Pünktlich zur Rennhälfte wendete sich das Glück. Im Stile von Las Vegas natürlich spektakulär. 'Royal Crash' statt 'Royal Flush' für Max Verstappen: Er wurde von George Russell abgeschossen, Karbonteile überall, Frontflügel angeschlagen. Wer ist der Glückliche? Das Unfallopfer! Ein bisschen Karbon war ein fairer Einsatz für Verstappen. Der Abschuss verhalf ihm zu einem davor zweifelhaften Sieg über Charles Leclerc, zeigt die Rennanalyse.
Denn eigentlich ging es für Verstappen von Beginn an in die falsche Richtung. Den Start hatte er "gewonnen", indem er sich auf kalter rutschiger Strecke verschätzte und Leclerc von der Strecke drängte. Vorne bleiben und die dafür kassierte Fünf-Sekunden-Strafe herauszufahren funktionierte nicht. Es ging nach hinten los. Verstappen kam im Horrorszenario von Las Vegas an: Graining.
Dabei wird die Oberfläche des zu steifen Reifens abgerubbelt und uneben. Sie verliert Haftung und kann sich nicht mehr optimal anwärmen. Wenig Grip und tiefe Temperaturen begünstigen diesen Effekt. Wer den Reifen besser aufheizt, rutscht weniger und hat weniger Graining. Daher sind Autos, die sonst die Reifen überhitzen, hier im Vorteil. Wie der Ferrari, meint Leclerc: "Die Reifen auf Temperatur zu halten, da sind wir ziemlich gut drin."
Red Bull begünstigte eine Entwicklung in die Gegenrichtung wohl noch mit einer späten Entscheidung, den Monza-Heckflügel zu montieren und den Abtrieb für mehr Topspeed zu reduzieren. Dazu fühlte man sich auf von den pfeilschnellen Ferrari gedrängt. Das kam für Verstappen auf Kosten des Grips in den Kurven.
Die Rundenzeiten des ersten Stints zeigen es deutlich. Nach Runde 13 begann für Verstappen die Graining-Spirale. Ist man einmal drin, wird es nur schlimmer, denn natürlich wird das Rutschen dann nur stärker. Zwei Runden sah Red Bull dabei zu, wie Leclerc wieder aufschloss. Dann wurde Verstappen in Runde 16 zum Stopp geholt.
Leclerc nach Boxenstopp auf Sieg-Kurs
Früher Stopp, plus fünf Strafsekunden. Damit fiel Verstappen bis auf Platz 10 in einen Pulk von Mittelfeldlern zurück. Obendrauf knappe zwei Sekunden hinter George Russell, der dank der Strafe per Undercut vorbeigegangen war. In einer bizarren Wendung sollten die fünf Strafsekunden so gleich den Red-Bull-Sieg wieder ermöglichen.
Jetzt hatte aber vorerst Leclerc alle Karten in der Hand. Er fuhr bis Runde 21, baute einen Reifenvorteil auf. Die Einstopp war klar. Mit fünf Runden frischeren Reifen hatte er noch immer drei Sekunden Vorsprung über Verstappen, der sich mit Russell zusammen durch das Mittelfeld kämpfte. Vorsichtig bemühte sich im Gegenzug Leclerc, die Reifen sachte ins Arbeitsfenster zu befördern.
Diesen Luxus hatte Verstappen nicht gehabt. Bei ihm stand das Rennen auf der Kippe. Das starke Graining im ersten Stint hatte sein Team negativ überrascht. "Es war eine Reise ins Ungewisse", bestätigt Teamchef Christian Horner. "Weiterfahren, bis du stehen bleiben musst." Auch Pirelli geht davon aus, dass Verstappen zu Rennende mehr leiden hätte müssen als Leclerc. Bei sonst augenscheinlich vergleichbarer Pace war Leclerc also auf Sieg-Kurs.
Unachtsamer Russell besiegelt Leclercs Niederlage
Dann krachte es. Ein unachtsamer Russell rammte in Kurve 12 Verstappen, die Trümmer sorgten für ein Safety Car. Verstappen räumte mit einem Wechsel auf neue Hard nach nur zehn Runden die Sorgen aus. Sergio Perez hatte noch mehr Glück, tauchte so nach seinem Startcrash aus den Untiefen des Klassements vorne in Führung liegend auf. Leclercs Reifen waren erst fünf Runden alt. Er blieb draußen.
Das Problem beim Restart ist, dass bereits angefahrene Reifen eine dünnere Gummischicht haben. Sie tun sich deshalb schwer, die Energie so effizient aufzunehmen und zu speichern wie ein neuer Reifen. Mit diesem Anwärm-Vorteil stürmten die Red Bulls beim Restart vor. Auch durch den Stopp verlorengegangene Plätze an Oscar Piastri und Pierre Gasly störten Verstappen nicht. Er übernahm schnell die Führung.
Leclerc tat sich in den Kämpfen schwer, die Reifen nun optimal zu kontrollieren: "Und ich bin ziemlich gerutscht damit, das ist nicht so toll." Erst zu Rennende flachte der Performance-Unterschied ab. Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur sieht darin einen Beweis für die starke Form in Las Vegas: "Die Pace war da, das Reifenmanagement okay." Auch wenn er sich nicht in Theorien ergehen will - es wirkt, als hätte Leclerc ohne Safety Car durchfahren und gewinnen können.
Fazit: Letztendlich war es wirklich Pech. Ferrari anzukreiden, dass man nach fünf Runden keinen erneuten Wechsel vollzogen hat, ist schwierig. Man war im Niemandsland, da stimmt auch Red Bull zu. Bei einem Stopp hätte Perez die Führung übernommen. Auf dem Hard war der Red Bull nicht mehr so anfällig wie auf dem Start-Medium, auch das steigende Grip-Niveau der Strecke arbeitete gegen schweres Graining. Risiko für Leclerc wäre, dass durch Stopps aller drei Fahrer das Rennen effektiv eingefroren wäre. Er hatte die Pace, um vornezubleiben. Aber keinen Vorteil, um am Ende auf Hard erneut zu überholen.
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