Nächster Anlauf für Mercedes. Auch zum 17. Rennen der Formel-1-Saison 2022 sind die Silberpfeile sieglos angereist, doch ein vielversprechender Freitag lässt einen Durchbruch erahnen. Wenngleich Lewis Hamiltons Bestzeit im ersten Training nicht hielt. Ferrari legte im nächtlichen FP2 nach und holte sich die Tages-Spitze.

Das Ergebnis des 2. Trainings von Singapur zeichnete schließlich ein verworrenes Bild. Nicht zuletzt, weil die weit enteilten WM-Führenden von Red Bull nicht an der Spitze zu finden waren. Stattdessen führten Carlos Sainz und Charles Leclerc die Wertung an, vor George Russell. Erst dann kam Max Verstappen auf dem vierten Platz. In Wahrheit kann aber keines der drei Top-Teams mit dem Freitag glücklich sein. Die Trainings-Analyse erklärt warum.

Ferrari & Red Bull verlieren wichtige Fahrtzeit

Allen voran bei Red Bull lief es in den Singapur-Trainings nicht rund. Das Auto war mit einem guten Basis-Setup ins erste Training gegangen, für FP2 wollte das Team nachbessern. Doch beim Umbauen gab es mechanische Probleme, verriet Dr. Helmut Marko nach dem Training. Verstappen fuhr zu Beginn nur drei Runden auf Hard, stand dann ewig an der Box, und erst sechs Minuten vor Schluss nahm er seine Qualifying-Simulation in Angriff.

Dass Verstappens Rückstand auf Sainz 0,339 Sekunden betrug, macht Marko keine großen Sorgen: "Man hat ja gesehen, der ist eine Runde gefahren und bis zwei Kurven vor Schluss war er auf dem Level von Sainz. Der Speed von Max passt schon, wenn wir das Auto halbwegs einstellen können."

Doch auch bei Ferrari gab es größere Setup-Probleme. Ein konservatives Herangehen in FP1 resultierte in einem sehr instabilen Auto, für FP2 wurde groß umgebaut. Carlos Sainz bekam immerhin zwei volle Trainings zustande und war somit der einzige Fahrer, der den Freitag mit einer optimalen Qualifying-Simulation beendete. Deshalb ist er der Mann auf dem ersten Platz. Bei Charles Leclerc mischte sich in FP1 ein Bremsproblem ein, auch in FP2 stand er lange. Wie Verstappen kam er erst in den letzten zehn Minuten für die Quali-Simulation auf die Strecke.

Mercedes: Reifenvorteil in Singapur entscheidend?

Die Probleme von Red Bull und Ferrari verfälschen vor allem die Longrun-Tabellen. Verstappen und Leclerc fehlen ganz. Sergio Perez hatte seine eigenen Probleme, touchierte außerdem auf seiner Qualifying-Simulation zwei Mal die Wand und fuhr am Ende auch nur eine Runde mit voller Benzinladung.

Formel 1 Singapur - 2. Training - Longruns auf Soft

P.FahrerZeitRundenReifenalter
1Perez1:48,948213
2Hamilton1:49,348614
3Vettel1:49,428616
4Alonso1:49,600716
5Norris1:49,78617
6Zhou1:51,602714
7Latifi1:53,138715

Formel 1 Singapur - 2. Training - Longruns auf Medium

P.FahrerZeitRundenReifenalter
1Russell1:49,059621
2Sainz1:49,119617
3Ocon1:49,207718
4Stroll1:49,373715
5Bottas1:50,247719
6Albon1:50,555918
7Gasly1:50,622516
8Magnussen1:50,672817

Formel 1 Singapur - 2. Training - Longruns auf Hard

P.FahrerZeitRundenReifenalter
1Ricciardo1:51,613312
2Schumacher1:52,407918

Das Match um die beste Renn-Pace wurde auf dem Medium zwischen Russell und Sainz ausgetragen. Russell stieg unter dem Strich besser aus: Zwar startete Sainz stark, doch während der Ferrari von der ersten bis zur letzten Runde über eine Sekunde langsamer wird, kann Russell die Abnutzung minimieren.

Die Abnutzung spielt in Singapur, anders als auf anderen Stadtkursen, tatsächlich eine wesentliche Rolle. Der Asphalt ist hier aggressiver und rauer. "Die Abnutzung auf dem Medium und dem Soft ist etwas höher als erwartet", ergänzt Pirelli-Sportchef Mario Isola. Da man hier ganze 28 Sekunden bei einem Boxenstopp verliert, ist es aber in niemandes Interesse, mehr als einmal zu stoppen. Ein Start auf Soft oder Medium, gefolgt von einem Wechsel auf Hard, wird erwartet.

Wenn Mercedes die Reifen länger am Leben halten kann, so kann das ein entscheidender Vorteil werden. Pirelli beobachtete besonders Limitationen durch Abnutzung am Heck. "Wenn du auf dem Soft starten willst, musst du das Auto so einstellen, dass du die Hinterreifen schützt", meint Isola. Das Problem: Dreht man ein Setup in diese Richtung, so verursacht das Untersteuern. Und die Autos der Generation 2022 kämpfen von Natur aus bereits mit mehr Untersteuern. In den engen 90-Grad-Kurven hatten am Freitag viele Fahrer schon damit Probleme.

Wer die Hinterreifen wie Mercedes von Natur aus schont, der ist klar im Vorteil und hat mehr Spielraum. In Sachen Setup-Findung ist Mercedes außerdem dank mehr Fahrtzeit besser aufgestellt als die Konkurrenz. Zwar hat Red Bull Longruns aus dem ersten Training zur Hilfe, aber diese fanden auf einer Strecke mit sehr wenig Gummiabrieb statt, auf der seit 2019 kein F1-Auto fuhr und die an vielen Stellen neu asphaltiert wurde. Die Streckenverhältnisse können sich durch mehr Gummiabrieb deutlich ändern.

Kann Mercedes im Qualifying mitmischen?

Entscheidend wird, ob Mercedes diese Vorteile in ein gutes Qualifying-Setup ummünzen kann. Das könnte zum Problem werden. Bis jetzt war die Fahrt im W13 einmal mehr ein Ritt auf der Rasierklinge. "Beide Fahrer haben bestätigt, dass die Fahrqualität richtig schlecht ist, das Auto ist zu steif", so Toto Wolff zu 'Sky UK'.

Trotzdem kann der Mercedes schnell sein. Wenn die Fahrer ihn über die Runde bringen. Das erwies sich in den Qualifying-Simulationen als Problem. Sowohl Hamilton als auch George Russell vergeigten den ersten Schuss auf brandneuen Soft-Reifen. Russell verbremste sich hin zu Kurve sieben, Hamilton verpasste schon den Scheitelpunkt in Kurve eins und verbremste sich dann in Kurve acht.

"Unser Fahrkomfort ist schlecht, bis wir einlenken", urteilt Wolff. "Die anderen sind auch steif, aber das hört an einem Punkt auf, wenn sie auf die Bremsen gehen." Negativ fällt der Mercedes auch in der schnellen Doppel-Links am Ende der Runde auf. In den Daten ist klar zu sehen, dass Hamilton und Russell mehr Tempo rausnehmen müssen, um die Kurve sicher zu bekommen.

Trotzdem war zumindest Russell mit Platz drei im Klassement nahe an der Bestzeit von Ferrari-Pilot Carlos Sainz dran. Dass nur 0,324 Sekunden fehlten, ist positiv. Russell fuhr die Zeit auf dem gleichen Reifen, aber nach zwei Cooldown-Runden. In Singapur, mit den vielen 90-Grad-Beschleunigungszonen, sind die Reifen eigentlich nur für eine Runde im besten Fenster.

Lewis Hamilton malte nach dem Training trotzdem einen Rückstand von einer Sekunde an die Wand und prognostizierte die Plätze vier und fünf. Anders als Wolff, der vorsichtig, aber doch, meinte: "Ich denke, wir können mitkämpfen." Das Qualifying wird für Mercedes entscheidend sein. Singapur war nie als überholfreundlich bekannt. Die Zweifel halten sich auch 2022, trotz neuer Aerodynamik. Und Reifenvorteil bringt nichts, wenn der Führende aggressives Reifenmanagement betreiben kann, da niemand überholen kann.

Alpine Favorit im Mittelfeld

Ein kurzer Blick noch nach hinten - Alpine, mit Unterboden-Update nach Singapur gereist, präsentierte sich sowohl auf eine Runde als auch im Renntrimm stark. McLaren, wo es mangels Teilen nur für Lando Norris ein neues Upgrade-Paket gibt, blieb hingegen unscheinbar.

Eher sah Aston Martin nach dem ersten Alpine-Verfolger aus. Aber das ist Freitags nichts neues. Das Team muss dringend den Beweis antreten, dass es das Auto auch für das Qualifying hinbekommt. Auf eine Runde lagen Lance Stroll und Sebastian Vettel wieder nur auf 10 und 12.