Es ist jedes Jahr dasselbe Spiel, jedes Jahr die gleiche Präambel an dieser Stelle: Gebetsmühlenartig versichern alle Beteiligten, dass die Testfahrten der Formel 1 überhaupt rein gar nichts aussagen. Und doch will jeder nach den drei Testtagen in Bahrain wissen, wie das Kräfteverhältnis vor dem Start der Formel-1-Saison 2023 aussieht.

Motorsport-Magazin.com versucht sich deshalb wie jedes Jahr an der Quadratur des Kreises, an der Test-Analyse. Wie immer liefert Johann Wolfgang von Goethe das Fazit schon vorab, damit es am Ende keine Beschwerden gibt: Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.

Die ganze Formel 1 ist 2023 zuverlässig

2023 ist die Analyse besonders schwer. Im zweiten Jahr der neuen Fahrzeuggeneration gab es nur drei Testtage. Rennsimulationen sind deshalb Mangelware. Zwar gab es wenig Zuverlässigkeitsprobleme. Doch die wenigen Testunterbrechungen, die es gab, ruinierten dabei noch einige Rennsimulationen. Dazu gibt es keine großen Ausreißer bei den Teams. Einen katastrophalen Test erlebte noch nicht einmal McLaren, obwohl man das bei den Aussagen der Teamverantwortlichen glauben könnte.

Im Schnitt fuhr selbst McLaren über 100 Runden pro Tag. Die Probleme, die beim britischen Traditionsrennstall auftraten, waren im Vergleich zur Vorsaison lächerlich. Auch Alpine hatte ein paar Kinderkrankheiten, aber nichts Dramatisches. Man verbrachte mehr Zeit als gewollt in der Garage, weil die neue Hinterachse - das Team wechselte von Zug- auf Druckstrebe - noch Neuland für die Mechaniker war und Setup-Änderungen doch länger als geplant dauerten. Die Aston-Martin-Probleme zu Testbeginn sind darauf zurückzuführen, dass das Auto vom Wagenheber fiel.

Die gefahrenen Test-Runden aller Teams

P.TeamDOFRSAGesamt
1AlphaTauri131159166456
2Williams149154136439
3Haas126135172433
4Ferrari136138143417
5Red Bull157123133413
6Alfa Romeo138133131402
7Mercedes15298148398
8Aston Martin100130157387
9Alpine113108132353
10McLaren9213981312

Dokumentierte Probleme bei den F1-Testfahrten

Teamam SteuerWann?Wo?Was?
Aston MartinDrugovichDO, 08:09 UhrT4 AusgangElektrik
Aston MartinAlonsoDO, 14:40 Uhr-Unterbodenschaden
McLarenNorrisDO Nachmittag-Vordere Deflektoren locker
MercedesRussellFR 15:55 UhrT10 AusgangHydraulikleck
FerrariLeclercSA 08:06 UhrT10 AusgangHeckflügelbruch
McLarenPiastriSA Vormittag-Vordere Deflektoren locker
Alfa RomeoBottasSA 10:55 UhrT7 AusgangPower Unit

Ernsthafte Zuverlässigkeitsprobleme gab es bei diesem Test keine. Wenn, dann macht der Ferrari-Motor etwas Sorgen. Bei Haas überhitzte die Drosselklappensteuerung mehrfach, der Alfa-Sauber konnte seine Rennsimulation wegen Problemen an der Power Unit nicht beenden. Beim Werksteam lief alles rund. Die Zuverlässigkeit sollte zu Saisonbeginn eine deutlich geringere Rolle spielen als noch in der Vorsaison.

Red Bull von der ersten Test-Runde weg vorne dabei

Nur ganz vorne und ganz hinten ist das Bild etwas klarer. Egal wann Red Bull auf der Strecke war, der RB19 war immer schnell. Weltmeister Max Verstappen verzichtete auf eine Show-Runde, überließ die Bühne dafür Sergio Perez. Der Mexikaner fuhr auf dem C4-Reifen Test-Bestzeit und Bahrain-Rekord dieser Fahrzeuggeneration.

Wie üblich beim Test fuhren die Piloten ihre schnellsten Runden auf unterschiedlichen Reifenmischungen. Pirelli lieferte am Ende des Tests die Delta-Zeiten zwischen den Pneus. Zwischen C3 und C4 liegen wie zwischen C4 und C5 jeweils vier bis fünf Zehntelsekunden. Zwischen C3 und C2 liegt in etwa eine ganze Sekunde.

Die Unterschiede sind aber bei allen Teams anders. Es handelt sich um einen groben Richtwert. Am Rennwochenende kommen die Mischungen C1, C2 und C3 zum Einsatz, im Qualifying wird deshalb mit C3 gefahren. Daher macht es Sinn, die Rundenzeiten auf C3 zu rechnen.

P.FahrerTeamZeitReifenKorr. ZeitRückstand
1PerezRed Bull1:30,305C41:30,705
2LeclercFerrari1:31,024C41:31,4240,719
3SainzFerrari1:31,036C41:31,4360,731
4HamiltonMercedes1:30,664C51:31,4640,759
5BottasAlfa Romeo1:30,827C51:31,6270,922
6VerstappenRed Bull1:31,650C31:31,6500,945
7TsunodaAlphaTauri1:31,261C41:31,6610,956
8MagnussenHaas1:31,381C41:31,7811,076
9AlonsoAston Martin1:31,450C41:31,8501,145
10RussellMercedes1:31,707C41:32,1071,402
11NorrisMcLaren1:32,160C31:32,1601,455
12ZhouAlfa Romeo1:31,610C51:32,4101,705
13de VriesAlphaTauri1:32,222C41:32,6221,917
14GaslyAlpine1:32,762C31:32,7622,057
15DrugovichAston Martin1:32,823C31:32,8232,118
16HülkenbergHaas1:32,466C41:32,8662,161
17PiastriMcLaren1:33,175C31:33,1752,470
18AlbonWilliams1:34,192C21:33,1922,487
19OconAlpine1:33,257C31:33,2572,552
20SargeantWilliams1:32,549C51:33,3492,644

Red Bull zieht dem Rest der Formel 1 im Test davon

So beträgt Red Bulls Vorsprung auf Ferrari bereits sieben Zehntel. Aber Vorsicht: Charles Leclerc fuhr seine Runde bereits in der Vormittagssession bei deutlich schlechteren Verhältnissen. Auch der immer wieder drehende Wind spielt in Bahrain mit hinein. Perez fuhr am letzten Abend bei Idealbedingungen. Verstappen war dem Tag gar nicht mehr im Einsatz. Diese Faktoren verzerrt das Bild zusätzlich zu Motormodi und Benzinladung ganz erheblich.

Hinter Red Bull geht es richtig eng zu. Ferrari liegt nur wenige Tausendstel vor Lewis Hamilton. Allerdings fuhr auch Hamilton seine Bestzeit am Abend. Als Leclerc und George Russell zeitgleich am Samstagvormittag auf Zeitenjagd gingen, hatte der Monegasse etwas klarer die Nase vorne.

Leclerc und Ferrari fanden auch nach drei Tagen mit signifikanten Umbauten das perfekte Setup nicht. Mercedes hadert genauso. Das schwere Bouncing ist verschwunden, doch die Balance schwankt nach wie vor, immer wieder verschwand der Grip am Heck.

Alfa-Sauber fährt im Test vorne, Alpine verschleiert

Überraschend nah an der Spitze ist auch Alfa-Sauber. Mit einer C5-Showrunde spät am Abend fuhr Valtteri Bottas auf Rang fünf. Allerdings ist das Mittelfeld erneut so extrem eng, dass hier die Motor-, Benzin- und Strecken-Effekte besonders stark zum Tragen kommen.

Alfa-Sauber, AlphaTauri, Haas, Aston Martin und McLaren liegen hier allesamt innerhalb einer halben Sekunde. Fernando Alonso im Aston Martin, der den gesamten Test über einen bärenstarken Eindruck machte, fuhr seine Bestzeit in der Mittagshitze. Die anderen hier genannten Teams nutzten die kühleren Abendstunden.

Zwei Teams tauchten an dieser Stelle noch nicht auf: Alpine und Williams. Alpine verzichtete beim Test komplett auf Show-Runden. Die Franzosen hielten sich bedeckt, zeigten sich aber sehr zufrieden mit dem A523. Zum Saisonauftakt kommt bereits das erste signifikante Update. Alpine sollte eine Rolle im vorderen Mittelfeld spielen können.

Alpine und Pierre Gasly standen viel in der Garage, Foto: LAT Images
Alpine und Pierre Gasly standen viel in der Garage, Foto: LAT Images

Bei Williams sieht es anders aus. Nach dem ersten Testtag ging ein Raunen durchs Fahrerlager. Der eine oder andere traute den Briten einen großen Sprung zu. Nach drei Testtagen ist der Optimismus verblasst. Der Traditionsrennstall scheint erneut einen Schritt hinter dem Mittelfeld zu liegen.

Das lassen auch die rudimentären Rennsimulationen erahnen. Hier zeigte auch der Haas Schwächen. Aber in dieser Disziplin ist ganz besonders wichtig, wann gefahren wird. Bahrain belastet die Reifen extrem. In der Mittagshitze in der Wüste von Sakhir ganz besonders.

Wo ist Aston Martin? Formel-1-Rennsimulationen analysiert

Deshalb spielte Aston Martin Teamchef Mike Krack die sensationelle Rennsimulation von Fernando Alonso auch herunter. Der spanische Torero fuhr mit Abstand die besten Zeiten im Dauerlauf. "Aber ganz am Ende des letzten Testtages, als es kühl und windstill war und alle zuvor ihre schnellen Runden gefahren sind und somit für extra Grip auf der Strecke gesorgt haben", so Krack.

Alonso verzichtete also auf einen Glory-Run für eine einzelne schnelle Rundenzeit, stattdessen gab es bei ihm die Glory-Rennsimulation bei Idealbedingungen. Zumindest wird dabei aber nicht mit der Benzinmenge getrickst.

Alonso nutzte den Abend für eine volle Rennsimulation, Foto: LAT Images
Alonso nutzte den Abend für eine volle Rennsimulation, Foto: LAT Images

Da es insgesamt aber nur wenige komplette Rennsimulationen gab, sind gute Vergleiche kaum möglich. Von Mercedes, McLaren und Alpine gab es gar keine ernsthaften Versuche. Viele Teams mussten wegen Roter Flaggen oder Probleme abbrechen oder umdisponieren.

Fahrer1. StintRunden 1. StintGesamtWann?Anmerkung
Alonso1:38,713151:37,465SA Abend
Perez1:38,457131:38,205FR Vormittag
Bottas1:39,843211:38,916SA VormittagDefekt nach R54
Zhou1:40,144171:39,252FR NachmittagRot nach R53
Tsunoda1:40,521161:39,464FR Vormittag
Magnussen1:41,129141:39,587SA Nachmittag
Albon1:41,149181:39,691SA Nachmittag
De Vries1:41,113161:40,146SA VormittagRot nach R53
Leclerc1:39,26414FR AbendAbbruch
Sargeant1:41,6168FR NachmittagAbbruch
Sainz1:39,67012SA AbendAbbruch
Hülkenberg1:41,5769SA VormittagAbbruch
Drugovich1:39,96316SA VormittagAbbruch

Deshalb macht es durchaus Sinn, nur den 1. Stint der Rennsimulationen heranzuziehen. Bis auf Valtteri Bottas (C1) und Nyck de Vries (C2) fuhren alle Piloten die ersten Runden der Rennsimulation auf C3.

Diese Wertung ist ein weiterer Indikator, aber natürlich aufgrund der unterschiedlichen Stint-Längen nicht besonders repräsentativ. Perez hat bei den Durchschnittszeiten die Nase vorne, dahinter folgt von Fernando Alonso im Aston Martin, gefolgt von Charles Leclerc und Carlos Sainz in den Ferraris. Am Ende der Wertung wechseln sich Haas und Williams ab.

So sieht die erste Formel-1-Rangliste nach den Testfahrten aus

Damit zurück zur ersten Reihenfolge. Vorne und hinten scheint die Sache klar: Erster Red Bull, Letzter Williams. Dann wird es knifflig. Manche Teams sehen Aston Martin sogar auf Platz zwei vor Ferrari. Die Historie zeigt aber auch, dass Team Silverstone bei Testfahrten gerne mehr zeigt als die Top-Teams Ferrari und Mercedes - vor allem die Silberpfeile halten sich oft gerne beim Test zurück.

Deshalb liegt Aston Martin in unserem Ranking nur auf Rang vier. Alfa-Sauber machte einen starken Eindruck, könnte aber durchaus noch von Alpine überholt werden, wenn die Franzosen neue Teile bringen und Ernst machen. McLaren sieht nicht gut aus, aber nicht so schlecht, wie es die eigenen Aussagen vermuten lassen.

AlphaTauri nur auf Rang acht? Die Truppe aus Faenza zeigt bei Testfahrten und im Training gerne schon das voll Potential. Der Haas fährt im Mittelfeld mit, hat aber im Longrun größere Probleme, deshalb nur Rang neun. Das Schlusslicht bildet klar Williams.

P.Team
1Red Bull
2Ferrari
3Mercedes
4Aston Martin
5Alfa Sauber
6Alpine
7McLaren
8AlphaTauri
9Haas
10Williams