Kotflügel, Schutzblech, Spray Reduction Device oder Spray Guards: Die Formel 1 hat für ihre neueste Erfindung schon zahlreiche Namen. Nach dem Reifentest in Silverstone in der vergangenen Woche wurden die Innovation erstmals am realen Auto getestet. Am Donnerstag setzten Mercedes und McLaren ihre Autos für einen FIA-Regentest ein. Dabei wurden erstmals Kotflügel getestet, an denen der Automobilweltverband seit Ende der vergangenen Saison entwickelt. Die Kotflügel sollen die Gischt im Regen deutlich reduzieren. Die Sicht ist das aktuell größte Problem bei Regenrennen.

Deshalb arbeiten fünf Aerodynamiker, darunter drei CFD-Experten, bei der FIA daran, ein Einheitsbauteil zu entwickeln, das bei starkem Regen an alle Autos montiert werden muss. Mercedes-Ingenieure adaptierten das Design entsprechend, um die Kotflügel an ihren Radträgern befestigen zu können. Mick Schumacher pilotierte den schwarzen Silberpfeil beim Test, als Referenz fuhr Oscar Piastri im McLaren.

Das Referenz-Fahrzeug setzte man ein, um den Effekt der Kotflügel auch wirklich beurteilen zu können. Auch wenn An- und Abbau im Idealfall nur wenige Minuten dauern, die Streckenverhältnisse im Regen ändern sich stetig. Um diese Variable aus der Gleichung zu nehmen, fuhr der Mercedes mit Kotflügel, der McLaren ohne. So konnte man teilweise auch die Sicht des Hinterherfahrenden beurteilen.

Kotflügel-Prototypen noch zu klein

Das Fazit nach dem ersten Test ist zwiegespalten. "Es wäre perfekt gewesen, wenn alles funktioniert hätte, aber das war nicht der Fall. Wir hätten uns das Projekt etwas einfacher vorgestellt", gibt FIA Formel-1-Boss Nikolas Tombazis zu. "Aber ich persönlich bin bei diesem Test nicht davon ausgegangen, dass es einen großen Effekt geben wird. Wir haben mit relativ kleinen Bauteilen experimentiert."

Kotflügel und Schutzbleche für Testzwecke an einem Formel-1-Auto. Die FIA nennt die Teile Spray Reduction Device.
Die ersten Prototypen decken nur einen kleinen Teil der Reifen ab, Foto: FIA

Echte Bilder vom Test veröffentlichte die FIA nicht. Motorsport-Magazin.com durfte aber einen Blick darauf werfen. Inzwischen gibt es zumindest CAD-Bilder davon. Hinter Vorder- und Hinterreifen wurden jeweils zweiteilige Schutzbleche angebracht, die direkt am Radträger befestigt wurden. Die beiden Elemente wurden jeweils noch mittels kleiner Streben - wie bei einem Fahrrad-Schutzblech - miteinander verbunden. In der Realität sah der Anbau noch etwas unschöner aus als auf den CAD-Bildern. Aber die Teile sind ohnehin nicht permanent und nur im äußersten Notfall an den Autos.

Beim ersten Testträger war ein großer Teil des Reifens nicht verdeckt. Warum aber testete man nicht gleich mit größeren Exemplaren? "Wenn man die Bleche größer macht, dann werden die aerodynamischen Kräfte sehr hoch", erklärt Tombazis. Das wiederum führt zu deutlich massiveren Bauteilen. Dadurch wird die Befestigung am Radträger komplexer, die Beeinträchtigung der Fahrzeug-Performance wird stärker.

Diffusor vs. Reifen: Woher kommt die Gischt?

Auch wenn sich der große Effekt beim ersten Test noch nicht einstellte: Die FIA ist froh, dass man echte Daten sammeln konnte. So kann man die CFD-Simulationen mit der Realität abgleichen. Für die Ingenieure sind die Simulationen mit Spray eine riesige Herausforderung. Man kann zwar auf Modelle von Wasserpartikel zurückgreifen, allerdings wird es bei der Interaktion mit Reifen und Diffusor richtig kompliziert. In der Automobilindustrie simuliert man ebenfalls mit Regen, damit Spiegel und Scheiben nicht so stark verschmutzen - die Komplexität ist allerdings deutlich geringer.

Die FIA-Aerodynamiker stehen vor einem komplizierten Problem. Man muss zunächst verstehen, wie viel Spray von den Reifen aufgewirbelt wird und wie viel vom Unterboden. "Das wissen wir noch nicht genau", gibt Tombazis zu. Gegen die Gischt vom Diffusor kann man relativ wenig tun. "Aber ich glaube, dass das Problem von den freistehenden Reifen kommt. In Le Mans haben die Autos auch einen Diffusor und die Sicht ist deutlich besser", erklärt Tombazis.

Formel 1 sollen keine Sportwagen werden

Sportwagen will der Grieche aber nicht aus den Formel-1-Boliden machen. Die Schutzbleche sollen am Radträger befestigt werden und nicht Teil des Bodyworks sein. Dann wäre es mit Einheitsbauteilen noch komplexer, weil die Bewegung der Radaufhängung bei den Autos unterschiedlich groß ist. Dass die Autos durch das zusätzliche Bauteil Aero-Performance verlieren, ist dabei nicht zu vermeiden. Aber darum geht es nicht. Lieber sind die Autos etwas langsamer, als dass man im Regen überhaupt nicht fahren kann.

Für die FIA geht es nach dem ersten Test weiter. Eine zweite Iteration des Bauteils will man im Herbst 2023 fertig haben. Dabei ist der Automobilweltverband auf die Mithilfe der Teams angewiesen. Installiert und produziert wurde der erste Testträger von Mercedes.

Der eigentliche Plan sah vor, die Spray Guards im letzten Drittel der Formel-1-Saison 2023 einsatzbereit zu haben. Dann stehen weite Übersee-Reisen an. Dort ist die Angst besonders groß, mit dem gesamten Zirkus um die Welt zu reisen und am Ende wegen Regen kein Rennen fahren zu können. Nach den ersten Tests ist der Einsatz noch in dieser Saison aber nicht realistisch.

An der Sache selbst bestehen bei der FIA aber keine Zweifel. Ein Spa 2021, als aufgrund der schlechten Sicht nur wenige Runden hinter dem Safety Car gefahren wurden, soll sich nicht wiederholen. "Das macht den Unterschied, ob ein Rennen stattfinden kann oder nicht. Wenn so nur ein Rennen gerettet werden kann, dann ist es den Aufwand wert", stellt Tombazis klar.