"Generell sind Ground-Effect-Autos Schrott-Autos. Das Team, das führt, hat schlicht das Schrott-Auto, das am wenigsten Schrott ist." So harsch beurteilte Mercedes-Teamchef Toto Wolff die neue Fahrzeuggeneration nach einem äußert ereignisarmen Aserbaidschan GP 2023. Am Rennwochenende in Baku hatte die Diskussion über die Regel-Revolution aus dem Vorjahr ihren Höhepunkt erreicht. Vor allem die Fahrer klagten über mangelnde Überholmöglichkeiten. "Es hat sich so entwickelt, dass es sich mit dieser Auto-Generation wieder schwer überholen lässt", sagte damals Ferrari-Pilot Carlos Sainz. "Ich weiß nicht, wie lange es noch möglich ist, mit dieser neuen Generation Rennen zu fahren."

Motorsport-Magazin.com führte anlässlich der Diskussion bereits damals eine erste Analyse über die Überholmanöver durch, doch mittlerweile ist etwas Zeit ins Land gegangen und wir haben einige zusätzliche Rennen gesehen. Haben sich die Befürchtungen der Fahrer bewahrheitet? Und was sind die Ursachen für die Beschwerden?

Überholen in der Formel 1 2023: Das sagen die Zahlen

Ein Blick auf die Statistik verdeutlicht: Die Zahl der erfolgreichen Überholmanöver aus der aktuellen Saison ist im Vergleich zum Vorjahr zwar gesunken, ein gravierender Unterschied ist allerdings nicht zu erkennen. Insgesamt 297 Überholmanöver wurden in den ersten zwölf Rennen der aktuellen Saison erfolgreich absolviert. Damit sind es neun weniger als zum gleichen Zeitpunkt in der Vorsaison (Imola wurde bei beiden Saisons nicht berücksichtigt). Die Differenz zu Beginn der Saison, vor allem bedingt durch den Bahrain GP hat sich über den weiteren Saisonverlauf wieder halbwegs ausgeglichen.

Eine andere kleine, aber dennoch erwähnenswerte Veränderung ist bei der Art der Überholmanöver zu beobachten. Im Vergleich zur Saison 2022 werden 8% weniger Überholmanöver mit einem aktiven DRS-Vorteil absolviert. Die Verkürzungen der DRS-Zonen in Aserbaidschan und Miami sind dafür allerdings nicht der Auslöser - in Baku wurde sogar häufiger überholt. Das DRS-System scheint in dieser Saison weniger wirksam zu sein. Ein Indiz dafür, dass die Autos nicht mehr in dem Maße hintereinander herfahren konnten, wie letzte Saison?

Eine andere Statistik würde dagegensprechen. Der Wert der Überholmanöver, bei dem beide Kontrahenten den Flügel flachstellen durften, ist signifikant gestiegen - von drei auf acht Prozent. In der Theorie ist ein Überholmanöver mit beiderseitigem DRS-Vorteil vor allem dann möglich, wenn beim Kurvenausgang bereits beide Boliden eng beieinander sind, sich also gut folgen können. Sollte das nicht der Fall sein bilden sich die allseits bekannten 'DRS-Züge', die das Überholen so gut wie unmöglich machen.

Fazit:
Eine Veränderung bei der Anzahl sowie der Art der Überholmanöver ist zwar zu erkennen, doch die Sorgen der Teams aus der Anfangsphase der Saison haben sich bisher nicht bewahrheitet. Dennoch gilt es für die kommenden Saisons die Zahl und die Art der Überholmanöver zu beobachten, damit sich aus diesem bisher kurzfristigen Trend kein langfristiges Problem entwickelt.

Baku 2022 als Auslöser der anfänglichen Formel-1-Überholkrise?

Der Aserbaidschan GP aus der Vorsaison könnte einer der entscheidenden Gründe für die anfängliche Überholflaute sein, die die ursprüngliche Diskussion überhaupt ins Rollen gebracht hatte. Damals war das mittlerweile viel besprochene 'Porpoising' noch ein omnipräsentes Thema in der Formel 1. Auf der langen Geraden des Stadtkurses von Baku waren die hüpfenden Boliden besonders auffällig, vor allem bei Lewis Hamilton.

Nach dem Aserbaidschan GP 2022 hatte Lewis Hamilton sichtlich mit seinem Rücken zu kämpfen, Foto: LAT Images
Nach dem Aserbaidschan GP 2022 hatte Lewis Hamilton sichtlich mit seinem Rücken zu kämpfen, Foto: LAT Images

Der siebenfache-Weltmeister war aufgrund des extremen Hüpfens seines W13 nach dem Rennen kaum in der Lage, seinen Wagen aus eigener Kraft zu verlassen. Spätestens an diesem Punkt wurde das Problem sicherheitsrelevant und die Formel 1 diskutierte mit der FIA die Thematik sorgfältig.

Was folgte, war eine Anpassung des Technik-Reglements für die Saison 2023 durch die der Unterboden um 25 Millimeter angehoben wurde. Allerdings sorgte die Unterbodenerhöhung im Umkehrschluss für eine grundsätzliche Verschlechterung des Ground-Effekts. Außerdem wurde durch den erhöhten Abstand zwischen Unterboden und Straße wieder mehr 'Dirty Air' erzeugt, wodurch das hintere Fahrzeug an Abtrieb einbüßt, und ein Überholversuch erschwert wird. Auf diese Veränderung scheinen die Teams mittlerweile eine Antwort gefunden zu haben, weshalb sich die Überholmanöverzahlen wieder auf einem ähnlichen Niveau wie vor einem Jahr eingependelt haben.