Spätestens seit dem Rennen in Austin diskutiert die Formel 1 über Unterbodenplanken und deren Abnutzung. Lewis Hamilton und Charles Leclerc waren dort die ersten Piloten, die in der Ground-Effect-Ära wegen zu großem Verschleiß an der Planke disqualifiziert wurden. In Brasilien könnte es an diesem Wochenende erneut zu Disqualifikationen kommen.

Wie in Austin findet auch in Sao Paulo ein Sprint-Event statt. Dabei haben die Teams nur eine Trainingseinheit Zeit, das Setup zu finden. Mit Beginn der Qualifikation am Freitagnachmittag gilt Parc Ferme. Änderungen an Setup und Spezifikation des Autos sind nicht mehr erlaubt.

In Brasilien könnte es für die Teams sogar noch kniffliger werden als in Amerika. Denn die Meteorologen sagen für Freitag Regen vorher. Das restliche Wochenende soll aber bei trockenen Bedingungen stattfinden. Im Regen können die Teams nichts über die Abnutzung der Bodenplanke lernen.

Die Kräfte sind durch niedrigere Geschwindigkeiten und weniger Grip deutlich geringer, die Autos setzen generell nicht so stark auf wie im Trockenen. Dazu sind Intermediates und Regenreifen im Durchmesser 10 Millimeter größer.

Direkter Zusammenhang zwischen Bodenfreiheit und Abtrieb

In der Ground-Effect-Ära nutzen die Teams die Trainings hauptsächlich dazu, die richtige Bodenfreiheit in Kombination mit der entsprechenden Härte des Fahrwerks herauszufinden. Jeder Millimeter, den das Auto näher am Boden fahren kann, bringt Performance.

Selbst eine einzelne trockene Trainingseinheit ist knapp bemessen für die Abstimmungsarbeit. Denn die Teams müssen Runden mit viel und wenig Benzin, mit DRS und ohne den Klappflügel fahren. Man will in allen Zuständen herausfinden, wie stark der Unterboden verschleißt. Diese Erfahrungswerte rechnet man schließlich auf das restliche Wochenende hoch.

Immerhin: Im Gegensatz zu Austin ist Sao Paulo nicht ganz so uneben. Die starken Bodenwellen auf dem Circuit of the Americas wurden Ferrari und Mercedes zum Verhängnis. Aber auch das Autodromo Carlos Pace ist für seine unebene Piste bekannt.

Der Circuit of the Americas ist trotz Neuasphaltierungen eine Buckelpiste, Foto: Circuit of the Americas
Der Circuit of the Americas ist trotz Neuasphaltierungen eine Buckelpiste, Foto: Circuit of the Americas

Austin war dabei kein Einzelfall. Beim ersten Sprint des Jahres in Baku musste Alpine den Parc Ferme an beiden Autos brechen, weil die Skidblocks an der Bodenplatte sonst die erforderliche Mindestdicke von 9 Millimetern nicht erfüllt hätten.

Red Bull in Spa vor Disqualifikation?

In Spa hätte es beinahe Red Bull erwischt, wie Fernando Alonso in Brasilien verriet. "Deshalb sind sie in Eau Rouge vom Gas gegangen", so der Spanier. Tatsächlich zeigt die Motorsport-Magazin.com-Datenauswertung, dass Red Bull vor der Kompression in Eau Rouge zitterte.

Unter normalen Umständen ist Eau Rouge mit einem modernen Formel-1-Auto auch im Rennbetrieb Vollgas. Selbst als es beim Belgien GP 2023 leicht nieselte, blieben die meisten Piloten voll auf dem Pinsel stehen.

Max Verstappen drückte das Gaspedal in Eau Rouge genau so lange gen Bodenplatte, bis seine Aufholjagd von Startplatz sechs beendet war und er auf Platz eins lag. Danach schonte er den Unterboden und ging vor der Kompression vom Gas. Auch Perez fuhr den Großteil des Rennens über so. Immer wieder gab es am Funk verschlüsselte Anweisungen dazu. Der Streit zwischen Renningenieur Gianpiero Lambiase und Verstappen drehte sich wohl hauptsächlich darum. Der Weltmeister durfte auch nicht mehr auf die Jagd nach der schnellsten Rennrunde gehen.

Nur in 27 Prozent aller Runden blieben die Red-Bull-Piloten durch Eau Rouge durch voll auf dem Gas. Am mangelnden Abtrieb liegt es beim RB19 sicher nicht. Die Aston-Martin-Piloten hatten in 90 Prozent aller Runden das Gaspedal durchgedrückt, bei Mercedes 91 Prozent, bei Charles Leclerc (Sainz schied am Start aus) 88 Prozent. Lando Norris (Piastri schied ebenfalls am Start aus) fuhr sogar jede einzelne Runde mit Vollgas durch Eau Rouge.

Ob die Maßnahmen reichten, weiß man übrigens nicht. Die FIA überprüfte nach dem Rennen den Verschleiß der Planken nicht. Nach den Disqualifikationen in Austin dürfte die FIA sensibilisiert sein für dieses Thema. Niemand kann sich erlauben, mehr als einen Millimeter Abnutzung zu riskieren. Aber wie viel Performance verschenkt man, um auf der sicheren Seite zu sein? Wer traut sich, die Grenzen auszuloten? Weil die Bodenfreiheit ein solch entscheidender Performance-Faktor ist, könnte das Kräfteverhältnis in Brasilien dadurch ordentlich durcheinandergewirbelt werden.

Starten Teams absichtlich aus der Boxengasse?

Viele rechnen damit, dass deshalb am Sonntag erneut Autos aus der Boxengasse starten werden. In Austin starteten gleich beide Aston Martin und beide Haas aus der Box hinterher. Beide hatten neben der Aero-Konfiguration auch bei der Bodenfreiheit nachgelegt. Schließlich hatte man zu diesem Zeitpunkt schon Daten aus zwei Qualifyings und einem Sprint.

Am vergangenen Wochenende startete Lance Stroll aus der Box hinterher. "Ich glaube, dass das mehr und mehr Leute machen werden", meint Günther Steiner. "Wenn du 18. oder 19. bist, hast du nichts zu verlieren. Nach zwei oder drei Runden bist du am Feld dran. Gleichzeitig vermeidest du das Chaos am Start."

Könnten die kleinen Teams vielleicht von Anfang an darauf spekulieren? Mit einem aggressiven Setup könnte man im Sprint Chancen auf Punkte haben. Den GP müsste man dann aus der Box aufnehmen. "Du gibst ein Qualifying nie strategisch auf, weil du aus der Boxengasse starten willst. Du startest strategisch aus der Boxengasse, weil du dich schlecht qualifiziert hast", glaubt Steiner.