Einst ein Rekord für die Ewigkeit - dann kam Max Emilian Verstappen. Beinahe nicht einmal eine Push-Mitteilung wert. Der Holländer bricht Formel-1-Rekorde am laufenden Band und lässt es einfach aussehen. Alles auf Wikipedia (oder für Toto Wolff auch bei uns im Magazin) zu finden. Max Verstappen - von Crashstappen zum Weltmeister. "Ich habe immer an Märchen geglaubt", wie schon Red-Bull-Sportdirektor Jonathan Wheatley 2021 in Abu Dhabi zu sagen pflegte. Also: Es war einmal...
Max Verstappens Formel-1-Debüt
Der 3. Oktober 2014 war der Tag, der die Formel-1-Welt für immer veränderte. Mit 17 Jahren und drei Tagen setzt ein gewisser Max Verstappen seinen Fuß ins Toro-Rosso-Cockpit und nahm anstelle des Stammpiloten Jean-Eric Vergne das 1. Freien Training in Suzuka in Angriff. Damit begann eine Geschichte, die so nur der Sport schreibt.
Ein 18-jähriger Teenager, der im ersten Rennen beim Hauptteam den ersten Sieg, und seit Red Bull auf Motorenseite nicht mehr mit einem beinahe menschenrechts-verletzendem französischen Aggregat herumfahren muss, nicht mehr aufzuhalten ist: Serien-Weltmeister, Serien-Sieger und zusammen mit Red Bull schier unschlagbar. Erfolgsgeheimnis? Netter Versuch Mercedes, Ferrari und Kollegen. Aber ernsthaft - was hat Max Verstappen, das andere nicht haben? Spoiler Alert: Nicht Magie (außer einem vielleicht magischen Fahrstil).
Keine Red-Bull-Dominanz ohne Max Verstappen
"Es gibt absolut niemanden, der Max Verstappen in diesem Auto besiegen könnte", betont Christian Horner. Der 2023er Red Bull zweifelsohne das dominanteste Gefährt der Geschichte des österreichischen Rennstalls. Aber nur mit einem Max Verstappen hinterm Steuer. "Der RB19 ist sicher das universellste und schnellste Auto im Moment. Aber diese Überlegenheit, diese krasse Überlegenheit von teilweise einer halben Minute, kommt von Max Verstappen", weiß Dr. Helmut Marko.
"Red Bull hat das schnellste Auto, schont am besten Reifen, hat die besten Starts und macht die besten Boxenstopps. Sie sind in allen Bereichen, die du dir vorstellen kannst, die Besten. Die Besten im Topspeed, die Besten in den langsamen Kurven, das beste DRS-Delta. Es gibt keinen einzigen Bereich an diesem Auto, wo irgendjemand mithalten könnte", zählt Fernando Alonso auf.
Ganz besonders nicht in einem Bereich, dem vielleicht wichtigsten: Dem Fahrer. "Mit Max ist es auch so. Er ist der Beste im Qualifying, er ist der Beste im Rennen, er ist der Beste in Zweikämpfen. Er ist der Beste bei Boxenstopps."
Bis auf den Ausrutscher in Singapur, wo nach Murphys Gesetz "alles, was schiefgehen kann, auch mit Sicherheit schiefgehen wird", führt kein Weg am Red-Bull-Verstappen-Duo vorbei. "Shit happens", kommentierte der Limburger sein mit P5 schlechtestes Saisonergebnis seit dem Katastrophen-Wochenende in Brasilien.
Zur Erinnerung: Im Vorjahr trat mit Mercedes-Doppelsieg, Crash mit Lewis Hamilton, Strafe, Schaden, P6, Teamorder-Drama und dem endgültigen Ende der nur scheinbar glücklichen Ehe mit Sergio Perez das Worst-Case-Szenario ein. Das, wie jetzt in Singapur, die Konkurrenz noch bitter bereuen sollte - um es mit den Worten von Mercedes-Teamboss Toto Wolff auszudrücken.
Aber Niederlagen scheinen den 26-Jährigen nur noch besser zu machen. Ein Max Verstappen lässt so etwas nicht auf sich sitzen. Singapur war für Red Bull eine ungewöhnliche Anomalie nach 10 (Verstappen-) bzw. 14 (Red-Bull-) Siegen in Folge, trotzdem sitzt der Stachel tief. Abseits des Rennergebnisses störten Verstappen vor allem die gehässigen Kommentare, die die technischen Direktiven für das Scheitern verantwortlich machten. "Die Leute, die das sagen, sollen einfach verschwinden", nimmt er es beinahe persönlich.
Und als ob er es überhaupt noch irgendwem beweisen müsste, fuhr er in Suzuka mit einem Messer zwischen den Zähnen. Bestzeit in allen Trainings, Pole Position, 48. Sieg - und seine schnellste Runde war über eine Sekunde schneller als die zweitschnellste von Lando Norris. Im Qualifying demütigte er in Q2 die Konkurrenz auf gebrauchten Reifen.
Das ganze Wochenende von der ersten Runde im 1. Freien Training dominierte Max Verstappen, und krönte Red Bull beinahe im Alleingang zum Konstrukteurs-Champion. Sechs Rennwochenenden vor Saisonende - wieder ein Rekord. 400 der 623 zum Gewinn nötigen Punkte erzielte der Holländer. Max Verstappen wäre als Ein-Mann-Team in der Teamwertung noch immer weit vor Mercedes und Ferrari.
"Wir haben die letzten zehn davor gewonnen, und jetzt eben eines nicht", ist Singapur ein Parade-Beispiel für Max Verstappens Charakter. Falsches Setup, schwierige Strecke, fuchsteufelswild über die Qualifying-Probleme. Im Rennen alles gegeben, und ohne Safety-Car-Pech auf einem überhol-feindlichen Kurs beinahe das Unmögliche geschafft. Der Ärger war trotzdem groß: Alles andere als ein Sieg ist eine Enttäuschung. Trotzdem bleibt er fair, Red Bull hat eben nicht performt, die anderen einen besseren Job gemacht.
Verstappen will nicht wechseln
Ob das gut oder schlecht für die Formel 1 ist, ist ihm dabei egal. Was nicht egal ist: Fehlender Respekt für die Leistung seines Teams. "Wenn Leute das nicht wertschätzen können, sind sie keine richtigen Fans!" Beim gemeinsamen Paddel-Tennis mit Christian Horner verspricht er, das nächste Rennen mit 20 Sekunden Vorsprung zu gewinnen. Geworden sind es 19,387. Und wenn Max Verstappen à la Mattia Binotto ankündigt: "Von jetzt an können wir jedes einzelne Rennen gewinnen" - dann glaubt man das dem jüngsten Formel-1-Sieger der Geschichte.
Verstappen bleibt dabei stets loyal zu Red Bull, das ihm im Eilschussverfahren von der Formel 3 direkt in die Königsklasse geholt hat. "Ich habe bereits 2021 gesagt, es gibt keinen Grund, wegzugehen. Ich glaube an jede einzelne Person im Team", bekräftigt er. "Ich mag das nicht: Wenn du im letzten Jahr deines Vertrages bist und dir ewig Zeit lässt. Das schafft eine komische Atmosphäre im Team: Oh, vielleicht geht er, er hat noch nichts unterschrieben - binden wir ihn wie gewohnt überall ein?"
"Zu diesem Punkt will ich nie kommen. Wenn du glücklich bist und dich gut im Team fühlst, gibt es keinen Grund zu wechseln. Natürlich läuft mein Vertrag lange (bis 2028), aber ich sehe keinen Grund, irgendwo anders hinzugehen", so Verstappen. Auch das neue Reglement bricht sein Vertrauen nicht, obwohl Red Bull als Motor-Neuling erstmals mit eigenem Aggregat an den Start geht. "Darüber mache ich mir keine Sorgen. Wir werden auch das dann hinbekommen."
Max Verstappen ist der Prototyp des Red-Bull-Systems, und zugleich der ultimative Beweis, dass das Motto 'Wir kaufen keine Stars, wir machen Stars' - funktioniert. "Jetzt mit Verstappen ist alles gesprengt worden, das sind ganz neue Dimensionen", meint Dr. Helmut Marko. Durch harte Arbeit, gepaart mit einem unmenschlichen Ausmaß an Talent. Von Papa Jos Verstappen von klein auf zum perfekten Rennfahrer gedrillt. Im Kartsport, bei Regen, oder auf der Tankstelle. Alles war darauf programmiert, einen zukünftigen Formel-1-Weltstar zu erschaffen.
Das weiß auch die Konkurrenz zu schätzen. Bei der Fahrer-Pressekonferenz in Spielberg wurden die anwesenden Piloten gefragt, ihre persönlichen Top-3-Fahrer zu nennen. Bei Pierre Gasly und Yuki Tsunoda schieden sich die Geister, aber ein Name wurde einstimmig von allen genannt.
Verstappen auf dem Weg zu einem der größten aller Zeiten
"Max Verstappen ist einer der Allergrößten. Seit er die Weltmeisterschaft 2021 gewonnen hat - das hat ihm eine große Last von den Schultern genommen - fährt er noch besser", lobt auch Red Bulls Design-Guru Adrian Newey. "Das Ding von Max ist, wie von allen Großen, dass er so wirkt, als würde er automatisch fahren. Das gibt ihm viel Gehirnkapazität, mit der er über alles andere nachdenken kann."
Sei es Strategie im Rennen, sich Gedanken über die schnellste Rennrunde oder über den Klingelton von Dr. Helmut Markos Handy zu machen - Max Verstappen wird im Cockpit zum Multitasker. Er kommt an eine (neue) Strecke. Fährt eine Aufwärmrunde, knallt ohne viel Vorbereitung die schnellste Zeit auf Tableau, lenkt an die Garage zurück, und macht nebenbei Scherze mit seiner italienischen besseren Hälfte Gianpiero Lambiase.
Bevorzugtes Dienstfahrzeug dabei: Griffige Vorderachse, lieber Über- statt Untersteuern. Auch bei 300 km/h sind ein loses Heck und ausbrechendes Auto für ihn kein Problem. Den meisten anderen Fahrern treibt allein der Gedanke daran schon Schweißperlen auf die Stirn. Red Bull entwickelt das Auto genau so, aber nicht wegen Max Verstappen.
"Die Kommentare sind doch Bullshit, so funktioniert das nicht", ärgert sich der Niederländer über die Verschwörungs-Theorien. Er gehe nicht zu den Ingenieuren und sage ihnen, dass sie den RB19 nach seinem Geschmack bauen sollen. "Ich sage: Entwerft mir das schnellste Auto, und ich fahre es, wie es nötig ist." Jedes Jahr müsse er seinen Fahrstil neu anpassen.
"Die Leute fragen immer: Was ist dein Fahrstil? Mein Fahrstil ist nicht außergewöhnlich - ich passe ihn so an, wie es nötig ist, damit das Auto schnell fährt." Zusammengefasst: Außergewöhnlich ungewöhnlich. Vermutlich eine seiner größten Stärken - Max Verstappen passt seinen Fahrstil an den Red Bull an, je nach Update-Paket, auch innerhalb der Saison.
Red Bull baut F1-Auto nicht um Max Verstappen
Daniel Ricciardo, Pierre Gasly, Alex Albon und jetzt Sergio Perez scheiterten bereits an dieser Aufgabe. Laut Checo entwickelt sich der Red Bull seit Barcelona entgegen seinen Vorlieben und ist nun unnatürlich zu fahren. Der Mexikaner fährt derzeit jenseits von Gut und Böse, während sein Teamkollege die Konkurrenz mit dem gleichen Auto beinahe demütigt. "Checo ist kein Idiot, das haben wir in all den Jahren gesehen", findet das auch Toto Wolff bizarr.
"Es zeigt einen totalen Mangel an Verständnis dafür, wie ein Auto entwickelt wird, wenn Toto denkt, dass wir ein Auto um einen einzigen Fahrer entwickeln", straft Christian Horner seinen Mercedes-Counterpart ab. Red Bull baut das schnellste Auto. Punkt. "Manchmal sind schwierige Autos, schnelle Autos. Die guten Fahrer passen sich an. Das sieht man bei nassen Bedingungen, bei Mischbedingungen, egal bei welchen Bedingungen. Die Elite passt sich schnell an."
In der Formel-1-Saison 2021 zeigte Max Verstappen, dass er sich auch an hohen Druck anpassen kann. Nirgendwo stärker als in Zandvoort, wenn die Fanmassen ganz in Orange keinen anderen Sieger als ihren Lokalheld akzeptieren. "Das würde ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen", scherzte der Red-Bull-Pilot damals in der Pressekonferenz.
Im Heimatland blieb er auch 2023, wie in beiden Vorjahren, ungeschlagen. "Die Leute vergessen, wie schwierig es ist, so viele Rennen am Stück zu gewinnen. Selbst wenn du das schnellste Auto hast: Es ist sehr einfach, Fehler zu machen, oder einmal ein Wochenende schlecht zu erwischen", mahnt der Weltmeister. Er macht aber keine Fehler. Laut Fred Vasseur schon die letzten zwei Jahre nicht. Und nein: Der Defekt in Saudi-Arabien, das Pech und der Mini-Fehler im Miami-Qualifying und als er in Baku gegen Sergio Perez den Kürzeren gezogen hat - das zählt nicht.
"Auf der einen Seite ist der Red-Bull-Sitz einer der gefragtesten, auf der anderen Seite hast du Max Verstappen als Gegner", erklärt der Doktor. "Da brauchst du schon eine sehr starke Persönlichkeit und unglaubliche mentale Stärke." Das würde er selbst Sebastian Vettel nicht antun wollen. Auf hohem Niveau verbessert sich Max Verstappen kontinuierlich: Ist schnell im Rennen, auf eine Runde, und beim Reifenschonen. Baku war 2023 ein Schlüsselmoment in seiner Performance. Gerade dann, wenn Sergio Perez Fuß gefasst zu haben schien. Nach vier Rennen standen beide bei jeweils zwei Siegen.
Wie Verstappen den WM-Titel 2023 gewann
"Ich habe in Baku viel gelernt: Wie man einige Dinge mit dem Auto macht, wie man es abstimmt. Das habe ich implementiert und hilft mir jetzt auf jeder Strecke", so der Niederländer. Die neuen Reifen verursachen mehr Front-Grip. Das wiederum verursachte Probleme mit der Balance, und beanspruchte vor allem die Hinterreifen stärker, als gesund für sie wäre.
"Display 5 - Position 9" das Zauberwort - der Punkt, an dem Verstappen mit dem RB19 eins wurde, und Sergio Perez seine WM-Träume begraben musste. Perez gewann zwar den Großen Preis von Aserbaidschan, Max Verstappen, als er mit GP an den Mappings für die Motorenbremse herumspielte, die Formel-1-Saison 2023.
Als dreimaliger Weltmeister steigt Max Verstappen in die Riegen von Niki Lauda, Ayrton Senna, Nelson Piquet, Jackie Steward und Jack Brabham auf. Mit 26 Jahren wird er spätestens dann einer der ganz Großen des Rennsports sein. Für viele - inklusive Adrian Newey - schon jetzt.
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