2016: Gutes Auto, schlechtes Teamklima bei Mercedes. 2022 genau das umgekehrte Spiel. George Russell und Lewis Hamilton haben eine harmonische Beziehung, was fehlt sind (bis auf Brasilien) Siege. Der Grund für das freundschaftliche Verhältnis der beiden Briten?

Russell gut in neuem Zuhause angekommen

"George hat sich zu Beginn ganz auf das Kennenlernen des Autos und des Teams konzentriert. Damit fuhr er einige gute Resultate ein", meint James Vowles. "Darauf schauen wir genau, wie passt er zu uns? Wie passt er zum Team? Wie arbeitet er mit Lewis?" Für Mercedes wichtiger als gute Platzierungen in Rennen.

Wovon Russell mit sechs dritten Plätzen, einem zweiten Platz und seinem Debütsieg auch genug vorzuweisen hätte. "Alles in allem hat er einen unglaublich guten Job gemacht", lobt der Chefstratege. "Und er hat sich sehr schnell eingewöhnt."

Teambuilding in der Formel 1: Unfälle

Ersten Kontakt mit seinen Ingenieuren hatte George Russell schon zuvor: Bei seinem Unfall in Imola 2021 mit Valtteri Bottas. Denn: Danach entschuldigte sich Russell bei Bottas' Mechanikern und Ingenieuren. Das gab er beim High Performance Podcast zu: "Ich habe sie angerufen und gesagt, wie leid mir das alles tut."

"Das hat unser Verhältnis durchaus verbessert. Ich kannte sie deswegen schon etwas", sieht Russell Positives am Hochgeschwindigkeitscrash. "Ich bin daran gewachsen. Du brauchst solche Fehler, um daran zu wachsen." Auch der Beziehung mit dem Teamkollegen sollen Schwierigkeiten nicht geschadet haben.

Russells erster und Mercedes' einziger Saisonsieg, Foto: LAT Images
Russells erster und Mercedes' einziger Saisonsieg, Foto: LAT Images

Keine Mercedes-Rakete, keine Streitereien

Keine Gefahr von Hamilton vs. Rosberg 2.0. mit Russell. "Die Dynamik wäre sicher anders gewesen, wenn wir zum ersten Rennen mit dem schnellsten Auto angereist wären", schätzt er. "Wir haben während der Saison so viele Nachtschichten zusammen gemacht." Unzählige Teambesprechungen, nicht ganz ohne Konflikte: "Manchmal herrschte eine ziemlich angespannte Stimmung. Zwischen den Fahrern, dem Team, den Designern: Machen wir das Richtige? Müssen wir etwas verändern? Etwas drastisch anders machen?"

"Das waren teilweise schwierige Gespräche. Aber wir sind daran gewachsen und unser Verhältnis ist viel enger geworden", sieht der 24-Jährige Brite wieder den Silberstreif am Horizont. "Wir haben eine großartige Führung und jetzt ziehen wir alle an einem Strang." Russell ist überzeugt davon, dass das Team davon längerfristig profitieren wird.

Vom Freund zum Feind: Ein WM-fähiges Auto als Freundschaftskiller, Foto: LAT Images
Vom Freund zum Feind: Ein WM-fähiges Auto als Freundschaftskiller, Foto: LAT Images

Hamilton: Wir sind 2022 so oft gescheitert

Lewis Hamilton sieht das Jahr mit gemischten Gefühlen. "Von den letzten zehn Jahren war dieses das härteste. Aber auch das Jahr, das uns am meisten gestärkt hat. Es gab so viel Widerstand. So viel, mit dem wir zu kämpfen hatten." 2022 schafft es unter die Top-3 der schlimmsten Jahre, Platz eins hält nach wie vor 2011. Aber: "Ich bin als Mann in diesem Jahr mehr gewachsen als in anderen." Kein Rennen gewonnen, dafür viel an innerer Stärke.

"Ich habe nie am Team gezweifelt, aber da war so viel Versuch und Irrtum und wir sind so oft gescheitert. Updates, die nicht funktionierten. Dinge ausprobiert, die nicht funktionierten", erinnerte sich Hamilton. Vor allem er musste als Testfahrer ausrücken und Daten sammeln. "Ich selbst habe im Auto so viele Sachen ausprobiert und so oft versagt."

Laut Toto Wolff das vielleicht wichtigste Jahr in der Mercedes-Geschichte. "In diesem Jahr ging es ums Scheitern. Es ging darum, das eigene Ego zurückzustecken", erklärt der siebenfache Weltmeister. "Lewis Hamilton lässt sein Ego normalerweise mit dem Jumbojet einfliegen" meint Formel-1-Experte Christian Danner im AvD Motor & Sport Magazin auf Sport1. Im Gegensatz zum Teamkollegen: "George Russell ist eher eine Quasselstrippe, die unvoreingenommen an die Sache rangeht."

Hamiltons erste Saison in der Formel 1 ohne Sieg, dafür mit viel persönlichem Wachstum, Foto: LAT Images
Hamiltons erste Saison in der Formel 1 ohne Sieg, dafür mit viel persönlichem Wachstum, Foto: LAT Images

Die Zusammenarbeit mit dem Neo-Teamkollegen würde Hamilton als reibungslos bezeichnen, Russell sei eine gute Ergänzung für Mercedes. "Es war großartig, mit ihm zu arbeiten und das Auto technisch und bei der Abstimmung voranzubringen." Probleme gäbe es keine zwischen den beiden. "Für ihn war es neu mit mir zu arbeiten. Für mich ist das normal, ich habe in meiner Karriere schon mit so vielen Fahrern gearbeitet."

Rosberg: Internes Mercedes-Duell wäre lustig

"Aber es ist ja nicht so, dass er in ein komplett neues Team gewechselt ist", verweist Hamilton auf Russells Reservisten-Rolle bei den Silberpfeilen. "Er ist die letzten Jahre hinter mir gesessen und hat mir über die Schulter geschaut. Er verwendet das gleiche Lenkrad wie ich und hat Testfahrten gemacht." Hamiltons ehemaliger Performance-Ingenieur Riccardo Musconi war 2022 Russells Renningenieur. "Das hat den Umstieg sicher einfacher gemacht!"

Nico Rosberg wäre einem internen Teamduell bei Mercedes nicht abgeneigt. Wie damals in alten Zeiten. "Wenn die anfangen, um alle Siege zu fahren, wird es richtig lustig zum Zuschauen", meint der Weltmeister von 2016 auch auf Sport1. "Die Mercedes-Jungs werden während der Saison immer stärker."

Formel 1 Weltmeister 2023: Russell, Hamilton oder Verstappen?

Die Nicht-Dominanz von Mercedes fand Rosberg 2022 zwar erfrischend, für das nächste Jahr würde der Wahl-Monegasse sein Geld aber (nicht ganz unparteiisch) wieder auf Mercedes setzten: "2023 erwarte ich einen Kampf zwischen Verstappen, Hamilton und Russell um den Titel." Nicht auf Ferrari. Losgelegt wie die Feuerwehr, aber: "Im Verlauf der Saison haben sie es verhauen."

"Sie haben nicht so gut entwickelt wie Red Bull und viele operative Fehler begangen. Somit sind sie immer weiter nach hinten gefallen." Anfangs mit dem schnellsten Auto und einem Leclerc in Überform ging es zurück statt nach vorne. Weiterer Grund: "Max Verstappen ist ein gigantischer Fahrer." Ihn gilt es zu schlagen. Und wie immer: Den eigenen Teamkollegen.