Italiener und Emotionen, das passt. Zumindest bei den Fans. Bei einem Formel-1-Fahrer, der mit 300 km/h um einen Kurs fährt, können (zu) viele Emotionen im Auto hinderlich sein. So bekam schon AlphaTauri-Pilot Yuki Tsunoda von Dr. Helmut Marko einen Psychologen verschrieben. Der Sportpsychologie soll mit ihm an seinen Wutausbrüchen im Cockpit arbeiten. Zu viel Emotion, das verbinden manche spätestens seit seinem Urschrei in Frankreich auch mit Charles Leclerc. Verschenkt der Monegasse durch zu viel Emotionalität seine verbleibenden Chancen auf den großen Titelgewinn?
Verstappen mit Fehlern zum Sieg, Leclerc zum Ausfall
Erstmals seit Jahren hat Ferrari ein konkurrenzfähiges Auto, der Traum vom WM-Titel mit dem italienischen Traditionsteam scheint für Charles Leclerc endlich Realität werden zu können. Prompt haut der Titelaspirant in Frankreich das Auto und eine Top-Platzierung weg. Max Verstappen nimmt die verschenkten Punkte gern an, der Holländer scheint im Gegensatz zu seinem früheren Kartsport-Kollegen keinerlei Probleme mit dem Druck zu haben. Aber: Der Weltmeister profitiert im WM-Kampf auch von seinen letztjährigen Erfahrungen.
Fahrfehler in Imola, Fahrfehler in Frankreich, dazu technische Probleme und menschliche (strategische) Probleme: Satte 80 Punkte beträgt Charles Leclercs Rückstand auf Max Verstappen bereits. Trotz der scheinbaren Überlegenheit des F1-75 über große Strecken hinweg. Aber Verstappen liefert eine nahezu fehlerlose Saison ab, hat sich zum Vorjahr fahrerisch noch gesteigert. Selbst wenn der Holländer Fehler macht, gewinnt er trotzdem (Barcelona, Ungarn), oder betreibt als Zweiter Schadensbegrenzung.
Ferrari: Leben am Limit
Wenn Leclerc Fehler macht, wird er Sechster (Imola) oder scheidet aus (Frankreich). "Als Rennfahrer weiß er, dass er sich am Limit bewegen muss", meint Laurent Mekies in Ungarn. Leben am Limit als Fehlerquelle? "Er ist sehr gut darin, und Fehler passieren einfach." Auch Teamchef Mattia Binotto springt seinem Ferrari-Superstar zur Hilfe: "Im Moment gibt es keinen Grund, ihn zu beschuldigen!" Und solche Dinge passieren eben, wenn ein Fahrer wie Leclerc hart am Limit operiere.
Laurent Mekies sieht darin auch keine Schwachstelle von Charles Leclerc und verteidigt seinen Piloten: "Wir sehen uns nicht einzelne Fehler an, sondern seine Erfolgsquote." Vor allem der Speed seines Schützlings beeindrucke ihn. "Er hat uns dieses Jahr einen solch außergewöhnlichen Speed gezeigt und du willst da nicht hineinpfuschen", hat Mekies eine klare Meinung zu der Fehlerdebatte. Im Qualifying auf eine Runde komme Charles Leclercs Geschwindigkeit immer wieder besonders zum Vorschein.
Charles Leclerc - Ferraris neues Wunderkind?
"Seine Trefferquote dieses Jahr ist sehr beeindruckend und wir wollen nicht, dass er irgendetwas an sich ändert!", erzählt Laurent Mekies weiter. Charles Leclerc sei in manchen Dingen so außergewöhnlich, dass die weniger guten Dinge nicht so sehr ins Gewicht fallen würden. Der 24-Jährige, der bei Ferrari einen Langzeitvertrag bis (mindestens) 2024 hat, bekommt vonseiten des Teams die volle Unterstützung. Unvergessen die Bilder, als Sebastian Vettel bei Ferrari nach verlorenem WM-Kampf allein gelassen schien. Unter Teamchef Mattia Binotto kämpft die Scuderia vereint, nicht nur gegen Red Bull, auch gegen die Medien. Die schon einen Rauswurf Binottos forderten.
In Sachen Emotionalität stehe keiner der Ferrari-Piloten Fahrer dem anderen etwas nach. "Mit beiden Jungs hatten wir heuer schon Höhen, aber auch schmerzliche Tiefen erlebt", berichtet Laurent Mekies. Natürlich seien Emotionen im Spiel, vor allem in der Hitze des Gefechtes. Der Vize-Teamchef bei Ferrari erzählt: "Aber wenn sie aus dem Auto heraus sind, zurück in der Garage und sehen, was passiert ist, die Daten analysieren, dann findet sowas wie ein Neustart statt." Das geschehe bereits 15 Minuten nach dem Rennen. "Du musst das trennen: Was du über den Funk hörst: Im Auto, in der Hitze des Gefechtes, mit einer hohen Herzrate. Das sind zwei verschiedene Dinge!", so Mekies.
Ferrari mit Leclerc 2.0 zum WM-Titel
Charles Leclerc arbeite allerdings an seinen Gefühlsausbrüchen am Funk. Ex-Ferrari-Pilot Marc Gene erzählte im F1 Nation Podcast zu Beginn der Saison: "Charles war früher sehr emotional und das hat sich dieses Jahr geändert." Der junge Monegasse zeigte sich sehr souverän und reif. "Ich denke für Mattia, Charles und Carlos ist es sehr wichtig, die Emotionen im Zaum zu halten", ergänzt der Ferrari-Botschafter. Große Gefühlte sollte das Team den Tifosi überlassen.
Unvergessen bleibt trotzdem Charles Leclercs Schrei, nachdem er seinen Ferrari in Frankreich in die Bande manövrierte. "Wenn du so fährst, verdienst du keine Weltmeisterschaft", sagte ein sichtlich geknickter Charles Leclerc damals in Le Castellet. Trost kam in Form seines eigentlichen WM-Konkurrenten. "Jeder geht anders damit um", meinte Max Verstappen, der selbst reichlich Erfahrung mit Enttäuschungen sammelte und auch gern seinen Gefühlen am Funk freien Lauf lässt.
"Du bist noch immer mitgenommen von dem, was gerade passiert ist. Dabei wirst du dann manchmal zu emotional!", schilderte Max Verstappen am Hungaroring seine Sicht der Dinge der Associated Press. Nachsatz vom Weltmeister-Psychologen: "Aber das ist okay, Menschen sollten emotional sein und ihre Emotionen zeigen." Und was wäre die Formel 1 ohne Emotionen? Nicht nur für die Tifosi oder 'Orange Army' ziemlich langweilig.
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