125.000 Zuschauer sorgten im Königlichen Park von Monza schon vor dem Start zum Italien GP 2022 für Gänsehaut. Als Charles Leclerc die Pole Position in eine Führung umwandeln konnte, waren die Tifosi nicht mehr zu halten. Auch 53 Runden später waren viele nicht mehr zu halten - allerdings vor Enttäuschung. Nachdem das Formel-1-Rennen hinter dem Safety Car beendet wurde und Leclerc hinter Weltmeister Max Verstappen über die Linie fahren musste, buhte das Publikum.

"Es ist nie gut, einen Fahrer auszubuhen, aber ich glaube, hier haben die Tifosi die FIA ausgebuht, weil sie der Meinung waren, dass es früher hätte enden sollen", verteidigte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto das Publikum. Auch wenn der Italiener den Automobilweltverband nicht ausbuhte, er teile die Meinung seiner Landsleute.

Eigentlich war der Italien GP schon gelaufen. Verstappen kontrollierte das Rennen mit 17 Sekunden Vorsprung auf Leclerc. Doch als Daniel Ricciardo in Runde 46 seinen McLaren am Streckenrand abstellen musste, kam plötzlich noch einmal Leben ins Rennen.

Die Rennleitung entschied sich, das Safety Car auf die Strecke zu schicken. Die Piloten an der Spitze holten sich noch einmal frische Reifen ab. Plötzlich waren die Karten neu gemischt, die Tifosi freuten sich auf einen Sprint zur Ziellinie mit offenem Visier. Dazu kam es aber nicht. Nach 53 Runden endete der GP hinter dem Safety Car.

Ferrari enttäuscht, Mercedes zufrieden

"Es ist enttäuschend und schwer zu verstehen, warum es so lange gedauert hat", ärgerte sich Binotto. Mercedes Motorsportchef Toto Wolff hingegen freute sich: "Ich bin sehr zufrieden, dass es einen Renndirektor und Kollegen gibt, die die Regeln auch gegen den Druck der Medien und den Druck der Fans anwenden." Beim umstrittenen Saisonfinale 2021 in Abu Dhabi gab es eine ähnliche Ausgangslage, der damalige Rennleiter Michael Masi gab das Rennen aber - entgegen dem Regelbuch - noch einmal frei.

"Zumindest hat Abu Dhabi die FIA dazu gebracht, die Regeln mit stärkerem Vertrauen durchzusetzen", so Wolff. Dass die Regeln in Monza korrekt angewandt wurden, darüber gibt es keine Zweifel. Fragen aber gibt es über das ganze Prozedere. "Ich war persönlich enttäuscht, dass sich das Safety Car vor das falsche Auto gesetzt hat. Danach haben sich die Dinge weiter in die Länge gezogen", erklärt Red Bull Teamchef Christian Horner.

Dabei hatte Horner eigentlich ein sportliches Interesse daran, das Rennen nicht noch einmal zu starten. Doch auch Red Bull gefiel der Antiklimax nicht. "Man muss das überdenken. Erstens muss die Bergung der Fahrzeuge rascher gehen und zweitens bringt die Regel, dass Überrundete vorgezogen werden nichts. Wir hätten ein unglaublich spannendes Finale gehabt", zeigte sich Dr. Helmut Marko sportlich.

Darum blieb das Safety Car so lange

Warum aber dauerte das Prozedere für einen vermeintlich so einfachen Zwischenfall so lange, dass der GP nicht mehr neu gestartet werden konnte? Ricciardo schied in Runde 46 aus. Wie zuletzt üblich ließ sich die Rennleitung etwas Zeit, das Safety Car auf die Strecke zu schicken. Durch das Auto bestand keine unmittelbare Gefahr, aber man will auch nicht voreilig das Safety Car schicken, ehe man nicht weiß, ob es auch tatsächlich nötig ist.

Ricciardo stellte den McLaren innen zwischen den beiden Lesmo-Kurven ab. Dort gibt es weder eine Tasche in der Leitplanke, noch einen Kran. Für die Bergung musste also schweres Gerät über die Strecke gebracht werden, die Dienste von Bernd Mayländer waren nötig.

Zum Ende des Rennens gibt es unterschiedliche Meinungen, Foto: LAT Images
Zum Ende des Rennens gibt es unterschiedliche Meinungen, Foto: LAT Images

Als sich die Rennleitung sicher war, waren Verstappen und Leclerc gerade über Start und Ziel gefahren. Deshalb fing Mayländer mit seinem Aston Martin George Russell ein. Hätte man auf den Führenden gewartet, hätte man mit dem Rausschickend es Safety Cars über zwei weitere Minuten warten müssen.

Das Problem an der Sache war nicht, dass vom havarierten McLaren eine Gefahr ausging. Das Problem war, dass man mit der Bergung nicht beginnen konnte, solange das Feld auseinandergezogen ist. Genau aus diesem Grund hat man Russell das Safety Car auch nicht überholen lassen. Das Signallicht am Safety Car war lange Zeit auf gelb. Das Zeichen dafür, dass man nicht überholen darf.

Zwei ganze Runden fuhr mit Russell der 'falsche Führende' hinter Mayländer her, ehe man ihn überholen ließ. Der Grund dafür: Man wollte das Feld so schnell wie möglich zusammenführen, um den Bergungskran losschicken zu können. Man hätte Russell auch sofort vorbeilotsen können, dann allerdings hätte man mit dem Kran auch erst später losfahren können.

Die Bergung selbst verzögerte sich, weil die Marshalls den MCL36 nicht in Neutral bekamen. Als endlich Verstappen als Führender hinter dem Safety Car fuhr und der McLaren geborgen war, hätte Rennleiter Niels Wittich die nächsten Schritte für den Restart in Gang setzen können - verzichtete aber mangels Runden darauf.

Vor einem Restart hätten sich nämlich alle überrundeten Fahrer zurückrunden dürfen. Und dann - so viel weiß seit Abu Dhabi auch der Formel-1-Laie - hätte das Safety Car laut Reglement nicht direkt in die Boxengasse abbiegen dürfen. Erst am Ende der nächsten Runde, nachdem die Zurückrundungs-Mitteilung auf dem Bildschirm erschien, hätte das Rennen wieder freigegeben werden dürfen. Weil für das komplette Prozedere schlicht nicht mehr genügend Runden auf der Uhr waren, verzichtete die Rennleitung darauf.