Nach zwei harten Duellen zwischen Max Verstappen und Charles Leclerc blickt die Formel-1--Welt gespannt auf den GP in Australien. Wer wird auf dem neuen Streckenlayout im Albert Park die Nase vorne haben? Nach den Freitags-Trainings lässt sich diese Frage nur schwer beantworten. Aber eines steht fest: Ferrari und Red Bull gehen erneut als Favoriten in Qualifying und Rennen.

Wenn man sich nur die Zeitentabelle ansieht, scheint die Favoritenrolle klar verteilt. Ferrari konnte sich sowohl in FP1 als auch in FP2 die schnellste Rundenzeit sichern. Einmal war Carlos Sainz vorne, im zweiten Training sorgte Charles Leclerc mit einer 1:18,978 für die schnellste Runde des Tages. Doch wie so häufig in der Formel 1 könnte auch in Melbourne die wahre Gemengelage eine andere sein.

Verstappen wird von Verkehr gebremst

Denn Max Verstappen hatte wurde auf seiner Zeitenattacke von etwas Verkehr behindert, wie man auch bei der Konkurrenz feststellt. "Red Bull hat heute noch nicht alles gezeigt. Sie brachten keine Runde zusammen. Max hatte auf jeder seiner schnellen Runden Verkehr vor sich", sagte Charles Leclerc mit Blick auf das zweite Training.

Die wahre Pace von Max Verstappen auf eine Runde wird sich also spätestens im Qualifying zeigen. Über weite Teile der beiden Sessions waren die Bullen damit beschäftigt, das Handling des RB18 in den Griff zu bekommen. Verstappen erklärte, dass im ersten Training sowie zu Beginn von FP2 die Balance noch nicht passte. "Auf dem finalen Run machten wir viele Änderungen am Wagen und ich war damit viel glücklicher", stellte der Weltmeister fest.

Auf der anderen Seite der Garage fällt das Fazit zu den Fahrzeug-Anpassungen gemischter aus. Sergio Perez urteilte über die Setup-Arbeiten: "In einigen Aspekten war das Auto besser, in anderen nicht. Wir haben noch viel zu arbeiten."

Mit ihren Handling-Beschwerden standen die Bullen nicht alleine da. Bei den meisten Teams sorgte die Kombination aus der frisch asphaltierten Strecke mit den Pirelli-Pneus zu Handling-Problemen. So auch bei Ferrari. Leclerc beschwerte sich über die rutschige Strecke, aber auch im Lager der Truppe aus Maranello bemerkte man Verbesserungen in FP2.

Am Ferrari machte sich der Porpoising-Effekt in den Trainings am stärksten bemerkbar. "Im Moment ist das aber was die Zeiten angeht kein limitierender Faktor, auch wenn es unkomfortabel auf der Geraden ist", sagte Charles Leclerc.

Red Bull setzt auf Topspeed

Was die reine Motor-Power angeht wird Ferrari bereits seit Saisonbeginn an der Spitze des Feldes verortet. Max Verstappen sagte in der Pressekonferenz vor dem Australien-Training: "Ich denke, dass der Ferrari auf der Geraden eine Rakete ist". Dass sich das nicht eins zu eins in die Topspeed-Werte überträgt, liegt am Fahrzeugsetup der Scuderia. "Viel hängt von den Flügeleinstellungen ab", betonte Verstappen.

Was das angeht folgte Red Bull auch in Australien setupmäßig der Marschroute aus Bahrain und Saudi Arabien. Die Bullen fuhren mit einem deutlich kleineren Heckflügel und waren dementsprechend auch bei den Topspeed-Messungen ganz vorne. Ferrari hingegen setzte auf einen großen Flügel.

Der Heckflügel am Ferrari und am Red Bull im Vergleich, Foto: LAT Images
Der Heckflügel am Ferrari und am Red Bull im Vergleich, Foto: LAT Images

Bei der aussagekräftigsten Messstelle am Ende des zweiten Sektors fehlten dem Ferrari F1-75 circa fünf Km/h auf den RB18. Auch Alpine stimmte seinen Boliden auf viel Topspeed ab und rangiert knapp hinter den Bullen. Am Ende der Geschwindigkeitstabelle landeten zum wiederholten Male die Mercedes-Kundenteams.

Formel 1 Australien: Topspeeds in FP2

FahrerTopspeed Sektor 2
Perez321,4
Verstappen320,4
Alonso318,9
Ocon318,4
Tsunoda316,8
Sainz316,4
Gasly316,3
Bottas316,2
Latifi316,2
Magnussen315,4
Schumacher315,3
Leclerc315,0
Hamilton314,9
Albon314,7
Zhou314,2
Stroll311,7
Norris310,2
Russell309,5
Ricciardo307,7

Der Topspeed-Nachteil des Ferraris wird auf eine Runde durch den DRS-Effekt noch etwas kaschiert. Die vier DRS-Zonen in Melbourne bedeuten, dass man praktisch auf jedem längeren Geradeaus-Stück den Flügel nach unten klappen kann. Dadurch wirkt sich der höhere Flügel im Qualifying nicht so signifikant aus.

Verstappen im Longrun vorne

Relativ gesehen hat Ferrari also im Rennen einen stärkeren Nachteil auf die Bullen, als die Topspeed-Werte auf den ersten Blick vermuten lassen. Das unterstreichen auch die Longruns, die wie üblich gegen Ende von FP2 über die Bühne gehen. Im Schnitt war Verstappen auf alten Medium-Reifen um etwa zwei Zehntel schneller als Leclerc.

Die Pneus auf dem Red Bull waren allerdings auch um einige Runden jünger als jene bei Leclerc. Sergio Perez konnte die Zeiten der beiden Top-Piloten der bisherigen Saison einigermaßen mitgehen, Carlos Sainz musste hingegen etwas abreißen lassen. Der Spanier reihte sich sogar hinter seinem Landsmann Fernando Alonso ein.

Eine kurze rote Flagge aufgrund eines lose gewordenen Teils am Wagen von Lance Stroll auf der Strecke verwässerte allerdings die Aussagekraft der Longruns ein wenig. Die Zeiten sind somit also mit Vorsicht zu genießen. Da die meisten Teams die mittlere Reifenmischung aufzogen, gibt es aber zumindest an dieser Stelle einen einigermaßen direkten Vergleich.

Mercedes nur im Mittelfeld

Rätselraten gab es bei Mercedes. Nachdem man bereits in Saudi Arabien ordentlich Federn lassen musste, droht man auch im Albert Park ins Mittelfeld abzurutschen. Sowohl auf eine Runde als auch bei den Longrun-Zeiten war Alpine die dritte Kraft. Auf ihrem schnellen Versuch kamen Russell und Hamilton nicht über P11 und P13 hinaus. Bei den Longruns sah es ebenso unspektakulär aus. Hamiltons letzter Platz bei den Durchschnitts-Zeiten ist allerdings kaum aussagekräftig.

Als Schwachstelle machte man bei Mercedes die Reifentemperatur aus. Chefingenieur Andrew Shovlin stellte fest: "Es fällt uns schwer, die Reifen hier auf Temperatur zu bringen. In der ersten Session waren wir deutlich konkurrenzfähiger als unter den kühleren Bedingungen am Abend (in FP2)".

"Im Moment befinden wir uns in einem Teufelskreis, in dem die Fahrer nicht das Vertrauen haben, die Geschwindigkeit durch die schnelleren Kurven mitzunehmen", erklärte Shovlin. Der mangelnde Speed führt dann wiederum dazu, dass die Reifen schneller auskühlen.

Longruns auf Medium

FahrerReifenalterStintlängeSchnitt
Verstappen1261:23,425
Leclerc1641:23,682
Perez1351:23,809
Alonso1551:24,239
Sainz1981:24,287
Bottas1341:24,617
Norris1981:24,869
Ricciardo1551:24,870
Russell1541:25,299
Schumacher1351:25,613
Stroll1881:25,691
Latifi1651:25,726
Albon1761:25,807
Zhou1451:25,962
Hamilton1551:26,164

Nur wenige Piloten rückten bei ihren Longrun-Anläufen nicht auf den Mediums aus. Kevin Magnussen und Esteban Ocon absolvierten ihre Runs auf dem Hard. AlphaTauri tanzte komplett aus der Reihe und schickte einerseits Yuki Tsunoda auf Hards auf die Strecke und andererseits Pierre Gasly auf dem weichen C5-Reifen.

Der Franzose war damit der einzige Fahrer, der seinen Run auf dem Soft durchzog. Im Vorfeld des Wochenendes wurde der rot markierte Reifen als dezidierter Qualifying-Pneus gehandelt. Viele Fahrer stellten aber fest, dass der Soft nach einer Push-Runde immer noch für schnelle Zeiten gut ist oder sogar an Pace zulegt.

Carlos Sainz fasste zusammen: "Der Soft fühlt sich auf der ersten schnellen Runde bereit an, aber wenn man dann eine Cooldown-Runde einlegt, wird er schneller." Einen ähnlichen Effekt gab es bereits beim GP in Saudi Arabien. Ob die Soft-Walzen im Rennen lange genug halten, um eine strategische Option zu sein, ist dennoch unklar. Pirelli hatte für den Australien-GP eine Mischung übersprungen und den C2, C3 sowie eben den C5-Reifen nach Melbourne transportiert.

Longruns auf Hard

FahrerReifenalterStintlängeSchnitt
Tsunoda2191:24,921
Ocon1761:25,155
Magnussen1551:25,320

Longrun auf Soft

FahrerReifenalterStintlängeSchnitt
Gasly1881:25,206

Ferrari im dritten Sektor vorne

Ferraris Setup-Einstellungen mit viel Flügel machte in den langsameren Passagen des Albert Park Circuit bezahlt. Der Red Bull hat seine Stärken vor allem im zweiten Sektor, wo Max Verstappen auch die absolut schnellste Bestzeit setzen konnte. In Sektor 1 hatte Ferrari hingegen auf den Hotlaps die Nase ein bisschen vorne.

In der Addition von Sektor 1 und 2 waren die Red Bulls auf ihrer schnellsten Runde auf einem Level mit Ferrari. Der Unterschied im Zeitenklassement resultiert aber vor allem aus dem letzten Abschnitt. Dort büßen Verstappen und Perez jeweils zwischen zwei und drei Zehntel auf die Roten ein.

Schnellste Sektorzeiten in FP2

Sektor 1Sektor 2Sektor 3
Leclerc27,256Verstappen17,833Sainz33,671
Verstappen27,358Alonso17,902Leclerc33,688
Sainz27,441Ocon17,994Verstappen33,903
Alonso27,504Leclerc18,034Perez33,975
Ricciardo27,615Sainz18,059Ocon34,075
Perez27,621Perez18,062Alonso34,131
Bottas27,622Gasly18,105Gasly34,141
Hamilton27,672Tsunoda18,16Bottas34,153
Russell27,708Hamilton18,165Norris34,174
Norris27,725Bottas18,196Russell34,232
Ocon27,773Norris18,201Ricciardo34,261
Stroll27,793Albon18,258Tsunoda34,442
Tsunoda27,822Russell18,265Zhou34,52
Gasly27,85Stroll18,284Stroll34,534
Zhou27,92Magnussen18,285Hamilton34,629
Magnussen28,067Latifi18,321Magnussen34,839
Albon28,156Ricciardo18,327Schumacher35,082
Schumacher28,418Zhou18,447Albon35,31
Latifi28,502Schumacher18,474Latifi35,465

Fazit: Wie bereits in Bahrain und Saudi Arabien schenken sich Ferrari und Red Bull auch in Australien nichts. Auf eine Runde konnte Verstappen am Freitag für keinen relevanten Vergleichswert sorgen, da ihm der Verkehr in die Quere kam. Gleichzeitig lässt sich auch die Rennpace schwer abschätzen. Auf den Mediums war Verstappen im Longrun zwar schneller als Leclerc, aber die rote Flagge sorgt auch hier für Fragezeichen. Ferrari und Red Bull setzen auf vollkommen gegensätzliche Setup-Philosophien. Welche davon wird aufgehen? Die Suche nach einem Favoriten für Sonntag gleicht einem Münzwurf.