Insgesamt 66 Podien waren 2022 zu verteilen. 28 davon gingen an Red Bull, 20 an Ferrari und der Rest an Mercedes. Der Rest? Nicht ganz. Ein von unbeugsamen McLaren-Mitarbeitern bevölkerter Formel-1-Rennstall aus Woking hört nicht auf, den Top-Teams Widerstand zu leisten. Lando Norris erzielte als Einziger abseits des Triumvirates, bestehend aus Red Bull, Ferrari und Mercedes ein Podium in dieser Saison. Dabei sollten die neuen Regeln das Feld näher zusammenbringen. Ist schon Feuer am Dach? Fazit und Ausblick nach einem Jahr der neuen Generation.

Seidl: McLaren chancenlos gegen Top-Teams

In Imola schlug Lando Norris' große Stunde. Auf Rang drei kam er hinter Max Verstappen und Sergio Perez ins Ziel und sicherte sich McLarens bestes Saisonergebnis und frischen Mut nach einem holprigen Start mit Bremsproblemen. Ein Podium für McLaren, Siege machten 2022 nur die Großen Drei unter sich aus. "Wir waren das einzige Team abseits von Red Bull, Ferrari und Mercedes auf dem Podium", ist Andreas Seidl zufrieden. "Lando war Best of the Rest." Für bessere Ergebnisse fehlte dann das Auto.

2022 schaffte es mit Lando Norris zumindest ein Fahrer außerhalb der Top-Teams einmal aufs Podium , Foto: LAT Images
2022 schaffte es mit Lando Norris zumindest ein Fahrer außerhalb der Top-Teams einmal aufs Podium , Foto: LAT Images

Wie in der letzten Dekade machten Red Bull, Ferrari und Mercedes die Podestplätze unter sich aus. "Das hat mich überhaupt nicht überrascht", so Andreas Seidls Meinung zur Dominanz der Top-Teams. Ausgegebenes Ziel der Regularien war ja eigentlich, das Feld enger zusammenzuführen. "Besonders nicht bei einer neuen Ära der Formel 1 mit neuem technischem Reglement." Dementsprechend sei es laut Seidl normal, dass sich an der Hackordnung so schnell nichts ändert.

"Rennställe, die bis jetzt die beste Infrastruktur und unlimitiertes Budget hatten, haben damit die bestmöglichen Teams konstruiert. Ausgestattet mit den besten Werkzeugen und Methoden", erklärt Seidl. "Wenn sie dann ein komplett neues Auto bauen müssen, haben sie deswegen einen noch größeren Vorteil. Sie können alles nutzen, was sie haben." Der McLaren-Teamchef glaubt dabei nicht an ein zweites Märchen wie damals bei Brawn GP 2009: "Die Zeit der Glücksgriffe ist vorbei." Außerdem wurden 2022 an keinem Auto Doppel-Diffuser entdeckt.

2022: Duelle im Mittelfeld statt an der Spitze

Positiv: Der Kampf im Mittelfeld war 2022 spannend wie nie. Vor dem letzten Rennen in Abu Dhabi war mit Ausnahme des ersten und letzten kein Platz in der Konstrukteurswertung fix. Red Bull an der Spitze und Williams als Schlusslicht, dazwischen duellierten sich die übrigen acht Teams um Preisgeld und Ehre. Bei den punktegleichen Teams Alfa-Sauber und Aston Martin entschied Valtteri Bottas fünfter Platz in Imola das Duell für die Schweizer. 2021 waren die Punkteunterschiede deutlich größer, vor allem im Mittelfeld. Beispiel: McLaren auf Rang vier lag 120 Punkte vor Alpine.

McLaren und Alpine lieferten sich bis Abu Dhabi einen heißen Kampf um P4 in der Konstrukteurs-WM, Foto: LAT Images
McLaren und Alpine lieferten sich bis Abu Dhabi einen heißen Kampf um P4 in der Konstrukteurs-WM, Foto: LAT Images

"Neue Regeln müssen immer etwas verfeinert werden. Aber ich glaube, wir haben es ziemlich gut hingekriegt", meinte Zac Brown. Das Racing hätte sich deutlich verbessert, die Saison durchwegs aufregend für den CEO von McLaren. "Angesichts der Dominanz von Max sah es auf dem Papier wie eine langweilige Saison aus. Aber ich finde, dass alle Rennen sehr spannend waren." 15 Siege für Max Verstappen und 17 für Red Bull, das erinnerte sehr an das dominante Mercedes in der Turbohybrid-Ära. 2016 gewannen die Silberpfeile 19 von 21 Rennen.

Qualifying: Verstappen gegen den Rest

Die Abstände im Qualifying in Q1 zwischen dem schnellsten und langsamsten Piloten blieben mit einer durchschnittlichen Delta-Zeit von 2,6 Sekunden (2022) bzw. 2,5 Sekunden (2021) weitestgehend gleich. Allerdings war das Delta 2022 drei Mal unter 1,5 Sekunden: in Ungarn, Suzuka und Abu Dhabi. 2021 war das nur in Spanien der Fall.

In dieser Hinsicht ist das Feld schon etwas näher zusammengerückt. Wiederum gilt: Mit Verbesserungspotenzial. Der Abstand zwischen Pole und Platz zwei betrug 2022 im Durchschnitt 0,23 Sekunden, zwischen Platz eins und Platz fünf 0,9 Sekunden. 2021 war das Feld im Qualifying um ein paar Zehntel knapper beisammen (0,21 bzw. 0,73 Sekunden).

Qualifying-Vergleich (Durchschnitt, in Sekunden) 20212022
Q1-Delta2,5012,578
Abstand Pole und P20,2100,233
Abstand Pole und P50,7260,889

Überholen in der Formel 1: Theorie vs. Praxis

In der Theorie sollte das Racing durch weniger Dirty Air verbessert werden. Mehr Abtrieb durch Venturi-Kanäle am Unterboden anstatt Front- und Heckflügel. Längere Zweikämpfe zwischen den Fahrern. Mit Erfolg: Das Teilziel besseres Überholen zeigt sich in 30 Prozent mehr Überholmanövern (758 statt 600) und der Chance zum Kontern für die Piloten. Unvergessen bleiben Kämpfe wie in Bahrain oder Saudi-Arabien zwischen Charles Leclerc und Max Verstappen. "Der Abtriebsverlust in Schlagdistanz sank von 50 auf 25 Prozent", berichtet FIA-Technikchef Nicholas Tombazis.

Nicht zu vernachlässigen dabei sind die neuen 18-Zoll-Reifen: Mehr Boxenstopps sorgen für mehr Überholmanöver (und vice versa). Trotzdem: Die Mehrheit der Rennen (11 von 22) blieben Ein-Stopper. Zu lang die Boxengasse, zu groß der Zeitverlust beim Reifenwechsel. "Es gab weniger Reifenmanagement und die Fahrer konnten wesentlich mehr pushen", weiß Mario Isola von Pirelli. Ein weiterer Vorteil der neuen Regeln. "Das Gesamtpaket zählt. Beim Hinterherfahren verliert man weniger Anpressdruck, und das sorgt für weniger rutschende Reifen."

Neue Ära der Formel 1: Top oder Flop?

"Es wird immer bessere Teams geben, aber die Unterschiede sollen so klein sein, dass an einem guten Tag auch mal ein anderer gewinnen kann", träumte Ross Brawn bei der Vorstellung der Regeln groß. Daraus wurde bekanntlich nichts, gewonnen hat meistens Red Bull und an guten Tagen war Ferrari konkurrenzfähig. "Ich will nicht sagen, dass es gescheitert ist, aber es wurde sicher viel Aufwand betrieben und nicht all der Aufwand ist dabei rumgekommen", ist etwa Sebastian Vettel kein großer Freund des Regelumbruchs.

2021VerstappenHamiltonBottas
Siege1081
Pole Positions1044
Podien181711
Führungsrunden65229779
Fahrer-WM (Punkte)395,5387,5226
Red BullMercedesFerrari
Konstrukteurs-WM (Punkte)585,5613,5323,5
2022VerstappenLeclercPerez
Siege1532
Pole Positions791
Podien171111
Führungsrunden616311147
Fahrer-WM (Punkte)454308305
Red BullFerrariMercedes
Konstrukteurs-WM (Punkte)759554515

Fällt der Blick rein auf das Siegertreppchen, hat die neue Generation an Formel-1-Boliden die Konkurrenzfähigkeit eher verschlechtert, als verbessert. Schafften es 2021 noch mit Sebastian Vettel (Baku), George Russell (Spa), Fernando Alonso (Katar), Pierre Gasly (Baku), Lando Norris (Imola, Monaco, Österreich, Monza), Daniel Ricciardo (Monza) und Esteban Ocon (Ungarn) ein bunter Mix an Fahrern abseits der Top-Teams auf das Podest, blieb 2022 nur Lando Norris als letzter Mohikaner übrig. Gewinnen konnte in dieser Saison abseits von Max Verstappen und Co. überhaupt kein anderer, 2021 gab es mit Ocon in Budapest und Ricciardo in Monza zwei Überraschungssieger.

Endet 2023 die Red-Bull-Dominanz?

"Mit dem Budget-Cap und Stabilität in den Regeln wird mit der Zeit die Performance der Teams immer näher zusammenrücken", ist Andreas Seidl nicht beunruhigt. "Die Formel 1 und der Sport wird besser und besser werden. Dessen bin ich mir sicher." Derselben Meinung ist auch Toto Wolff: "Wir kennen unsere Gegner von heute, aber morgen können es schon andere sein." Der Mercedes-Boss glaubt nicht, dass in naher Zukunft irgendjemand wie Mercedes acht Titel in Folge gewinnen kann. "Wegen des Budget-Caps. Und genau so sollte der Sport sein: Nicht ein Team, nicht drei, sondern vielleicht fünf."

Silberstreif am Horizont: 2014, beim letzten großen Regelumbruch waren die Unterschiede zwischen den zehn Teams größer, und Mercedes schien uneinholbar vorneweg. Wie es zum Ende der Reglement-Periode 2021 aussah, wissen alle noch. Auch hier gilt: Abwarten.