Carlos Sainz war der Pechvogel des Formel-1-Wochenendes in Frankreich. Der spanische Ferrari-Pilot ging ohnehin schon mit der Hypothek einer Motorenstrafe ins Rennen, welche ihn aus der letzten Reihe starten ließ. Doch dann verhinderte sein eigenes Team, dass seine Aufholjagd weiter als bis auf Platz 5 führte.

"Am Ende ist es so wie es ist. Es war nicht einfach, auf dem harten Reifen und mit dem langsamen Stopp", ärgerte sich Sainz bereits über die erste Rennhälfte. Auf dem härteren und damit auch etwas langsameren Reifen kämpfte sich der Spanier durch das Feld. Dann rückte das Safetycar aufgrund des Unfalls seines Teamkollegen Charles Leclerc aus und die Ferrari-Box holte Sainz herein zum Reifenwechsel. Dieser verlief äußerst langsam und zu allem Überfluss wurde er auch noch direkt vor dem Williams von Alex Albon hinausgelassen. Die Folge: 5 Sekunden Strafe aufgrund eines Unsafe Release.

Trotz des schlechten Stopps pflügte Sainz durch das Feld und schloss auf den Kampf um Platz 3 zwischen Sergio Perez und George Russell auf. Am Mercedes des Briten kam er schnell vorbei, doch am topspeedstarken Red Bull biss sich der Ferrari lange Zeit die Zähne aus. Erst 10 Runden vor Schluss konnte Sainz auch am Mexikaner vorbeigehen, doch dann kam der Funkspruch vom Ferrari-Kommandostand: Nochmal an die Box, bitte!

Sainz gehorchte und kämpfte sich wieder auf Platz 5 nach vorne, inklusive Bonuspunkt für die schnellste Rennrunde. Der 27-Jährige haderte mit der Entscheidung seines Teams angesichts seiner starken Leistung: "Es war ein gutes Rennen. Ich habe viele Autos überholen können, das hat Spaß gemacht. Es ist ein bittersüßes Gefühl, weil wir uns schon auf das Podest vorgekämpft hatten und wenn du dort bist, dann willst du das Rennen auch auf dem Podium beenden."

Sainz wollte mehr Risiko von Ferrari: Durchfahren statt Stoppen

Der Sieger von Silverstone hatte sich etwas mehr Risiko seitens der Scuderia erhofft: "Wenn sie mir die Daten der Reifen zeigen, dann werden sie mir erklären, warum sie glaubten, dass ich nicht zu Ende fahren hätte können. Sie vertrauen den Zahlen, denn auf ihnen basieren unsere Strategien. Ich bin mir sicher, sie hatten die besten Intentionen für mich, aber wenn du auf einem Podestplatz bist, obwohl du als Letzter gestartet bist, dann bist du gewillt, extra ins Risiko zu gehen und willst nicht in der Box 32 Sekunden verlieren." Die Boxendurchfahrt in Le Castellet dauert besonders lang, sodass Sainz sich nach seinem zweiten Stopp sogar wieder an den Mittelfeldautos von Alpine und McLaren vorbeikämpfen musste.

Sainz gab detaillierten Einblick in seine Gedankenwelt in der entscheidenden Runde 43: "Sie [die Ferrari-Box, Anm. d. Red.] meinten, es wäre eine gute Runde, um zu stoppen, obwohl ich mit Checo [Perez, Anm. d. Red.] im Zweikampf war. Ich denke, es ist eine typische Diskussion mit dem Team. Wir waren auf einer Zweistopp-Strategie, doch dann stellten wir plötzlich fest, dass wir um Platz 3 kämpfen konnten. Ich wollte es bis zum Ende durchziehen und das Team fragte mich, ob ich das auch schaffen kann. Ich sagte, ich müsse erst sehen, wie sich die Reifen verhalten."

Zu diesem Zeitpunkt war der Ferrari schon mehrere Runden hinter dem Red Bull festgehangen, doch dies änderte sich bekanntlich: "Zuerst dachte ich nicht, dass es möglich sei. Dann kam ich an Checo vorbei und hatte freie Fahrt, also dachte ich mir: Verdammt, wieso sollte ich es nicht versuchen? An dem Punkt wollte ich es also probieren, auf dem Podest zu bleiben, denn ich wusste der Boxenstopp kostet 32 Sekunden." Der Spanier gab letztendlich doch dem Ruf des Kommandostandes nach: "Am Ende haben sie mehr Informationen als ich, also bin ich dem Aufruf an die Box zu kommen gefolgt."

Binotto verteidigt zweiten Stopp: Risiko für Sainz war zu groß

Sainz zeigte Vertrauen in sein Team, was die Nachbesprechung seines problembehafteten Rennens anging. "Ich bin mir sicher, dass wir das zusammen aufarbeiten werden und sie mir die Entscheidung erklären werden", tat er seine Erwartungshaltung an die Strategieabteilung kund. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto erklärte es so: "Wir haben die richtige Wahl getroffen. Auf dem Medium wäre es sehr schwer geworden, zu Ende zu fahren. Wir haben gewartet, um möglichst viele Daten für eine richtige Entscheidung zu haben." Das Ergebnis der Ferrari-Analyse: "Die Reifen hätten nicht gehalten und deswegen mussten wir ihn reinholen, es wäre einfach zu riskant gewesen."

Mattia Binotto verteidigte den erneuten Stopp von Carlos Sainz, Foto: LAT Images
Mattia Binotto verteidigte den erneuten Stopp von Carlos Sainz, Foto: LAT Images

Doch nicht nur die Frage, ob er es mit den alten Reifen bis zur Zielflagge geschafft hätte, war für Ferrari wichtig. "So hat er wenigstens noch die schnellste Runde fahren können. Mit den Mediums hätte er nicht wegziehen können und er hatte ja noch die 5 Sekunden Strafe, also war es insgesamt die richtige Entscheidung ihn reinzuholen", argumentierte Binotto. Sainz hätte 5 Sekunden vor Perez und Russell bleiben müssen, sonst wäre er auch ohne zweiten Stopp auf Platz 5 gelandet. Mit der schnellsten Rennrunde holte er einen Punkt mehr und nahm diesen Punkt Max Verstappen weg.

Sainz will Positives mitnehmen: Ohne Strafe Pace für Pole und Sieg

Auch Sainz gab zu, dass es ein Risiko gab und er nicht genau einschätzen könne, wo er ohne weiteren Stopp gelandet wäre: "Ich wusste, wenn wir stoppen, dann gäbe es keine Chance mehr auf Platz 3. Wir hätten auch nur Sechster werden können, aber wir hätten auch die 5 Sekunden rausfahren und Dritter werden können. Am Ende war alles zwischen Platz 3 und 6 möglich."

Carlos Sainz will das Positive aus Le Castellet nach Ungarn mitnehmen, Foto: LAT Images
Carlos Sainz will das Positive aus Le Castellet nach Ungarn mitnehmen, Foto: LAT Images

Sainz wollte seinen Frust über das verpasste Podest jedoch nicht zu sehr herausstreichen und betonte deswegen auch seine starke Pace. "Ohne die Motorenstrafe wäre das ein Wochenende gewesen, an dem wir um die Pole-Position und den Sieg gekämpft hätten. Aber selbst mit der Strafe hätten wir mit perfekter Strategie und ohne weitere Strafe das Podest erreichen können, was zeigt wie stark unser Wochenende war. Es war also gut aus meiner Sicht als Fahrer, denn das gibt mir Selbstvertrauen", stellte der Spanier fest. Zumindest in einer Kategorie konnte Sainz am Sonntag in Frankreich tatsächlich gewinnen: Die Fans wählten ihn aufgrund seiner Aufholjagd zum 'Fahrer des Tages' und das mit deutlichem Vorsprung.