Wer Max Verstappen und Charles Leclerc erstmals zugleich auf der Rennstrecke sehen will, der muss lange zurückgehen. Die beiden Führenden in der Formel-1-Tabelle 2022 trafen vor über zwölf Jahren nämlich schon von Woche zu Woche aufeinander. Im Kart. Wo die beiden heute 24-Jährigen - Verstappen ist nur 16 Tage älter - dann eine vier Jahre umspannende und teils brutal geführte Rivalität begannen.

Zwischen 2010 und 2013 begegneten sich die beiden in allen möglichen Kart-Events quer durch die europäische Landschaft, und Leclerc konnte dem als Jahrhunderttalent verschrienen Verstappen gelegentlich ordentlich einheizen. Ein legendäres Video von 2012, das mittlerweile über 1,9 Millionen Aufrufe hat, verdeutlicht, was Leclerc heute im Rückblick feststellt: Es war an manchen Punkten wirklich ein Hass-Duell.

Max Verstappen & Charles Leclerc: Legendäres Kart-Hassduell (01:53 Min.)

Der berühmte kurze Interview-Clip, der nach dem ersten echten F1-Aufeinandertreffen der beiden im Kampf um den Sieg in Österreich erstmals kursiert, stammt von einem WSK-Euro-Series-Event im französischen Val d'Argenton, wo sich Leclerc, damals Tabellenführender in der KF2-Klasse, und Verstappen in die Haare kriegten. Auf einer Schimpftirade Verstappens folgt darin ein Leclerc, der einen Zwischenfall auf der Strecke mit sensationeller Betonung als "nothing, just a little inchident (sic!)", übersetzt "nichts, nur ein kleiner Zwischenfall" abtut.

Verstappen vs. Leclerc: Kart-Duell bis zum Hass

Leclerc und Verstappen haben das Video selbst oft genug gesehen und können sich noch erinnern. "Ich glaube, es war im Regen", sagt Leclerc. "Er war Erster, ich Zweiter und etwas schneller. Ich versuchte zu überholen und habe ihn weggeschoben. In der nächsten Kurve hat er mich komplett von der Strecke geschossen. Dann kam ich nach der Zielflagge zurück und ich - und das ist ein Fehler meinerseits - bin neben ihn, haben ihn ins Gras und in eine riesige Pfütze geschoben. Er war unglaublich sauer, sein Vater auch."

Am letzten F1-Wochenende in Miami kämpften Verstappen und Leclerc wieder ganz vorne, Foto: LAT Images
Am letzten F1-Wochenende in Miami kämpften Verstappen und Leclerc wieder ganz vorne, Foto: LAT Images

Heute können sie darüber lachen. "Es war ganz lustig, dann sind wir beide disqualifiziert worden!", erinnert sich Leclerc. Er für die Rache-Aktion, Verstappen für den Abschuss. Damals fanden sie diese Aktionen als 14-Jährige nicht so witzig. "Im Kart hatten wir einen Haufen Konflikte", sagt Leclerc. "Jedes Rennen haben wir um Siege gekämpft, und im Kart passiert natürlich viel. Wir waren jung, verrückt, und ja, wir haben uns in diesem Moment gehasst."

Die KF2-Wertung der WSK Euro Series gewann Leclerc 2012, doch der als Wunderkind benannte Verstappen stieg unter dem Strich besser aus. Von 15 Serien, in denen beide antraten, gewann er in elf das direkte Duell und in acht die Wertung. 2014 stieg er praktisch direkt in die Formel 3 auf, während Leclerc erst einmal mit dem Formel Renault 2.0-Eurocup begann. Die beiden sahen sich erst 2018 in der Formel 1 wieder, und nahmen erst 2019, nach Leclercs Beförderung zu Ferrari, ihr direktes Duell wieder auf.

Verstappen und Leclerc: Durch alte Rivalität für WM-Kampf gestählt

Da ist das Hass-Duell dann Vergangenheit. "Jetzt sind wir gereift, haben mehr Erfahrung und beide haben wir unseren Traum erreicht, in der Formel 1 zu kämpfen, also hat sich die Beziehung verändert", meint Leclerc heute. "Heute blicken wir beide mit einem Grinsen im Gesicht zurück auf diese Jahre."

In der Formel 1 kommen Verstappen und Leclerc bisweilen gut miteinander aus, Foto: LAT Images
In der Formel 1 kommen Verstappen und Leclerc bisweilen gut miteinander aus, Foto: LAT Images

In der Formel-1-Saison 2022 - bislang hatten sie an fast jedem Wochenende zumindest einen kurzen Zweikampf - gingen sie aggressiv, aber respektvoll miteinander um. Das unterschreibt auch Verstappen: "Es ist nett und fühlt sich ein bisschen wie damals im Kart an, wir sind nur reifer ... persönlich, aber wir haben auch mehr Erfahrung. Das macht das Racing denke ich noch besser."

Leclerc bestätigt: "Ich kämpfe gerne mit Max, es ist immer am Limit." 2019 schien sich das Duell kurz auch in der Formel 1 aufzuheizen, nachdem Verstappen Leclerc im Duell um den Sieg in Österreich mit Gewalt von der Strecke drückte. Leclerc akzeptierte es mit der Ansage, dass er nun selbst aggressiver sein würde, und im nächsten Rennen in Großbritannien trugen die beiden ein Duell am absoluten Limit der Fairness aus.

2022 scheinen sie sich nun, nachdem Leclerc zwei Jahre im Mittelfeld steckte und Verstappen seinen ersten WM-Titel einfuhr, auf ein ausbalanciertes Mittel eingependelt zu haben. "Bis jetzt genieße ich es sehr", meint Leclerc. "Hoffentlich bleibt es für den Rest der Saison so." Wie Verstappen: "Es waren richtig gute Zweikämpfe, die haben wir denke ich genossen, und wie gesagt, ich hoffe, dass wir für den Rest der Saison so weitermachen können." Zumindest hier sind sie sich vollends einig.