Platz Drei in der Saison 2020, Platz Vier 2021 und nun Platz Fünf in der abgelaufenen Saison: Der Trend bei McLaren zeigt nach unten. Eigentlich hatte sich das Traditionsteam aus den Honda-Jahren, in denen es zur Lachnummer der Formel 1 verkommen war, befreit und galt wieder als ernsthafter Anwärter für Spitzenplätze. Der Sieg in Monza 2021 und weitere Podestplätze schienen das auch zu bestätigen und ein Daniel Ricciardo, auch wenn dieser Wechsel letztendlich scheiterte, wäre nicht ohne eine gewisse Erwartungshaltung an das Team nach Woking gekommen.

Doch das Jahr 2022 muss für McLaren als Rückschlag gelten. Bremsprobleme beim Test warfen das Team weit zurück und obwohl Lando Norris eine starke Saison fuhr, wurden die Briten von Alpine bis auf Rang Fünf in der Konstrukteurswertung zurückgedrängt. Noch schlimmer aber: Gegen die Top Drei aus Red Bull, Ferrari und Mercedes hatten Norris und der schwächelnde Ricciardo nicht den Hauch einer Chance. Darüber kann auch der einzige Podestplatz eines Mittelfeldpiloten von Norris in Imola nicht hinwegtäuschen.

Norris' Podestplatz in Imola war der Einzige der Saison 2022, Foto: LAT Images
Norris' Podestplatz in Imola war der Einzige der Saison 2022, Foto: LAT Images

Seidl: Top-Teams bei Infrastruktur vorne

Für Teamchef Andreas Seidl kommt diese Entwicklung nicht überraschend. Der Bayer ist Realist und weiß ganz genau, wo bei McLaren die Defizite liegen: "Wenn ich mir das große Ganze ansehe, dann hatte ich immer eine realistische Einschätzung davon, wo wir als Team stehen. Wir müssen akzeptieren, dass die Werksteams mit ihrer bereits vorhandenen Infrastruktur vor uns sind." Konkret können hier vor allem zwei wichtige Werkzeuge eines Formel-1-Teams genannt werden: Windkanal und Simulator.

Das McLaren Technology Center (MTC) in Woking gilt immer noch als eine der modernsten Fabriken der Königsklasse, doch genau an diesen beiden Grundpfeilern des technischen Rüstzeugs fehlt es. Ein neuer Windkanal ist seit längerem im Bau und soll 2023 endlich in Betrieb gehen, der Simulator wird folgen. Noch hat sich McLaren beim Toyota-Windtunnel in Köln eingemietet, was natürlich nicht gerade für optimale Arbeitsbedingungen sorgt. Deswegen muss Seidl konstatieren: "Wenn sie [die Top-Teams, Anm. d. Red.] mit ihren Werkzeugen einen gleich guten Job machen wie wir, dann wird es einfach schwer sie zu schlagen."

Das MTC in Woking wird mit einem neuen Windkanal ausgestattet, Foto: Sutton
Das MTC in Woking wird mit einem neuen Windkanal ausgestattet, Foto: Sutton

McLaren-Erfolge der letzten Jahre auch durch Schwäche der Gegner

Doch wenn dies der Fall ist, wie konnte McLaren dann überhaupt 2020 und 2021 jeweils Dritter und Vierter der Kostrukteurswertung werden? Der Passauer hat auch hier eine realistische Einschätzung parat: "Die Ergebnisse, die wir letztes Jahr und auch im Jahr davor eingefahren haben, waren ein Resultat aus einen gutem Job von uns, aber auch daraus, dass wir überperformt haben, während andere nicht den Erwartungen gerecht wurden." Hier ist in erster Linie Ferrari zu nennen. Die Scuderia fiel 2020 weit zurück, als ein Reglementschlupfloch beim Motor geschlossen wurde. 2021 nahmen die Italiener McLaren bereits wieder eine Position ab und 2022 waren sie deutlich außer Reichweite.

Andreas Seidl hat langfristig immer noch Siege im Blick, Foto: LAT Images
Andreas Seidl hat langfristig immer noch Siege im Blick, Foto: LAT Images

Der Vergleich mit Renault/Alpine ist ein anderer und wurde vor allem durch die Fahrer entschieden. 2020 war Daniel Ricciardo im Renault besser platziert als Lando Norris und Carlos Sainz, doch Esteban Ocon im zweiten Auto der Franzosen hing hinterher. 2022 enttäuschte der Australier wiederrum für McLaren fahrend, denn Norris lag deutlich vor Fernando Alonso und Ocon in der Fahrerwertung. Nur 2021 zeigte sich der MCL35M eindeutig schneller als das Konkurrenzprodukt aus Enstone. In diesem Jahr wechselte das Team aber auch auf Mercedes-Motoren, während Renault einige Pferdestärken zurücklag. 2022 wurde dieser Rückstand von den Ingenieuren in Viry-Châtillon weitestgehend wettgemacht, dafür haperte es allzu häufig an der Zuverlässigkeit.

McLaren-Aufrüstung läuft, Ziel? Seidl: Siege!

Kampf um die Mittelfeldkrone und nicht um die Spitzenplätze, das war also die Realität bei McLaren. Der deutsche Teamchef blickt dennoch langfristig nach oben: "Das gute aber ist, dass wir an den Defiziten zu den Top-Teams arbeiten. Wir haben dazu die Unterstützung unserer Anteilseigner. Wir wissen, dass wir in Zukunft Chancengleichheit herstellen können." In der Corona-Krise stand McLaren als F1-Team und als Sportwagenhersteller noch vor finanziellen Problemen. Diese wurden durch Investitionen der Anteilseigner aus Bahrain und einen Kredit aus Saudi-Arabien gedeckt. Dazu kommt ein deutliches Wachstum bei den Sponsoreneinnahmen, das auch am Wagen selbst deutlich sichtbar ist. Dadurch ist das Geld für den Windkanal und zukünftige Projekte vorhanden.

Dazu ist Seidl auch der Meinung, dass die Weiterentwicklung des Teams nicht nur an der Leistung des Boliden abzulesen ist: "Wir müssen weitere Schritte mit dem Team machen. Das ist uns auch dieses Jahr gelungen, auch wenn sich das an den Ergebnissen nicht ablesen lässt." Als ein Beispiel ließen sich hier die Boxenstopps nennen. War McLaren vor 2022 immer wieder mit langsamen Stopps aufgefallen, so stellte das Team in der abgelaufenen Saison hinter Red Bull die zumeist zweitbeste Boxenmannschaft. In Mexiko gelang bei Daniel Ricciardo sogar der einzige Stopp der Saison in unter zwei Sekunden.

Die Puntke wurden weniger, die Sponsoren jedoch immer mehr bei McLaren, Foto: LAT Images
Die Puntke wurden weniger, die Sponsoren jedoch immer mehr bei McLaren, Foto: LAT Images

Mit Oscar Piastri hat das Traditionsteam außerdem Konkurrent Alpine das größte Nachwuchstalent der letzten Jahre weggeschnappt, um Sorgenkind Daniel Ricciardo zu ersetzen. Angesichts der laufenden Investitionen gibt sich Seidl entgegen dem Trend optimistisch: "Ich bin mehr als zuversichtlich, dass wir wieder die richtigen Schritte machen und regelmäßig um Siege mitkämpfen können." Angesichts der aktuellen Leistungen des Traditionsteams braucht es gegen Red Bull, Ferrari und Mercedes aber noch einige Schritte.