Plätze, Foto: LAT Images

Piastri enttäuscht: Hätten gewinnen können

"Lando und ich haben wahrscheinlich beide das Gefühl, dass wir hätten gewinnen können", zeigte sich Piastri nach dem Rennen enttäuscht. "Wir hatten ein sehr schnelles Auto in allen Bedingungen. Als es angefangen hat zu regnen, sind wir geflogen. Auf meiner Seite sind wir offensichtlich einfach eine Runde zu lange auf Slicks draußen geblieben und das hat uns leider weit zurückgeworfen. Es ist also etwas schmerzhaft, darauf zurückzublicken, wie nah wir am Sieg dran waren."

Zwar sei er mit der Entscheidung einverstanden gewesen, so Piastri weiter, die bittere Realität stellte sich aber recht schnell ein. "Sobald ich am Boxengassenausgang vorbeigefahren war, wusste ich, dass ich in Problemen steckte", beschrieb Piastri. "Wir hatten vorher einen kleinen Schauer, bei dem wir es geschafft haben, draußen zu bleiben. Wir dachten in gewisser Weise, dass wir etwas Ähnliches machen könnten. Leider hat es sich heute nicht ausgezahlt."

Zak Brown: Dachten, wir würden durch Doppel-Stopp mehr verlieren

"Du weißt nie wie schlecht die Strecke wird", pflichtete McLaren-CEO Zak Brown Piastri im Nachhinein am ORF-Mikrofon bei. "Wir dachten, wir würden Oscar fünf Sekunden mit einem Doppel-Stopp kosten. Aber es hat sich herausgestellt, dass wir mehr als fünf Sekunden dadurch verloren haben, dass wir draußen geblieben sind. Aber das weißt du wirklich nicht inmitten des Regens."

McLaren-Fahrer Oscar Piastri in der Boxengasse
Piastri verpasste in Silverstone das Podest, Foto: LAT Images

Trotzdem zeigte sich auch Brown nicht zufrieden mit dem Endresultat. "Wir hatten zwei Fahrer, die hätten gewinnen können", hielt der US-Amerikaner ernüchtert fest. "Auf der positiven Seite haben wir Punkte auf unsere Wettbewerber gut gemacht. Aber in der Nachbetrachtung haben wir zu viele Fehler gemacht."

Andrea Stella hadert: Waren zu gierig

"Wir waren ein bisschen gierig", stimmte McLaren-Teamchef Andrea Stella mit ein. "Wir wollten nicht akzeptieren, dass wir bei einem Doppel-Stopp Zeit verloren hätten. Aber effektiv musst du manchmal einfach geduldig sein und akzeptieren, dass du Zeit verlieren wirst, aber einfach das Richtige tun, anstatt darauf zu hoffen, dass eine Runde mehr nicht so viel kosten wird."

Zwar äußerte sich auch Piastri selbst am Funk nicht unbedingt positiv zu einem möglichen Doppel-Stopp, eine Schuld sah Stella bei seinem Piloten aber nicht. "Wir hätten stärker zugunsten eines Doppel-Stopps pushen sollen", sah der Italiener auch hier das Team in der Verantwortung. "Wir hätten Oscar einfach zwingen sollen, um zu sagen: 'Tut uns leid, es wird ein Doppel-Stopp sein.'"

Stella nimmt Piastri in Schutz

Zwar gilt in der Formel 1 grundsätzlich das Gebot, dass der Fahrer am besten abschätzen kann, wann die Strecke zu nass für Slicks ist, doch Stella zufolge solle diese Verantwortung nicht vollends auf den Schultern des Piloten liegen: "Der Fahrer fährt. Wir verlangen zu viel von den Fahrern, wenn wir sagen: 'Fahre gut, behalte das Auto auf der Strecke auf Trocken-Reifen in nassen Bedingungen. Und nebenbei bemerkt erledige das ganze Timing-Ding.'"

Die Fehler in Silverstone sind nicht die ersten kontroversen Strategie-Entscheidungen McLarens in den vergangenen Wochen. Stella warnte jedoch davor, in den oftmals verpassten Gelegenheiten nur Negatives zu sehen: "Wir hatten solche knappen Fehlschläge bis vor zwölf Monaten nicht einmal. Wir müssen auf das Positive schauen und den Fakt, dass das Team in einer Verfassung ist, wo es heute mit einem Podium und dem anderen Fahrer auf P4 unzufrieden ist."

Stella mahnt: Sind noch eine Baustelle

Dennoch gab Stella zu, dass noch Optimierungsbedarf herrsche, und kündigte eine Untersuchung an. Zugleich mahnte der 53-Jährige auch hier zur Geduld und erinnerte daran, dass der Kampf an der Spitze für McLaren im Vergleich zu den anderen Teams in der jüngeren Vergangenheit eher neu sei.

"Von dem her sind wir noch mehr eine Baustelle und nehmen diese knappen Fehlschläge hin. Die Frustration wird schnell schwinden, aber die nächste Gelegenheit wird bald kommen. Wir müssen also bereit sein", forderte Stella.

Zumindest im Hinblick auf die Pace konnte McLaren in Silverstone erneut überzeugen, wenngleich Stella auch an diesem Punkt zur Zurückhaltung aufrief. "Es gibt dieses Narrativ, dass der McLaren das beste Auto ist", setzte Stella an. "Aber wir haben heute gesehen, dass wir nicht unbedingt das schnellste Auto sind. Denn im ersten Stint, als die Dinge ziemlich regulär waren, ist Mercedes davongefahren."

Anders als McLaren baute Mercedes zudem in Silverstone keine groben strategischen Patzer ein und konnte so den zweiten Sieg in Folge feiern. Für Lewis Hamilton war es bei seiner Silverstone-Abschiedsvorstellung mit Mercedes sogar der erste Sieg in der Formel 1 seit Dezember 2021. Alle Details zum Rennen des Rekordweltmeisters lest Ihr hier: