Der zweite August 2022 wird zum bitteren Wendepunkt für Alpines Formel-1-Fahrerkader. Die 21-jährige Nachwuchshoffnung Oscar Piastri ist an jenem Tag in der Fabrik. Simulatordienst. Otmar Szafnauer, damals noch Teamchef, überbringt im Laufe des Tages vermeintlich frohe Kunde: Piastri wird für 2023 Fernando Alonsos Platz als Einsatzfahrer übernehmen. Bei den folgenden Ereignissen decken sich die Darstellungen der Beteiligten nicht mehr ganz. Laut Szafnauer lächelt Piastri und bedankt sich.

Laut Piastri habe Alpine da schon gewusst, dass er beim Konkurrenten McLaren einen Vertrag für 2023 unterschrieben habe. Als bizarre, ärgerliche Episode vor Teammitgliedern, vor denen er keine Szene machen wollte, beschreibt er es später. Um 18:12 Uhr bestätigt Alpine ihn per Pressemitteilung öffentlich, um 20:00 Uhr weist Piastri per Tweet (siehe unten) diese Bestätigung zurück. Zurecht, wie sich einen Monat später vor der zuständigen Stelle des Motorsport-Weltverbandes FIA herausstellt. Alpine hatte nie einen Vertrag, und steht nun ohne seine Legende Fernando Alonso und ohne seine Nachwuchshoffnung Oscar Piastri da. Ein Fiasko, das seinesgleichen sucht.

Piastri oder Alonso? Alpines Fahrer-Luxusproblem

Das Fiasko, und der dramatische zweite August, wurden auf zwei Ebenen ausgelöst. Es geht um harte, vertragliche Fakten, aber auch um eine emotionale Komponente. Alpine war daran gescheitert, ein Luxusproblem zu lösen. Einerseits hatte die Mannschaft den zweifachen Weltmeister Fernando Alonso zum Comeback überreden können, und Alonso hatte sich im ersten Jahr gleich bezahlt gemacht.

Andererseits hatte das Juniorprogramm mit Piastri einen Rohdiamanten entdeckt. Nachdem der Australier mit Alpine-Unterstützung in aufeinanderfolgenden Jahren die Formel 3 und Formel 2 gewonnen hatte, war er eigentlich langfristig als Alonsos Nachfolger gesetzt, hatte aber kurzfristig kein Cockpit. Hier begannen die Probleme.

2021 gewann Piastri den Formel-2-Titel mit Alpine-Unterstützung, Foto: LAT Images
2021 gewann Piastri den Formel-2-Titel mit Alpine-Unterstützung, Foto: LAT Images

Als Piastris Formel-2-Titel im November 2021 nur mehr Formsache war, bekundete Alpine offen den Wunsch zur gemeinsamen Zukunft, setzte eine Vereinbarung auf, und machte ihn für 2022 zum Testfahrer mit Aussicht auf ein Einsatzcockpit in ferner Zukunft. Doch eine überlastete Rechtsabteilung sorgte dafür, dass Piastris Vertrag in einer Endlosschleife steckenblieb. Im März 2022 war noch nicht einmal der 2022-Teil der Vereinbarung rechtsgültig, woraufhin die Rechtsabteilung improvisieren musste, um überhaupt eine Superlizenz zu beschaffen und die versprochenen Trainingseinsätze im Laufe der Saison sowie etwaige Ersatzfahrer-Auftritte abzusichern.

Für 2023 und darüber hinaus gab es auch im Mai nur einen Fahrplan: Ein bis zwei Jahre Williams, dann die Beförderung ins Hauptteam. Frustriert von den nicht enden wollenden Verzögerungen begann Piastris Management, den Markt zu sondieren, und fand Interessenten.

McLaren betritt die Bühne - und findet Piastri

McLarens Motorsport-CEO Zak Brown sprach im Mai offen von den Enttäuschungen der Partnerschaft mit Daniel Ricciardo. Trotz Ricciardos nach wie vor gültigem 2023er Vertrag hörte sich auch McLaren um. Im Juni wurde zwischen den beiden Suchenden eine Vereinbarung arrangiert, am vierten Juli ein Zweijahresvertrag unterzeichnet und bei der zuständigen FIA-Stelle eingereicht. Mit Ricciardo wurde bis zum 24. August eine einvernehmliche Trennung ausverhandelt, um Piastri den Weg ins Einsatzcockpit freizumachen.

Piastri mit McLaren-Sportchef Zak Brown, Foto: LAT Images
Piastri mit McLaren-Sportchef Zak Brown, Foto: LAT Images

Zeitgleich spitzte sich im Alonso-Lager die Situation zu. Wer bei Alpine wie viel von beiden Problemen wusste, ist unklar. Das Team, welches damals unter Alpine-CEO Laurent Rossi und dessen Konzernchef, Renault-CEO Luca de Meo operiert, hatte sich erst im Winter im Management neu aufgestellt. So war Otmar Szafnauer als Teamchef eine Neuanwerbung.

Die Verlängerung des mit Jahresende 2022 auslaufenden Vertrags von Alonso zog sich auch nach guten Leistungen in den ersten Rennen immer weiter hin. Vor allem, weil sich Alonso nicht wohlfühlte und, nach eigener Aussage, ein "komisches Gefühl" und unangenehmen Druck verspürte: "Wir haben uns bei verschiedenen Dingen im Kreis gedreht, uns bei Grundsatzfragen nicht verstanden." Die Frage nach Piastris Zukunft schwebte immer im Hintergrund.

Aston Martin betritt die Bühne - und findet Alonso

Doch lange fehlte Alonso ein Druckmittel. Der 28. Juli war für ihn ein Geschenk des Himmels - an dem Tag trat Sebastian Vettel zurück. Sofort näherten sich Alonso und Aston Martin an, und am Ende brauchte es nur ein Wochenende, um sich handelseinig zu werden. Von Aston Martin fühle er sich gewollt, so Alonso. Alpine servierte er eiskalt ab.

Sein alter Teamchef Szafnauer beklagte sich, er sei gar nicht informiert und von der Aston-Martin-Pressemitteilung am Montag nach dem Grand Prix von Ungarn kalt erwischt worden: "Als ich und Fernando uns am Sonntag getrennt haben, sagte er zu mir: 'Schau, mach dir keine Sorgen, wir haben Zeit. Ich bin in der Sommerpause auf meinem Boot in Griechenland.' Das ist alles, was ich wusste." Erst in der letzten halben Stunde vor der offiziellen Verkündung informierte Alonso die Renault-Alpine-Spitzen de Meo und Rossi laut Szafnauer über seinen Abgang. Als die Pressemitteilung von Aston Martin eintraf, war es Montag, der erste August, 10:00 Uhr.

Fernando Alonso fand bei Aston Martin eine neue Heimat, Foto: LAT Images
Fernando Alonso fand bei Aston Martin eine neue Heimat, Foto: LAT Images

Es folgte der dramatische zweite August. Nachdem Piastri am Abend das Alpine-Cockpit zurückwies, beharrte Alpine auf die Vereinbarungen aus dem November. Während Szafnauer das öffentlich kundtat, meldete sich McLaren gar nicht. Selbst nach der Trennung von Daniel Ricciardo weigerte sich das Team beharrlich, die Fahrersituation für 2023 zu kommentieren. Lieber wartete es ab, was die zuständigen Stellen entscheiden würden. Mit sicherer, stiller Zuversicht. "Für uns war es ganz einfach", rekapitulierte Ex-McLaren-Teamchef Andreas Seidl später. "Du brauchst zwei Dinge, wenn du mit einem Fahrer in der Formel 1 antreten willst.

FIA-Körper entscheidet: McLaren & Piastri im Recht, Alpine im Unrecht

Das sind ein Vertrag, und eine Meldung dessen beim Contract Recognition Board. Das haben wir im Juli erledigt, entsprechend war unser Plan klar." Der Plan war, das Contract Recognition Board entscheiden zu lassen. Es ist ein Körper der FIA, welcher die Fahrerverträge überwacht. Am 29. August sprachen beide Seiten vor. Szafnauer blieb optimistisch: "Ich habe beide Seiten des Falles gesehen und wir sind zuversichtlich, dass Oscar im letzten November bei uns unterschrieben hat."

Doch am zweiten September schickte die FIA um 15:45 Uhr eine kurze Aussendung: "Das Tribunal hat die einstimmige Entscheidung gefällt, dass der einzige vom Board angenommene Vertrag jener vom vierten Juli 2022 zwischen McLaren Racing Limited und Herrn Piastri ist." Alpines November-Vereinbarung hatte keine vertragliche Gültigkeit.

Den Prozess gewonnen, Oscar Piastri durfte für McLaren fahren, Foto: Motorsport-Magazin.com
Den Prozess gewonnen, Oscar Piastri durfte für McLaren fahren, Foto: Motorsport-Magazin.com

Alpine, innerhalb von einem Monat von zwei Fahrern verlassen, unterstellte Piastri fehlende Loyalität. "Ich kann euch versichern, dass wir alles geliefert haben, was in der Vereinbarung stand", verteidigte Szafnauer mit Verweis auf Zukunftsgarantien, Vorbereitungsarbeit, auch auf Tests in einem Vorjahresauto. "Wir haben alles getan, was wir im November angekündigt haben, und haben alle Wege verfolgt. Da stellt sich für mich die Frage: Warum woanders hingehen, wenn das, wofür du unterschrieben hast, tatsächlich passiert?" In den Stunden und Tagen danach sickerten Alpines Versäumnisse durch.

Die Konsequenzen für Alpine nach dem Piastri-Chaos

Das Hinhalten. Das Fehlen der notwendigen Abschlüsse. Bei der Frage nach der Verantwortung zur Rede gestellt wand sich Szafnauer, blieb eine Antwort schuldig und zeigte weder auf Konzernchef de Meo ("Er setzt den Rahmen, die Ziele, gibt uns die Ressourcen."), noch Alpine-CEO Rossi ("Er gibt auf die Marke Alpine Acht, die wir aufbauen."), noch seine Vorgänger, die zu Beginn des verhängnisvollen Nicht-Deals im November an Bord gewesen waren ("Es ist leicht, Leute zu beschuldigen, die nicht mehr da sind, das ist nicht mein Stil.").

Sich selbst bürdete Szafnauer die Problemlösung auf: "Sobald wir einen Rückblick haben, wird das gelöst werden." In den Wochen danach meldete sich Laurent Rossi zu Wort, kritisierte erneut Piastris Loyalität und stellte gar infrage, ob ein Juniorprogramm denn überhaupt noch Sinn mache, wenn die Fahrer abgeworben werden können. Die Beurteilung liegt nun im Auge des Betrachters.

Bei Alpine ging das Personal-Chaos 2023 weiter. Ein Jahr nach dem Piastri-Alonso-Fiasko sind sowohl Rossi als auch Szafnauer Geschichte. Alpine ist auf Platz sechs abgerutscht, liegt hinter den Erwartungen, und hat sich folglich vom Management getrennt. Interims-Chef Bruno Famin sucht jetzt nach Lösungen.

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