Ferrari wurde 2022 mehr als einmal für ihre strategischen Entscheidungen kritisiert. Paradebeispiel: Als das Team aus Maranello in Ungarn Charles Leclerc mit einem harten Reifensatz auf die kalte Strecke schickte. Mercedes tappte in Mexiko in die gleiche Falle: Die falsche Reifenwahl schmälerte die Mini-Chance eines Sieges gegen Max Verstappen.

Lewis Hamilton und George Russell klagten über die Reifenwahl, Mercedes gestand ihren Strategie-Patzer ein. Und die Silberpfeile wurden dafür viel weniger kritisiert als Ferrari bei ähnlichen Vorfällen. Mattia Binotto wundert sich.

Ferrari und Mercedes: Das Dilemma mit den harten Reifen

"In Ungarn hat man uns heftig kritisiert", erinnert sich Mattia Binotto. Mit einer falschen Strategie hatten weder Leclerc noch Sainz gegen Verstappen eine Chance, obwohl der Red-Bull-Pilot von Startplatz zehn ins Rennen startete. Gleich zweimal wurde Leclerc auf den harten Reifen von Verstappen überholt, später aufgrund seiner langsamen Pace auch noch von Russell.

"Ein weiteres Eigentor von Ferrari", titelte damals die Gazzetta dello Sport. Die italienische Presse kennt keine Gnade für 'ihr' Team. Auch international wird hart ausgeteilt. "Sogar Formel-2-und Formel-3-Teams machen einen besseren Job bei ihrer Strategie und ihren Boxenstopps", meinte Nico Rosberg nach dem Rennen in Zandvoort auf Sky UK. Schon in Imola prophezeite AS den Untergang der Scuderia.

Fahrfehler, Strategie, Boxenstopps: Viele Angriffspunkte für Kritik an Ferrari, Foto: LAT Images
Fahrfehler, Strategie, Boxenstopps: Viele Angriffspunkte für Kritik an Ferrari, Foto: LAT Images

"Bei uns ist das normal: Wenn wir Dinge machen, die nicht komplett richtig sind, werden wir kritisiert", führt der Ferrari-Teamchef aus. Obwohl die anderen Teams, am Beispiel Mercedes in Mexiko, genauso Fehler machen würden. "Mercedes hat möglicherweise auch schon in Austin das Rennen verloren, weil sie die falschen Reifen benutzt haben."

Mercedes mit erneutem Strategie-Fauxpas

Beim angesprochenen Großen Preis der USA gewann ebenfalls Verstappen vor Hamilton, trotz eines katastrophalen 11,13 Sekunden langen Boxenstopps von Red Bull. Hamiltons (wie in Mexiko auf dem harten Reifensatz unterwegs) Kampf mit Verstappen war eigentlich keiner. Zu groß der Reifenvorteil von Verstappen auf Medium. "Lewis hatte ein Reifendefizit auf dem Hard, weil wir einfach keine Mediums mehr hatten", gestand Toto Wolff in Texas. Im Gegensatz zu Red Bull und Ferrari sparte sich Mercedes am Freitag nur einen Satz Mediums auf.

"Nicht nur wir machen Fehler", merkt Mattia Binotto an. Trotzdem sei bei Ferrari immer alles schlimmer, dramatischer, exorbitanter. Diesmal vermied das Team aus Maranello den harten Reifen. "Im Strategiemeeting entschieden wir, dass ein Start auf Soft und ein Wechsel auf Medium die beste Wahl ist. Wir haben das am Freitag getestet", erklärt der Teamchef. "Der Softreifen hat sich weniger abgenutzt als erwartet."

Wolff: Strategie war ein Griff ins Klo

Im Rennen kämpfte die Scuderia trotzdem etwas mit dem Reifenmanagement. Zusammen mit dem Motor ein Faktor für die schwache Performance von Ferrari in Mexiko-City. "Das war Teil unserer langsamen Pace." Trotzdem: "Soft-Medium war unser Hauptplan. Und am Ende des Tages die richtige Wahl." Red Bull als Rennsieger wählte die gleiche Strategie. Nicht so Mercedes.

"Das war heute ein Griff ins Klo", analysiert Toto Wolff nach dem Rennen bei ServusTV. "Wir haben auf die falsche Reifenstrategie gesetzt." Beide Fahrer unzufrieden, schon während des Rennens füllte sich die Beschwerdebox bei Mercedes. "Die harten Reifen haben von der zweiten Runde weg nicht funktioniert", haderte George Russell. "Ricciardos Performance zu sehen war richtig enttäuschend. Ich hätte auf Medium weitermachen können und dann am Ende mit Soft durchstarten."

Latifi als Mercedes-Testpilot

Mercedes gab zu, dass die Strategie von Red Bull und Ferrari die richtige gewesen wäre. Mit Nicholas Latifi setzte das Team auf den falschen Testpiloten. "Der harte Reifen hat in den ersten Runden so stark ausgesehen", meinte Toto Wolff. "Latifi wurde Runde um Runde schneller!"

Ebenfalls falsch eingeschätzt hatte Mercedes die Haltbarkeit des Medium-Reifens. "Wir dachten: Unmöglich, dass die damit bis zum Ende fahren!" Die Simulationen hätten vorhergesagt, dass eine Soft-Medium-Strategie nicht möglich gewesen wäre. "Es ist ein konstanter Lernprozess", versucht es Toto Wolff positiv zu sehen.

Ferrari: Selbst ein Sieg wird kritisiert

"Als die Heizdecken runterkamen, und jeder außer uns auf dem Soft startete, wusste ich: Wir haben ein Problem", erzählt Lewis Hamilton. Er hatte schon vor dem Rennen eine böse Vorahnung. "Der Soft ist naturgemäß am Start etwas schneller." Vielleicht hätte er damit besser mit Verstappen mithalten können. Dann kann auch noch der harte Reifen: "Ab dem Zeitpunkt, an dem wir auf Hard gewechselt haben, war es eigentlich vorbei", bedauert der siebenmalige Weltmeister.

Zum zweiten Mal ein ähnlicher Fehler, bei Ferrari hätte es da schon Proteste und Fackelwanderungen nach Maranello gegeben. Oder Wünsche nach einem Binotto-Rauswurf. Aber das passiert selbst bei einem Sieg der Scuderia. Siehe Silverstone: „Wenn ich das Rennen heute lese, hat Ferrari alles falsch gemacht", O-Ton Mathias Lauda. Mattia Binotto steht hinter seinem Team. Und den vier Siegen (und elf Pole Positions) mehr, die die Scuderia im Vergleich zu Mercedes 2022 bisher einfahren konnte.