Als Sergio Perez 2013 zum ersten Mal in seiner Karriere zu einem vermeintlichen "Top-Team" wechselte wurde er schnell eines Besseren belehrt. Fuhr McLaren 2012 noch um Rennsiege und sicherten sich mit 378 Punkte einen dritten Platz in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft, wurden sie 2013 schwer enttäuscht. Von GP-Siegen und Poles musste man sich für eine lange Zeit verabschieden, die Punkte schmolzen mit 122 auf gerade einmal ein Drittel des Vorjahres zusammen und aus Platz 3 in der Teamwertung wurde nur P5

Eine herbe Enttäuschung, doch 2013 war erst der Anfang der Kernschmelze des Traditionsrennstalls. Kaschierte 2014 noch der total überlegene Mercedes-Motor eine eigentlich schwache Saison, sah man sich 2015 mit dem Honda-Motor plötzlich in der Startaufstellung ganz weit hinten. Punkte wurden eine Seltenheit. Vier Jahre lang blieb das Team aus Woking unter der 100-Punkte-Marke. Gleichzeitig hatten sie ein Abo auf die hintersten Plätze in der WM.

McLaren stellt neue Führungsebene auf: 1,5 Sekunden zur Spitze

Ende 2016 wurde Zac Brown neuer Direktor des Traditionsrennstalls und begann das Team umzukrempeln. 2019 übernahm der Bayer Andi Seidl das Amt des Teamchefs. Zudem wurde ein neues Führungsteam aus Piers Thynne, James Key und Andrea Stella vorgestellt. Vor ihnen lag eine Menge Arbeit, genauer gesagt "1,5 Sekunden", erklärte Seidl damals auf die Frage, wie viel McLaren aktuell zur Spitze fehlt im Interview mit Motorsport-Magazin.com: Ein deutliches Statement.

Seidl und Co führten eine schonungslose Analyse durch, um sich mit den Top-Teams zu vergleichen. Daraus resultierte ein umfangreicher Plan, der die vollumfassende Umstrukturierung der Infrastruktur vorsah. Parallel wollte man sich ganz anders organisieren, was die Verteilung von Verantwortung und Kompetenzbereichen angeht.

Seidl verändert die Kultur bei McLaren

Eine der größten Veränderungen unter Seidl war die Einführung einer ganz neuen Kultur im Team. Ego und der Erfolg des Einzelnen wurden von nun an zurückgestellt. Viel mehr zählte jetzt das große Ganze, nicht mehr die Leistung eines einzelnen Fahrers, Ingenieurs oder Verantwortlichen. Das lebt Seidl vor und geht voran. "Er hat kein großes Ego oder Stolz. Er sagt nicht: 'Das hat vor zehn Jahren schon funktioniert, also mach es auf meine Art oder du kannst gehen.' Er ist offen für Neues", verrät Daniel Ricciardo im Exklusivinterview mit dem Motorsport-Magazin (Abo: jetzt die neueste Ausgabe des Motorsport-Magazin bestellen ). Eine Kehrtwende um 180 Grad, wenn man die Zustände mit denen unter Ron Denis vergleicht.

"Die langweilige Antwort ist, dass es wesentlich freundlicher zugeht und mehr Motivation da ist. Jeder versucht, dem anderen zu helfen. Es geht nicht mehr darum, wer individuell der Beste ist. Niemand muss beweisen, die größere Persönlichkeit oder das bessere Teammitglied zu sein'', erzählt Lando Noris über die Teamkultur seit Seidl. Weiter bezeichnet er das Team als "Familie" und vermutet, dass früher Mitarbeiter eher Angst hatten, Kritik zu äußern. Heute wird das akzeptiert und auch gewollt. Das Team glaubt, sich nur so weiterentwickeln zu können.

Mit Seidl kam die Wende: Plötzlich wieder Aufwind bei McLaren

Die Macher des Erfolgs, Foto: LAT Images
Die Macher des Erfolgs, Foto: LAT Images

Die Arbeit von Brown und Seidl trägt schnell Früchte. 2019 kann das Team sein neues Fahrerduo: Carlos Sainz und Lando Norris in zwei starke, konkurrenzfähige Autos setzen. Auf Anhieb spiegelt sich das in Ergebnissen wieder. WM-Platz 4 und 145 Punkte, endlich wieder dreistellig und mehr als doppelt so viele wie im Jahr davor.

Finanziell verlangte das Folgejahr McLaren alles ab und die Existenz des Teams stand auf der Kippe. Doch Brown sorgte dafür, dass sie diese Herausforderung überstanden haben und konnte letztendlich das Team vor dem finanziellen Ruin bewahren.

Sportlich lief es für die Mannschaft aus Woking erneut deutlich besser. Die richtigen Entwicklungsschritte am Auto lieferten 202 Punkte und Platz 3 in der Konstrukteurs-WM. Sogar Racing Point, welches mit seinem "pinken Mercedes" das schnellere Auto hatte, musste sich dem Papaya-farbenen Team geschlagen geben. Die Fahrerpaarung Norris und Sainz war klar die bessere.

McLaren 2021: Neuer Motor, nächster Schritt?

Durch die neue Power Unit, diesmal wieder aus dem Hause Mercedes, und Daniel Ricciardo einen damals siebenfachen GP-Sieger als Ersatz für Sainz waren die Erwartungen an die Traditionsmannschaft hoch. Doch das Team sollte diesen gerecht werden. Trotz einer schwachen Saison von Ricciardo holte man nach acht Jahren wieder einen Rennsieg und dazu noch 275 Punkte. Allen voran Lando Noris zeigte welche Performance in dem Auto steckte und fuhr eine beeindruckende Saison.

McLaren 2022: Schritt nach vorne oder zwei zurück?

Die neue Ära der Formel 1 begann für die Truppe aus Woking alles andere als berauschend. Stammfahrer Daniel Ricciardo fehlte bei den Testfahrten in Bahrain und das Team wurde von seinem neu entwickelten Auto schwer enttäuscht. Beim Saisonstart fuhren die beiden Fahrer als Vierzehnter und Fünfzehnter über die Ziellinie. Die sportlichen Leistungen erinnerten fast schon an die McLaren-Honda-Jahre und nicht wenige vermuteten eine ganz schwere Saison für das britische Traditionsteam.

McLaren unter Seidl: Aus der Vergangenheit gelernt

Die neu eingeführte Kultur und Mentalität sollte zum ersten Mal auf die Probe gestellt werden. Wie wird das Team mit den schlechten Ergebnissen umgehen? "Wichtig war, dass jeder im Team die Ruhe bewahrt hat, dass man vereint und mit einem gesunden Selbstbewusstsein jeden hat weiterarbeiten lassen, mit dem Vertrauen, dass wir in der Lage sind, mit den Talenten, die wir an Bord haben, mit der Organisation, die wir am Start haben, zurückzuschlagen", sagte Seidl über den schlechten Saisonstart.

Auch Norris zeigte sich durchweg positiv: "Ich habe Vertrauen ins Team, dass wir die notwendigen Änderungen vornehmen können, um dieses Jahr wieder Podestplätze und vielleicht sogar Siege zu erreichen. Zumindest sollten wir wieder auf einen konstanten Punktekurs kommen."

Lando Noris auf dem Podium beim Emila Romagna GP, Foto: LAT Images
Lando Noris auf dem Podium beim Emila Romagna GP, Foto: LAT Images

Beim Emilia-Romagna GP konnten die Truppe beweisen, dass sie den Aufgaben gewachsen ist und Lando Noris holte das erste Podium der Saison. Das Team befindet sich zwar wieder auf dem richtigen Weg, so stark wie in der Vorsaison sind die Leistungen aktuell aber noch nicht. Trotzdem liegt McLaren nach zehn Rennen auf Platz 4 der Konstrukteurs-WM.

McLarens Zukunft: 2025 an jedem Wochenende um Siege kämpfen

Seidl und Brown ist es gelungen, das Team finanziell, mental und strukturell ganz neu aufzustellen. Dadurch ging es mit dem britischen Traditionsrennstall wieder bergauf. Das Ziel, wieder um Siege zu kämpfen, hat man fest vor Augen. Dafür hat das Duo bereits die nächsten Schritte eingeleitet.

Mitte 2022 soll ein neuer Simulator fertiggestellt werden und Ende des Jahres soll auch noch ein neuer Windkanal das Team bei der Fahrzeugentwicklung unterstützen. "Spätestens 2025, wenn die Infrastruktur am Start sein wird und wir mindestens ein Jahr Erfahrungen in der Anwendung haben sammeln können, sind wir hoffentlich in der Lage, an jedem Rennwochenende, um Siege zu kämpfen", antwortet Seidl auf die Frage, wann die nächsten Leistungssprünge des Teams zu erwarten sind. Bis dahin wird das Team aber trotzdem versuchen, das Beste aus den Möglichkeiten herauszuholen.