Es war ein böses Erwachen für Mercedes' Technik-Abteilung gewesen. Anstatt das enttäuschende erste Jahr der Ground-Effect-Regeln auszubügeln, schlitterte man tiefer in eine echte Krise. Es blieb nur ein harter Schnitt: Das Absetzen der technischen Leitung und das Zurückholen von James Allison als Technischen Direktor. Der Rückkehrer analysiert nun: Der Pleitenstart von 2022 erschütterte das Vertrauen und löste einen Bruch aus.

Allison hatte sich eigentlich 2021 in einen übergeordneten Teilzeit-Managementposten verabschiedet und Mike Elliott das Tagesgeschäft übergeben. Das zweite nicht siegfähige Auto in Serie bedeutete 2023 aber Elliotts Ende. Erst räumte er im April seinen Posten wieder für Allison, dann verließ er Ende Oktober das Unternehmen komplett.

Das größte Problem, mit dem sich Allison in seinen ersten neun Monaten zurück im Chefsessel konfrontiert sah, war nicht das Auto, das vielzitierte Konzept, oder was auch immer. An und für sich ist gutes Personal ja da. "Das wohl destruktivste Muster, in das wir als Gruppe als unsere Krone erstmals verrutschte in dieser schwierigen Zeit hineingeschlittert sind, war, dass wir uns stärker zerteilt haben als wir hätten sollen", analysiert er im Podcast 'Performance People'.

Das Management-Dilemma von Mercedes erklärt

Den Sturz habe das ganze Mercedes-Team nicht optimal weggesteckt, meint Allison. Schließlich war man von 2014 bis 2021 immer im WM-Kampf: "Wir waren auf diesem sehr hohen Plateau, für mehrere Jahre, sehr lange. Und dann geht es aus irgendeinem Grund nach unten, das verwirrt einen. Es ist unangenehm, wenn du plötzlich spürst, dass das ganze Fundament von dem, was du über deine Gruppe zu wissen glaubst, durch die Realität der Stoppuhr und durch das Verlieren gegen andere Teams gelockert wird."

"Das erschüttert das Vertrauen in einer Organisation", so Allison. Sind die Ergebnisse gut, hat man Zeit, sich mit der Zukunft zu beschäftigen. Dann läuft die Gegenwart aber plötzlich nicht: "Auf ein Unternehmen, das es gewohnt ist, weiter vorauszudenken, kommt kurzfristiger Druck. Das Auto ist schlecht. Die Ergebnisse sind schlecht und müssen besser werden. Der Ruf danach ist sehr laut. Das ist nur natürlich, aber es ist sehr laut."

In Baku war Allison 2023 erstmals wieder als Technischer Direktor an der Strecke, Foto: LAT Images
In Baku war Allison 2023 erstmals wieder als Technischer Direktor an der Strecke, Foto: LAT Images

Diese Situation birgt Management-Gefahren. Anstatt eine organisierte unmittelbare Reaktion durchzuführen, fragmentiert sich der Technikerstab, erklärt Allison. Aerodynamik, Fahrzeugdynamik, Designbüro, alle verabschieden sich in ihre Ecke: "Um zu tun, was sie können, oder um etwas beizusteuern, was in ihren Augen das Beste ist. Angetrieben von diesem lauten Ruf, dass das Auto besser werden muss."

Das ist wieder nur natürlich, aber: "Wenn du nicht Acht gibst, dann hören diese Gruppen auf, miteinander zu sprechen, weil sie alle den Kopf runtergeben und versuchen, das zu lösen, was sie als ihren Teil sehen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen." Nichts davon ist böswillig, doch es braucht eine ordnende Kraft, um den guten Willen der Problemlösung in geordneten Bahnen zu halten.

Allison ortet Mercedes-Wende für 2024: Reicht das?

Allison sieht hier das wichtigste Feld nach seiner Rückkehr: "Wenn ich einen positiven Einfluss hatte, dann war das der Versuch, das wieder zusammenzubringen. Zu versuchen, die Hauptingenieure der Hauptbereiche dazu zu bringen, dass sie mehr miteinander reden. Zu versuchen, ihnen ein bisschen was von dem unmittelbaren Druck von den Schultern zu nehmen. Die Rufe, die vom Auto kommen, zu dämpfen, um die Arbeit zu koordinieren."

Also sieht es Allison als seine wichtigste Aufgabe, mit seinem Führungsstab in Dialoge zu treten, ihnen Fragen zu stellen: "Die Antworten dazu sind nur möglich, wenn sie miteinander sprechen. Und die Tatsache, dass sie miteinander sprechen, bedeutet automatisch, dass sie zu einem gemeinsam abgestimmten Programm verschmelzen, um diese Antworten zu bekommen."

"Es dauert nicht lange, bis die Leute zurück in die alte Gewohnheit fallen, sich aufeinander zu stützen, anstatt alleine zu arbeiten", beobachtet Allison in den letzten Monaten schnell wieder positive Schritte. Nicht zuletzt, weil der Führungsstab nach wie vor erfahrenes Personal beinhaltet, welches Allison bestens kennt und das für die vielen Erfolge vor 2022 genauso verantwortlich war wie für die Misserfolge seit 2022.

Für 2024 ist das aber keine Erfolgsgarantie, mahnt Allison: "In der langen Formel-1-Geschichte gehen die Statistiken gegen uns. Aus ihrer Dominanz abgerutschte Teams schaffen nicht in dem von uns gesetzten Zeitrahmen die Wende. Aber wir haben trotzdem ein ambitioniertes Programm, wir haben die Stärke und Reife, und wir haben mit dem nächstjährigen Auto recht viele Fortschritte gemacht. Ob die reichen, werden wir sehen."

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