George Russell hat den größten Teil seiner Debüt-Saison bei Mercedes überstanden. Bisherige Bilanz: Sechs dritte Plätze, einmal wurde Russell Zweiter, einmal stand er auf der Pole. Der erhoffte Sieg blieb ihm bisher verwehrt. Trotzdem ist der Brite zufrieden mit seinem ersten Jahr beim neuen Team. Warum er den Ruf als überaggressiver Fahrer nicht verdient hat und sich stattdessen wie Fernando Alonso als Rookie fühlt.

George Russell: Vom Williams-Piloten zum Formel-1-Rowdy?

In den letzten Rennen hat sich George Russell zum Teil einen Ruf als aggressiver Fahrer erarbeitet. Nicht zuletzt wegen seiner Kollisionen mit Carlos Sainz in Austin oder Mick Schumacher in Singapur. "Ganz im Gegenteil: Überaggressiv musste ich nur bei Williams sein", dementiert George Russell. "Da war ich nicht die ganze Zeit in den Punkten." Dementsprechend ging er manchmal mit Brechstange und Vorschlaghammer ans Werk. "An einem schlechten Tag bekommst du nichts, an deinem besten Tag mit viel Glück vielleicht ein bisschen was." Bei seinem neuen Team sei das nun nicht mehr nötig.

In Budapest fuhr George Russell seine erste Pole Position ein, auf den ersten Sieg wartet er noch, Foto: LAT Images
In Budapest fuhr George Russell seine erste Pole Position ein, auf den ersten Sieg wartet er noch, Foto: LAT Images

"Bei Mercedes fährst du sogar an einem schlechten Tag in die Top-5", meint Russell. "So etwas wie in Austin kann ich mir eigentlich überhaupt nicht leisten." So hatte er noch Glück mit seiner Ausbeute von zehn Punkten als Fünfter. "Ich hätte ausscheiden können und die zehn Punkte auch noch verlieren."

Russell der Mercedes-Rookie

Nicht selbstverständlich, denn: Vor allem am Anfang war die Umstellung von Williams zu Mercedes groß. "Ich fühlte mich wie ein Rookie dieses Jahr", erzählt George Russell. Obwohl er seit 2017 Teil des Mercedes-Juniorenkaders war und bei Tests (und in Sakhir 2020) Erfahrungen im Cockpit sammeln konnte. "Das Level, auf dem das Team operiert, das habe ich noch nie erlebt", staunt der Britel noch immer über seine neue Heimat in Brackley.

"Sie redeten über Dinge, die ich noch nie zuvor in der Formel 1 gehört hatte. Das hat dann einige Zeit gedauert, bis ich lernte, wie ich das meiste aus Team und Auto herausholen konnte", berichtet der 24-Jährige. "Das Potenzial hier ist riesig. Das musste ich erst gewohnt werden."

Top-Team, aber kein Sieg: So hatte sich George Russell das nach Jahren der Mercedes-Dominanz nicht vorgestellt, Foto: LAT Images
Top-Team, aber kein Sieg: So hatte sich George Russell das nach Jahren der Mercedes-Dominanz nicht vorgestellt, Foto: LAT Images

Russells verrät sein Geheimrezept

Was ihm dabei besonders geholfen hat: Arbeit. Viel Arbeit. "Du merkst sofort einen Unterschied: Je mehr Arbeit du hineinsteckst, desto mehr profitierst du", verrät George Russell. Die verfügbaren Ressourcen bei Mercedes seien unendlich, darunter die Möglichkeiten im Simulator. Besonders beeindruckt habe Russell aber die Weiterentwicklung des W13 innerhalb der Saison: "Anfangs haben Haas und Alfa Romeo uns ausqualifiziert", erinnert er sich. "Ich weiß noch: In Imola jagte mich Valtteri, weil er so viel schneller war!"

"Jetzt ist der Unterschied zwischen uns und Alfa Romeo beziehungsweise Haas massiv. Die Lücke zu Red Bull konnten wir ebenfalls etwas schließen. Das gibt uns Hoffnung für nächstes Jahr", ist George Russell zuversichtlich. Red Bull und Max seien nach wie vor zu stark, aber mit Ferrari duelliert sich Mercedes um P2 in der Konstrukteursmeisterschaft. Und mehr: "Es gibt keinen Grund, warum wir nächstes Jahr nicht um die WM mitkämpfen sollten", lautet die Kampfansage des jungen Briten.

Schattenseiten des Mercedes-Cockpits

Die negative Seite eines Cockpits bei einem Top-Team in der Formel 1: Mehr PR-Arbeit. "Es passiert so viel abseits der Strecke, das bin ich nicht gewohnt", meint Russell. Ganz andere Dimensionen als noch bei Williams. "Bei 24 Rennen im nächsten Jahr muss ich da noch eine bessere Balance für mich finden."

Genügend Erfahrung damit hat sein Teamkollege, Lewis Hamilton. "Ich habe gesehen, was er bei Williams gemacht hat", spart Hamilton nicht mit Lob für seinen "Rookie-Teamkollegen". Besonders beeindruckt hätten ihn Russells konstante Leistungen und seine schnelle Anpassung ans neue Team. Mit einem kleinen Vorbehalt.

"Aber es ist ja nicht so, dass er in ein komplett neues Team gewechselt ist", verweist der neueste Ehrenbürger Brasiliens auf die Reservisten-Rolle von Russell bei Mercedes. "Er ist die letzten Jahre hinter mir gesessen und hat mir über die Schulter geschaut. Er verwendet das gleiche Lenkrad wie ich und hat Testfahrten gemacht", meint der siebenfache Weltmeister und stellt klar, wer der Herr im Haus ist. "Das hat den Umstieg sicher einfacher gemacht!"