Hierarchie wieder hergestellt. So formulierte es Red Bulls Motorsportchef Dr. Helmut Marko nach dem Großen Preis von Aserbaidschan 2022 der Formel 1 mit Blick auf das teaminterne Duell zwischen Max Verstappen und Sergio Perez. Letzterer hatte seinen in der Regel stärkeren Teamkollegen zuletzt in Monaco durchgängig im Griff, auch den internen Vergleich im Qualifying in Baku entschied Perez für sich. Im Rennen musste sich der Mexikaner dem Niederländer allerdings wieder deutlich beugen. Erst 20 Sekunden nach Sieger Verstappen sah Perez die Zielflagge.

Dabei hatte das Rennen für den 32-Jährigen optimal begonnen. Beim Anbremsen auf die erste Kurve stach Perez Polesitter Charles Leclerc aus und übernahm die Führung vor dem Monegassen und Verstappen. "Es war ein toller Start, Charles von der Linie weg zu schlagen und dann mein eigenes Rennen zu fahren", erinnert sich Perez an den kurzen besten Teil seines Grand Prix. "Bis zum virtuellen Safety Car sah es klasse aus."

Formel 1 Baku, Perez hadert mit VSC-Entscheidung: Stopp verschwitzt

Tatsächlich konnte sich Perez zunächst sogar leicht von seinem Ferrari-Verfolger absetzen. Doch dann läutete der hydraulisch bedingte Ausfall Carlos Sainz' den Anfang vom Ende der mexikanischen Siegambitionen ein. So nutze Red Bull das resultierende virtuelle Safety Car nicht, Leclerc hingegen entschied sich für den zeitsparenden Reifenservice zum Wechsel von Medium auf Hard und kam so trotz eines langsamen Stopps nur zwölf Sekunden hinter den Bullen zurück auf die Strecke.

Nachziehen konnte Red Bull nicht mehr. Schon im nächsten Umlauf war die VSC-Phase beendet. "Wir haben zu spät gestoppt", hadert Perez über den eigenen Stopp, acht Runden später und unter Rennbedingungen. Der war wegen eines defekten Schlagschraubers ebenfalls langsam. So fiel der Mexikaner 18 Sekunden hinter Leclerc zurück. "Alle Boxenstopps waren heute irgendwie nicht herausragend. Gottseidank war das Rennen [wegen der Ferrari-Ausfälle] so leicht, dass das nicht ins Gewicht fiel. Aber das wird genau untersucht", betont Marko.

Red Bull erklärt: Wollten Leclerc mit großem Reifendelta kontern

Doch warum kam Red Bull zuvor nicht sofort unter dem VSC? "Leider gab es mit dem VSC-Stopp ein bisschen eine Fehlkommunikation. Als wir stoppen wollten war es ein bisschen zu spät, um noch zu stoppen", schildert Perez. "Da hatten wir ein bisschen Pech, das hat einige Zeit gekostet."

Er selbst habe nicht unbedingt an die Box gewollt. "Das entscheidet das Team. Ich hatte einfach noch nicht die Info, ob wir wollten oder nicht", sagt Perez. Offenbar wollte man. "Aber ich habe die Info zu spät erhalten, um noch an die Box kommen zu kommen", berichtet der Mexikaner. "Da gingen heute ein paar Dinge schief", klagt Perez.

Red Bulls Teamchef bringt zumindest etwas Licht ins Dunkel. Red Bull sei schlicht nicht sicher gewesen, ob der Stopp zu früh gekommen wäre, so Christian Horner. Deshalb habe man eventuell die Strategien splitten wollen. "Wir haben Max gesagt, er soll das Gegenteil von Leclerc machen", berichtet Horner. Doch der fuhr rein - und so blieb Verstappen wie Perez auf der Strecke. Generell hielt Red Bull das ohnehin für sicherer. "Es war ja so früh", sagt Horner. "Und wir hatten am Freitag nur Longruns über sechs Runden und mit diesem Reifen [dem Hard] wussten wir gar nicht, wie er abbauen würde."

Deshalb habe Red Bull daraufhin auf ein möglichst großes Reifendelta gesetzt. Acht bzw. neun Runden betrug dieses für Perez und Verstappen. "Wir wollten uns mit den frischen Reifen einen möglichst großen Vorteil verschaffen", erklärt Horner. Das schien zunächst allerdings nach hinten loszugehen. "Die Lücke zu Charles wurde zu groß", sagt der Brite. Dennoch hätte man Leclerc auch ohne dessen Ferrari-Motorschaden noch auf der Strecke schlagen können. Horner: "Mit den acht oder neun Runden Vorteil hätte es gereicht, ihn wieder zu überholen." Genauso sieht es Marko.

Max Verstappen überholt Perez: Kämpfen verboten!

Zu diesem Zeitpunkt lag allerdings schon längst nicht mehr Perez vor Verstappen, sondern Verstappen vor Perez. Nach dem Ende der VSC-Phase überholte der Niederländer seinen Teamkollegen vor Kurve eins der 15. Runde mit großem Überschuss und ohne Gegenwehr. Red Bull hatte Perez via Funk angewiesen, nicht zu kämpfen. Eine unfaire Teamorder? Nicht einmal für Perez selbst. Der Mexikaner äußert keinerlei Kritik, zeigt im Gegenteil volles Verständnis. "Max war zu dem Zeitpunkt klar schneller, deshalb denke ich, dass es die richtige Entscheidung war nicht zu kämpfen. Ich hatte da keine Pace und Max hat verdient vorne zu sein", sagt Perez.

"Der Pace-Unterschied war da so groß zwischen den beiden", bestätigt Horner, der deshalb nicht einmal von einer echten Teamorder sprechen will. "Es ging nur um ein schnellere und ein langsameres Auto. Max hatte da einen klaren Vorteil gegenüber Checo, dessen Hinterreifen stark gekörnt haben", berichtet der Red-Bull-Teamchef. Noch dazu habe man einen internen Zweikampf schon am Morgen klar diskutiert. "Dass sie einander Raum gegeben sollen, wenn sie gegeneinander fahren. 2018 ist noch nicht so lange her und uns noch gut im Hinterkopf", erinnert Horner an den großen teaminternen Crash zwischen Daniel Ricciardo und Verstappen in Baku.

Formel 1 WM-Tabelle: Perez übernimmt Platz zwei von Leclerc

"Die Priorität liegt gerade darauf, unsere Punkte gegen Ferrari zu maximieren, denn die haben ein sehr schnelles Auto", sagt Horner. Das wisse auch Perez, so der Brite. "Checo ist ein erwachsener Kerl. Er versteht das größere Bild. Er weiß, dass es eine lange WM ist und ist in der Form seines Lebens", sagt Horner. Tatsächlich übernahm Perez in Baku dank des Leclerc-Ausfalls sogar den zweiten WM-Rang. Gerade einmal 21 Punkte trennen ihn in der WM-Tabelle der Formel 1 von Spitzenreiter Verstappen.

Wieso Perez nach Wiederfreigabe des Rennens überhaupt so sehr mit den Reifen zu kämpfen hatte? Das wüsste der eigentlich als Reifenflüsterer bekannte Mexikaner auch gerne. "Beim Restart hatte ich viel stärkere Abnutzung auf dem Medium, die war extrem hoch bei mir, das müssen wir verstehen", grübelt Perez. "Max war da Medium-Stint viel stärker."

Perez-Pace bricht plötzlich ein: Reifen am Start überfordert?

Helmut Marko vermutet, dass Perez es zuvor unmittelbar nach dem Start mit der Pace übertrieben hatte. "Der Perez hat seine Reifen eine Spur zu sehr überfordert beim Wegfahren", meint der Motorsportchef der Bullen. Perez sieht das anders. "Es fühlte sich nicht so an als hätte ich die Reifen zu hart rangekommen", sagt Perez. "Ich habe einfach wirklich unmittelbar nach dem VSC-Restart die Pace verloren. Den ganzen Weg bis dahin sah alles okay aus, erst dann ist die Pace massiv abgefallen", grübelt Perez. Möglicher Zusammenhang: Das Abkühlen der Reifen in der neutralisierten Phase. "Ich bin sicher, dass es damit zu tun hatte. Vielleicht ein wenig Temperaturverlust in Kombination mit Verschleiß", mutmaßt Perez.

Nach dem Motorschaden Leclercs sei es dann nur noch darum gegangen, den zweiten Platz nach Hause zu schaukeln, erklärt Perez seinen am Ende eklatanten Rückstand auf Verstappen. Das tolle Teamergebnis, so der letztlich auch selbstkritische Mexikaner, müsse man nun dennoch aufarbeiten. "Denn es gibt heute einige Dinge, die wir ansehen müssen. Wir haben zu spät gestoppt. Und die Stopps waren auch nicht ideal. Und auch meine Rennpace müssen wir verbessern, denn Max hat diesen Sieg heute auf jeden Fall verdient. Er war das schnellere Auto.", sagt Perez. Viele Baustellen trotz Platz zwei. Die Ansprüche sind gestiegen.