Die Formel 1 lebt von Innovation - das weiß auch Mercedes. Dementsprechend schreitet die Entwicklung des Mercedes W15 in der Formel-1-Saison 2024 stetig voran. Auch zum Großen Preis von Kanada hat das Team aus Brackley kleine Upgrades ans Auto gebracht. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei der Frontflügel - jedoch weniger aufgrund eines innovativen Konzepts, als vielmehr aufgrund der Ausrichtung an konventionelleren Ansätzen.

Der technische Direktor der Chassis-Abteilung bei Mercedes, James Allison, ist überzeugt vom neuen Frontflügel-Design, das die aerodynamische Balance genauso wie die Stabilität des Fahrzeugs bei hohen Geschwindigkeiten verbessern soll. "Mit der Zeit findet man bessere Lösungen und was man für großartig hielt, ist nicht mehr großartig. Dieser Flügel ist besser als der alte Flügel", stellte Allison die neueste technische Entwicklung am W15 vor.

Das von Mercedes zu Saisonbeginn 2024 eingeführte einzigartige Frontflügelkonzept, bei dem der oberste Flap nach innen hin zu einer hauchdünnen Strebe reduziert wird, ist damit passé. Die Modifikation weist nun ein konventionelleres Design auf, verliert aber nichts von den Vorteilen der alten Spezifikation. Stattdessen sei es Allison zufolge eine Win-Win-Situation: "Das Feature, das uns beim alten Flügel einen ausgeglicheneren Abtrieb bescherte, ist bei diesem Flügel noch besser."

Der neue (links) und alte (rechts) Mercedes-Frontflügel in Monaco
Mercedes-Frontflügel: Das unterscheidet die neue von der alten Spezifikation, Foto: LAT Images / Motorsport-Magazin.com

Wetterchaos in Kanada: Mercedes hält sich mit neuem Frontflügel zurück

Beim vergangenen Rennwochenende in Monaco war die neue Spezifikation des Mercedes-Frontflügels bereits am Wagen von George Russell zum Einsatz gekommen und hatte eine vielversprechende Leistung erzielt. Lewis Hamilton hatte den Performance-Unterschied zwischen ihm und seinem Teamkollegen insbesondere in den Hochgeschwindigkeitskurven ganz und gar auf das Update zurückgeführt. Entsprechend groß dürfte die Freude des siebenmaligen Weltmeisters darüber gewesen sein, dass für den Kanada GP beide Mercedes optimal ausgestattet werden sollten, sodass auch er in den Genuss der aerodynamischen Innovation kommen würde.

Fürchtet Lewis Hamilton, von seinem Team, das er am Ende der Saison verlassen wird, benachteiligt zu werden? Im Qualifying-Duell zieht er gegen seinen jungen Kollegen George Russell eindeutig den Kürzeren. In diesem Video beleuchtet Christian die angespannte Situation bei Mercedes:

Lewis Hamilton motzt! Wird er von Mercedes benachteiligt? (14:52 Min.)

Doch das Wetter hatte am Trainingsfreitag andere Pläne. Etwa eine Stunde vor Beginn des 1. Trainings sah es aufgrund des Starkregens sogar danach aus, als würde der Trainingstag komplett ins Wasser fallen. Ganz so schlimm kam es dann nicht. Da der Regen nachließ, wurde die Trainingssession pünktlich gestartet. Nach knapp einer halben Stunde Wartezeit auf die Freigabe der Strecke wagte sich Hamilton als Erster raus auf die nasse Fahrbahn - doch den neuen Frontflügel hatte er in der Garage gelassen.

Die heiklen Wetterbedingungen sorgten für Nervosität bei Mercedes. Um 14 Uhr kanadischer Ortszeit, also wenige Minuten nachdem die Boxengasse in FP1 zum ersten Mal an diesem Wochenende geöffnet wurde und die Fahrer raus auf den Circuit Gilles-Villeneuve durften, verkündeten sie: "Das Team hat Lewis für diesen Lauf mit dem alten Frontflügel ausgestattet, um nicht zu riskieren, die neue Frontflügel-Spezifikation zu beschädigen." Wenig später ging auch Russell mit dem alten Frontflügel-Design am Auto auf die Strecke.

Mercedes ging somit auf Nummer sicher und erprobte den neuen Frontflügel unter den schwierigen Bedingungen, bei denen leicht Ausrutscher passieren und Schäden entstehen können, nicht. Erst zu Beginn von FP2, als trockene Bedingungen herrschten, wurde bei Hamilton und Russell für ein paar Runden die neue Frontflügel-Spezifikation angebracht. Als der Regen erneut einsetzte, wechselten sie wieder zum alten Flügel.

Der Grund: Die Ersatzteillage mit dem neuen Flügel ist noch eingeschränkt. Entsprechend würde bei einem notwendigen Wechsel nach dem Qualifying unter Parc-Fermé-Bedingungen vielleicht kein Ersatz der gleichen Spezifikation zur Verfügung stehen, was einen Bruch der Parc-Fermé-Regeln und damit einen Start aus der Boxengasse zur Folge hätte.

Mercedes-Pilot Lewis Hamilton vor Teamkollege George Russell
Unter trockenen Bedingungen traute sich Mercedes in FP2 kurzzeitig mit dem neuen Frontflügel auf die Strecke, Foto: LAT Images

Hamiltons Kampfgeist treibt Mercedes an: Auf geht's!

Das wechselhafte Wetter führte dazu, dass beide Trainingssitzungen am Freitag wenig aufschlussreiche und aussagekräftige Daten hervorbrachten. "Es war schwierig, viel zu lernen, weil sich die Bedingungen in jeder einzelnen Runde änderten: Es nieselte, dann regnete es, dann trocknete es ab. Das Auto hat sich gut angefühlt, aber das werden wir wohl erst morgen herausfinden", resümierte Russell vorsichtig.

Weitaus mehr Optimismus versprühte sein Teamkollege Hamilton: "Ich fühle mich großartig. Das Auto fühlte sich stark an. Ich habe das Gefühl, dass ich kampfbereit bin. Ich habe das Gefühl, dass das Auto auf meinen Input reagiert und ich fühle mich da draußen sehr sicher. Ich habe mich heute sowohl bei nassen als auch bei trockenen Bedingungen sehr stark gefühlt. Ich habe das Gefühl, dass wir an diesem Wochenende näher an der Spitze sind."

Was es allerdings zu bedenken gilt, ist, dass das Kräfteverhältnis aufgrund der ungünstigen Witterungsbedingungen, durch die keiner das reguläre Trainingsprogramm abspulen konnte, natürlich schwer zu beurteilen ist. In der WM-Tabelle steht Mercedes derzeit an vierter Position.

Für Hamilton war es besonders wichtig, möglichst viele Runden auf dem Kurs zu drehen, um sowohl die Besonderheiten der Strecke als auch das Verhalten des Autos auf der Strecke kennenzulernen und Vertrauen zu gewinnen. "Ich habe es den Jungs immer wieder gesagt: Raus hier, raus hier, raus hier! Also habe ich meine Jungs gehetzt: Auf geht's, auf geht's! Ich wollte einfach die Zeit auf der Strecke maximieren - egal wie die Bedingungen waren."

Der verregnete Freitag stellt die Teams am Samstag vor eine besondere Herausforderung: "Im FP3 konzentriert man sich normalerweise auf die Qualifikationsläufe, aber wir müssen uns ein bisschen auf unsere Long Runs konzentrieren und dann am Ende der Session auf die Quali Runs. Dann müssen wir zwischen den beiden Sessions sehr schnell sein, um Änderungen vorzunehmen. Denn ganz ehrlich: Heute haben weder das Team, noch der Fahrer viel gelernt."

Ob der Plan für das 3. Freie Training in die Tat umgesetzt und der neue Frontflügel ordentlich getestet werden kann, bleibt abzuwarten. Denn auch für den Samstag haben sich mögliche Regenschauer angekündigt - wenngleich nicht so heftig und langanhaltend wie am Freitag. Die Wetterprognose zum Kanada-Wochenende findet ihr hier.