Dieses Interview erschien in Ausgabe 84 unseres Print-Magazins. Am Ende des Jahres veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Dies hier ist eine gekürzte Version des damaligen Interviews. Viel Spaß beim Lesen!

Die Nummer 1 zu sein. Das ist das Ziel aller Rennfahrer. Immer. Überall. Vom Kinderalter an gab es für Max Verstappen nur dieses eine Ziel. Schneller als alle anderen zu sein. Die Erwartungen, der Druck, all das fiel mit dem Gewinn des WM-Titels unter dem Flutlicht des Yas Marina Circuit von ihm ab. Das jedenfalls glaubt Verstappens Teamchef Christian Horner. Der Titelgewinn verringere den Druck, so wie es einst auch bei Sebastian Vettel der Fall gewesen sei. "Und ich glaube, Max entwickelt sich weiter, er entwickelt sich weiter, und man darf nicht vergessen, dass er erst 25 Jahre alt ist." Aber schon in diesem Alter zählt er zu den Besten seines Fachs, hat mehr als 30 Rennen sowie zwei WM-Titel gewonnen und hält eine ganze Reihe von Rekorden. Um diese Gegenwart besser zu verstehen, reisen wir zunächst zurück ins Jahr 2016, zu einem anderen Interview mit einem noch jüngeren Max Verstappen, der damals in Spa-Francorchamps gerade zum jüngsten F1-Fahrer geworden war, der jemals aus der ersten Startreihe in ein Rennen gegangen ist.

MSM: Vor langer Zeit - als wir beide noch viel jünger waren - hast du bei uns im Interview gesagt, dass dich 'Alters-Rekorde' wie der jüngste GP-Sieger nicht interessieren [er hält sie übrigens trotzdem, s. Kasten]. "Wie viele Siege hat Michael?", hast du mich damals gefragt. Sind es diese Zahlen, die dich nach deinem WM-Titel antreiben?
Max Verstappen: "Um ehrlich zu sein: Nicht wirklich. Ich will einfach jedes einzelne Wochenende mein Bestes geben. Ich kann nur glücklich mit mir selbst sein, wenn ich weiß, dass ich alles, was in meiner Macht steht, getan habe, um mein Wochenende zu maximieren. Das gibt mir eher die Genugtuung. Denn am Ende des Tages bist du in der Formel 1 so sehr von deinem Auto abhängig, ob du gewinnst oder nicht. Aber es beginnt alles bei dir, du musst das Beste aus dir herausholen. Nein, ich sehe mir die Gesamtzahl der Siege nicht an."

Rekorde sind ihm Egal, Max Verstappen will lediglich immer sein bestes geben, Foto: LAT Images
Rekorde sind ihm Egal, Max Verstappen will lediglich immer sein bestes geben, Foto: LAT Images

Vor sechs Jahren hörte sich das übrigens ähnlich pragmatisch an. Damals sagte uns Max: "Ich will Rennen gewinnen, das ist mein Hauptziel. Wenn du viele Rennen gewinnst, dann kannst du um Weltmeistertitel kämpfen." Falls es denn überhaupt notwendig gewesen ist, hat er diese These in seinem Titeljahr 2021 mit zehn Siegen im Vergleich zu Lewis Hamiltons acht Erfolgen klar untermauert.

Du hast 2021 den - statistisch gesehen - besten Fahrer der Formel-1-Geschichte geschlagen. Wenn du den Besten schlägst, wer bist dann du?
Max Verstappen: "Jesus! [lacht] Nein, Spaß. Ich bin einfach Max und genieße es, Rennautos zu fahren."

Du meintest, der Titel würde dein Leben nicht verändern. Von außen betrachtet bist du auch noch ganz der Alte. Aber trotzdem: Du fährst mit der Nummer 1 auf dem Auto, weil du selbst sagst, es ist aus Marketing-Sicht besser. Dein Management steht auch nicht still. Kreierst du die Marke Max Verstappen oder bist du ausschließlich Rennfahrer?
Max Verstappen: "Das ist auch schon passiert, bevor ich Weltmeister wurde. Wenn du einen Titel gewinnst, dann geht das natürlich weiter. Für mich als Person ändert sich nichts. Ich habe noch immer die gleichen Interessen, ich mache die gleichen Dinge. Ich bin noch die gleiche Person und das ist - so denke ich - sehr wichtig. Für die Marke öffnen sich wahrscheinlich mehr Möglichkeiten, aber um ehrlich zu sein: Ich kümmere mich nicht zu sehr darum. Um diese Seite wird sich ohnehin schon gekümmert. Wenn es sich richtig anfühlt, dann machen wir Dinge, aber am Ende des Tages ist das wichtigste, dass ich auf der Strecke schnell bin - bei dem, was ich genieße."

Du hast im vergangenen Winter bis einschließlich 2028 bei Red Bull verlängert. Warum hast du dir nicht Mercedes oder Ferrari als Alternativen angesehen? Warum so langfristig?
Max Verstappen: "Ich fühle mich richtig gut im Team. Es gibt keinen Grund, das Team zu verlassen. Wir kommen gut miteinander aus und wir haben ein konkurrenzfähiges Paket. Wir haben eine konkurrenzfähige Mannschaft in der Fabrik, die komplett motiviert und bereit ist, viele Jahre Performance für das Team zu bringen. Dazu kommt noch unsere eigene Motorenabteilung. Das ist ein stabiles Fundament. Dieses Team will ich nicht verlassen. Am Ende des Vertrags bin ich erst 31 Jahre alt. Dann habe ich noch immer die Möglichkeit, weiterzumachen oder nicht. Ich bin am Ende der Vertragslaufzeit noch immer nicht alt."

Max Verstappen fühlt sich bei Red Bull Pudelwohl, Foto: Bryn Lennon / Getty Images / Red Bull Content Pool
Max Verstappen fühlt sich bei Red Bull Pudelwohl, Foto: Bryn Lennon / Getty Images / Red Bull Content Pool

In dieser Saison führte der Weg zu einem zweiten WM-Titel für Verstappen nur über Charles Leclerc und Ferrari. In einer so langen Formel-1-Saison mit 22 Rennen und einem gänzlich neuen Reglement samt Budget Cap ist bekanntlich alles möglich. Trotzdem: Hieß es im Vorjahr noch aufstrebender Jungstar Max Verstappen gegen Rekordchampion Lewis Hamilton, waren die Rollen nun zumindest leicht vertauscht: Verstappen ging als amtierender Weltmeister in die Saison, Leclerc war der hungrige "Jungspund". Und das obwohl der Monegasse ganze 16 Tage älter ist als der Niederländer (Fun Fact: Das entspricht genau Leclercs Startnummer). Anders als Hamilton und Verstappen kennen sich Verstappen und Leclerc bereits aus gemeinsamen Kart-Zeiten - und schon damals ging es zwischen ihnen durchaus mal heiß her, wie Archivmaterial aus dem Jahr 2012 zeigt.

Damals beklagte sich der 14-Jährige Max darüber, dass Charles unfair gefahren sei. Leclerc wollte davon natürlich nichts wissen. Ähnliches war vor Saisonbeginn bei einer Neuauflage des Duells in der Königsklasse durchaus erneut zu erwarten. Aber in den ersten Saisonrennen blieb es zwischen beiden auf und neben der Strecke fair, der Respekt ist intakt. Andererseits hieß es das zu Saisonbeginn 2021 auch noch zwischen Verstappen und Hamilton - bis es das erste Mal so richtig krachte und die gegenseitigen Respektsbekundungen in den Reifenstapeln von Silverstone in abertausende Karbonteilchen zersplitterten.

Stellst du dich im Zweikampf eigentlich auf jeden Gegner individuell ein? Oder fährst du immer gleich, egal wer im anderen Auto sitzt?
Max Verstappen: "Natürlich ist jeder Fahrer ein bisschen anders. Anders, in dem wie er verteidigt und wie er angreift. Deshalb gehst du natürlich an jeden Fahrer ein kleines bisschen anders heran. Ich denke, das ist normal."

Mit etwas Distanz betrachtet: Bist du am Ende der Saison 2021 etwas aggressiver gefahren, weil es um so viel ging? Der WM-Titel stand auf dem Spiel...
Max Verstappen: "Ich glaube nicht. Ich glaube, es lag eher an der Beziehung zwischen den beiden Teams zu dieser Zeit und all diesen Dingen, die das ganze Jahr über abgingen. Das hat dabei auch eine große Rolle gespielt."

Hattest du an einem Punkt auch Angst um deine Gesundheit?
Max Verstappen: "Nein. Ich glaube nicht, dass man Angst haben sollte. Wenn du Angst hast, dann funktioniert es nicht. Aber ich habe darüber nie nachgedacht. Ich wollte einfach nur die Rennen gewinnen."

Haben dich die Diskussionen nach deinem Titelgewinn in Abu Dhabi genervt?
Max Verstappen: "Um ehrlich zu sein: 2021 ist für mich vorbei. Ich will da nicht noch einmal einsteigen. Über diese Saison wurde schon so viel gesagt, ich bin einfach nur sehr glücklich, dass wir es als Team nach dieser langen Mercedes-Dominanz geschafft haben, um den Titel zu kämpfen - und ihn letztendlich auch gewonnen haben."

Was hat bei dir im vergangenen Jahr den Ausschlag gegeben?
Max Verstappen: "Es war eher eine Fortführung der Jahre zuvor. Es war nicht, dass ich einen anderen Ratschlag gebraucht hätte. Ich wusste, durch meine Erfahrung in der Formel 1, was zu tun war. Du versuchst nur, der Beste zu sein, der du sein kannst."

Erfahrung ist ein gutes Stichwort. Obwohl Verstappen erst 25 Jahre ist, bestritt er 2022 bereits seine achte Formel-1-Saison. Seine ersten 23 Grands Prix absolvierte er an der Seite eines Fahrers, dem er auch in dieser Saison öfter über den Weg fahren wird: Carlos Sainz. Der Spanier gab gemeinsam mit Verstappen sein F1-Debüt in Diensten der Scuderia Toro Rosso, dem heutigen AlphaTauri Team. Während Sainz das Qualifying-Duell 2015 mit 10:9 für sich entscheiden konnte, zog er im Rennen den Kürzeren und verlor mit 18:49 WM-Punkten.

Alte bekannte: Carlos Sainz und Max Verstappen kennen sich aus Toro Rosso-Zeiten, Foto: Sutton
Alte bekannte: Carlos Sainz und Max Verstappen kennen sich aus Toro Rosso-Zeiten, Foto: Sutton

Neben Charles Leclerc hast du in dieser Saison auch gegen Carlos Sainz um Siege und den Titel gekämpft. Hast du dir das 2015, als ihr beide als Rookies mit Toro Rosso in die Formel 1 kamt, erträumen lassen?
Max Verstappen: "Beide von uns wurden durch die Erfahrung in der Formel 1 besser. Es ist schön zu sehen, ich habe ein gutes Verhältnis zu Carlos und er ist ein netter Kerl. Es ist auch schön zu sehen, dass es für ihn funktioniert hat: Von Toro Rosso bis zu Ferrari ist super schön für ihn. Aber das weiß man zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht. Wir können heute über die Zeit lachen, die wir zusammen bei Toro Rosso hatten."