Eine Saison zu dominieren war in der V6-Turbo-Hybrid-Ära bisher nur Mercedes gelungen. Red Bull konnte die Silberpfeile 2021 zumindest in der Fahrer-WM entthronen und setze 2022 unter neuem Reglement noch einen drauf, und wie! Obwohl sie 2021 bis zum letzten Rennen um die Weltmeisterschaft kämpften, stellten sie auch 2022 sofort wieder ein konkurrenzfähiges Auto hin, welches im Verlauf der Saison zur dominanten Kraft in der Formel 1 weiterentwickelt wurde. Dieses Fahrzeug pilotierte mit Max Verstappen dann auch noch der beste Fahrer des Jahres. Die Saisonbilanz der neuen Formel-1-Könige.

So startete Red Bull in die neue Formel 1: Mit einem Doppelausfall in Bahrain. Beide RB18 blieben kurz vor Schluss mit Problemen am Benzinsystem liegen, während Ferrari einen Doppelsieg einfuhr. Ein schlechtes Omen: Das letzte Mal, dass ein Team beide Weltmeisterschaften nach einem punktelosen ersten Rennen gewann, war Williams im Jahre 1997. Red Bull schien diese Statistik aber nicht im Geringsten zu interessieren. Milton Keynes trotze auch weiteren technischen Ausfällen von Max Verstappen in Australien und Sergio Perez in Kanada. Nach und nach kauften sie Ferrari den Schneid ab.

Die Ausfälle zu Saisonbeginn brachten Red Bull nicht aus dem Tritt, Foto: LAT Images
Die Ausfälle zu Saisonbeginn brachten Red Bull nicht aus dem Tritt, Foto: LAT Images

War die Scuderia vor allem im Qualifying stark, so wendete Red Bull im Rennen zumeist das Blatt. In Saisonhälfte zwei waren die Roten Bullen dann sogar fast unschlagbar. Nur beim Sprint-Wochenende in Brasilien mussten sie Mercedes den Vortritt lassen. 17 Siege aus 22 Rennen und ein Vorsprung von mehr als 200 Punkten auf Ferrari sprechen eine deutliche Sprache: Red Bull hat die neue Formel 1 2022 nicht einfach nur gewonnen, sondern klar dominiert.

So entwickelte sich Red Bull 2022: Der Red Bull war von Anfang an siegfähig und befand sich, zumindest im Rennen, auf Augenhöhe mit Ferrari. Dennoch plagten den RB18 zwei Probleme. Zum einen waren da die bereits angesprochenen Unzulänglichkeiten ins Sachen Zuverlässigkeit. Zum anderen hatte das neueste Werk von Adrian Newey zu Saisonbeginn noch etwa 20 Kilogramm zu viel auf der Hüfte. Besonders Max Verstappen zeigte sich noch unzufrieden mit der Balance des Autos, da es zu stark untersteuerte. Teamkollege Sergio Perez kam damit besser zurecht und rückte Verstappen so im ersten Saisondrittel erstaunlich nahe.

Dass der niederländische Titelverteidiger mit einem Auto, das ihm nicht schmeckte, zu schwer war und dazu noch zweimal ausfiel, trotzdem sechs der ersten neun Rennen gewann, zeigte auf, wohin die Reise noch gehen sollte. Die Zuverlässigkeitsprobleme wurden im ersten Saisondrittel aussortiert. Zwar musste Red Bull noch einige Strafversetzungen aufgrund von Wechseln der Motorkomponenten hinnehmen, doch war dieses Problem bei Ferrari noch größer. Die 20 Kilogramm Übergewicht wurden nach und nach abgespeckt und Verstappen fühlte sich immer wohler in seinem Dienstwagen. Spätestens ab Spa war die Kombination aus dem Niederländer und dem RB18 nicht mehr zu Bremsen. Die Frage lautete längst nicht mehr ob, sondern wie früh sich Verstappen und Red Bull ihre Titel sichern würden.

In Belgien hatte Red Bull den wohl dominantesten Auftritt, Foto: Getty Images / Red Bull Content Pool
In Belgien hatte Red Bull den wohl dominantesten Auftritt, Foto: Getty Images / Red Bull Content Pool

Das ist Red Bulls größte Stärke: Die Umsetzung des Grand Prix am Sonntag. Selbst mit dem schnellsten Rennauto im Feld ist es nicht garantiert, dass es jedes Mal gelingt, einen auf Pole stehenden Charles Leclerc zu schlagen. Red Bull demonstrierte aber fast in Perfektion, wie Hindernisse auf dem Weg zum Sieg umschifft werden. Der gute Topspeed half den Fahrern beim Überholen, die Boxenstopps waren die besten im Feld und auch die Strategien waren so gut wie immer treffsicher.

Konkurrent Ferrari bewies des Öfteren, wie man sich trotz eines schnellen Autos ein Bein stellen kann. Red Bull hat dies über die gesamte Saison hinweg konsequent vermieden, selbst als der RB18 zu Saisonbeginn dem F1-75 noch nicht überlegen war. In Monaco, wo Überholen bekanntermaßen so gut wie unmöglich ist, war die Strategieabteilung um eine Klasse besser und machte aus den Plätzen Drei und Vier in der Startaufstellung die Plätze Eins und Drei im Ziel. In Ungarn fuhr Verstappen trotz Startplatz 10 und einem Dreher zum Sieg. Natürlich profitierte Red Bull bei seinen Siegen häufig von Fehlern der Scuderia, doch genau diese Fehler machte das Weltmeisterteam eben nicht.

Red Bulls Boxencrew war wieder einmal am schnellsten, Foto: LAT Images
Red Bulls Boxencrew war wieder einmal am schnellsten, Foto: LAT Images

Das ist Red Bulls größte Schwäche: Eine große Schwäche auf der sportlichen Seite zu finden ist schwierig. Natürlich war Red Bull im Qualifying nicht so stark wie Ferrari, doch acht Pole-Positions und 18 Starts aus der ersten Reihe als schwach zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Zudem war auch vor der Saison schon bekannt, dass Sergio Perez nicht gerade der Überflieger auf eine schnelle Runde ist. Ebenso hat Red Bull die Zuverlässigkeitsprobleme des RB18 im Verlauf der Saison lösen können, was anderen Teams - Alpine lässt grüßen - nicht gelang. Auch hier gab es also nur in den ersten Rennen des Jahres ein echtes Problem zu konstatieren.

Neben der Strecke hingegen lag bei Red Bull tatsächlich einiges im Argen. Der Bruch des Budgetcaps 2021 und das vehemente Dementieren eines Fehlers, nur um dann doch einem ABA (Accepted Breach Agreement) mit der FIA zuzustimmen, hinterließ bei vielen Beobachtern einen faden Beigeschmack. In Austin skandierten die Fans bei einer Veranstaltung mit den beiden Piloten sogar laut "Cheater" [Betrüger, Anm. d. Red.]. Doch nicht nur dem eigenen Ruf wurde damit geschadet. Red Bull wurden die Windkanalzeiten für 2023 reduziert, dies wird sie auch sportlich treffen. Die Diskussion um die verweigerte Teamorder von Max Verstappen in Brasilien schlug ebenfalls hohe Wellen. Über allem stand jedoch die Schocknachricht des Todes von Firmengründer Dietrich Mateschitz. Ob der neue Chef der Red-Bull-Sportsparte, der ehemalige RB-Leipzig-Chef Oliver Mintzlaff, Helmut Marko und Christian Horner langfristig ebenso ungestört und unbürokratisch arbeiten lässt wie Mateschitz, muss sich noch zeigen.

2022-Schlussstrich für Red Bull: 759 Punkte, 17 Siege, 28 Podestplätze und beide Weltmeistertitel. Red Bull legte 2022 einen Triumphzug hin, wie das selbst zu ebenfalls dominanten Zeiten mit Sebastian Vettel noch nicht gelang. Dass Sergio Perez den zweiten Platz in der WM um drei Punkte verpasste, ist nur ein Tropfen auf einen heißen Erfolgsstein. Die Ausfälle vom Saisonauftakt ließen die Mannschaft von Christian Horner komplett kalt. Konsequent wurde an den Problemen des RB18 gearbeitet und zur Saisonhälfte waren diese behoben. Am Sonntag war Red Bull das absolute Maß der Dinge in der Formel 1, daher konnten auch die Quali-Niederlagen gegen Ferrari leicht verkraftet werden.

Formel-1-Teambilanz 2022: Die perfekte Saison für Red Bull?: (07:18 Min.)

Steht also eine neue Ära der Dominanz ala Mercedes bevor? Die aktuelle Form von Team und Weltmeister Max Verstappen lässt das viele Fans befürchten. Dennoch hat Red Bull keine komplett weiße Weste hinterlassen. Der Stunk zwischen Perez und Verstappen scheint auch nach Brasilien noch keine schlimmen Ausmaße angenommen zu haben, doch darf zumindest in Frage gestellt werden, ob der Mexikaner sich in Zukunft alles gefallen lassen wird. Dazu kommt die Frage des Budgetcap-Bruches und der dadurch verkürzten Windkanalzeit. Nachdem Red Bull die Kostengrenze bisher als einziges Team gebrochen hat (bei Williams und Aston Martin waren es 'nur' Verfahrensfehler), dürften sie von der Konkurrenz und FIA genau beobachtet werden. Und die Konkurrenz könnte 2023 auch ein anderes Level erreichen. Frederik Vasseur wird bei Ferrari wohl von Beginn an auf Charles Leclerc als Nummer Eins setzen und Mercedes wird kaum erneut auf dem falschen Fuß beginnen. Red Bull ist sicher auch für die nächste Saison der Favorit, doch ein erneuter Durchmarsch wie 2022 dürfte schwieriger werden.