In der Formel-1-Saison 2022 ist vieles neu. Natürlich auch bei Mercedes. Nicht nur das radikal veränderte Reglement und den daraus resultierenden neuen Rennwagen, den F1 W13, gibt es in diesem Jahr zum ersten Mal. Auch das Fahrer-Duo des Rennstalls mit Sitz in Brackley ist eine Neuheit, obwohl George Russell als Reservefahrer in den vergangenen Jahren schon Mercedes-Luft schnuppern durfte.

Wie bei jeder neuen Fahrer-Paarung stellt sich zunächst die Frage, wie die Piloten miteinander zurechtkommen werden. So auch bei Lewis Hamilton und George Russell. Und weiter drängt sich natürlich auf: Dürften die beiden im Fall der Fälle frei gegeneinander kämpfen?

Jetzt, wo der Auftakt der Rennsaison 2022 noch ein paar Wochen entfernt ist und die beiden Briten weder um Siege noch Podien oder gar um den Titel kämpfen, scheint die Lage noch friedlich und entspannt zu sein. Russell zeigt sich ehrwürdig, nennt es ein großes Privileg, an der Seite von Hamilton fahren zu dürfen. "Ich habe eine Riesenchance zu lernen und zu sehen, wie es der Beste macht", so der ehemalige Williams-Fahrer.

Toto Wolff: "Gab bei Mercedes nie Nummer 1 und Nummer 2"

Als bekannt wurde, dass Russell den Wechsel von Williams zu Mercedes machen würde, warf die Neubesetzung von Valtteri Bottas die Frage auf, was Russells Rolle bei Mercedes sein werde. Eine Hilfestellung für Hamiltons achten und alleinigen Rekordtitel? Ein gleichberechtigter Teamkollege? Ein ebenbürtiger Gegner?

In der Vergangenheit waren sich viele Fans einig: Russell-Vorgänger Bottas war nicht Teil des Mercedes Teams, um zu gewinnen, sondern, um Hamilton beim Gewinnen zu helfen. Eine solche Sichtweise dementiert Teamchef Toto Wolff. "Bei Mercedes gab es nie eine Nummer-1/Nummer-2-Situation. Die Fahrer hatten immer die gleichen Möglichkeiten und das gleiche Auto."

Was Neuzugang George Russell betrifft sagte Wolff: "Dieses Jahr haben wir eine interessante Situation, da wir mit George einen aufstrebenden Star und zweifelslos den besten Formel-1-Fahrer aller Zeiten im anderen Cockpit haben."

Russell, der bereits mit Siegen in den Junior-Formelserien auffiel, wurde 2017 Teil des Mercedes Junior-Programms. Nachdem er 2018 den Formel-2-Titel gewann, schaffte er 2019 mit Williams den Sprung in die Formel 1. Beim historischen, britischen Rennstall blieb er jedoch lange Zeit punktelos, da Williams fahrzeugtechnisch nicht konkurrenzfähig war.

Trotzdem stellte Russell, vor allem mit überraschenden Qualifying-Ergebnissen zweifelslos Talent unter Beweis. Spätestens nachdem Russell beim Grand Prix in Sakhir 2020 das Cockpit des erkrankten Hamiltons übernahm, wurden die Stimmen laut, die Russell im Mercedes sehen wollten. Mit dem Mercedes Fahrer-Duo der Saison 2022 geht dieser Wunsch in Erfüllung.

Formel 1 2022: Kampfansage von Hamilton! | Radikales Design (19:29 Min.)

Neue Dynamik zwischen Hamilton und Russell

Hamilton und Russell kennen sich bereits seit vielen Jahren. Zunächst saß der junge George Russell als Mercedes-Junior in den Ingenieurs-Meetings mit dem Rekordweltmeister, in den vergangenen drei Jahren gehörten sie zu den 20 besten Formel-1-Fahrern. Teamkollegen waren sie in der F1 bislang aber noch nie. "Die Dynamik ist neu. Und wir werden sicherstellen, dass wir diese Dynamik in eine Richtung lenken, die den positivsten Effekt auf die Entwicklung des Autos und unsere Konkurrenzfähigkeit hat."

Aus der Vergangenheit kennt Mercedes teaminterne Konkurrenzkämpfe nur zu gut, dank der Fahrung-Paarung Lewis Hamilton und Nico Rosberg, deren Duell in der Formel-1-Saison 2016 mit zwei Kollisionen eskalierte. "Ehrlich gesagt habe ich in den letzten Jahren viel darüber gelernt, wie man mit einem Teamkollegen umgeht. Wie man als Team zusammenarbeitet, um Mercedes zu helfen, das ultimative Ziel zu erreichen. Das ist einer der Gründe, wieso wir mehr Weltmeistertitel als alle anderen Teams haben", sagt Hamilton.

Hamilton freut sich auf Zusammenarbeit mit "starkem Konkurrent" Russell

Ähnlich wie zuvor Russell hat auch Hamilton nur positive Worte für seinen neuen Teamkollegen. Russell würde für die Position bei Mercedes "wie angegossen" passen. Auch freue sich Hamilton auf die Zusammenarbeit mit dem Ex-Williams-Piloten.

"Ich weiß, wie es sich anfühlt gegen einen Weltmeister anzutreten. Ich kenne den Druck, der damit einhergeht, die Erwartungen und auch das interne Gefühl, das man hat", sagt Hamilton.

Seine erste Saison in der Formel 1 bestritt der Brite 2007 an der Seite des zweifachen Weltmeisters Fernando Alonso. Während der Saison kam es zwischen Hamilton und Alonso immer wieder zu Vorfällen, die für große Spannungen zwischen den beiden und im Team sorgten. Hamilton hatte im Teamduell schlussendlich die Nase vorne. Er beendete seine Rookie-Saison auf dem zweiten Platz in der Fahrerwertung. Hinter Kimi Räikkönen jedoch vor Alonso.

"Ich möchte, dass George so viel wie möglich lernt und so viel wie möglich an dieser Herausforderung wächst. Ich habe keine Zweifel daran, dass er ein starker Konkurrent sein wird", so Hamilton.

Russell: Erst zusammenarbeiten, danach vielleicht kämpfen

Ob der Umgang zwischen den beiden Briten weiterhin so wertschätzend bleibt und inwiefern Russell mit Hamilton mithalten kann, wird sich jedoch erst im Laufe der kommenden Fomel-1-Saison zeigen. Für Russell kommt es zunächst aber auf etwas ganz anderes an: die Weiterentwicklung des F1 W13 zu Beginn der neuen Formel-1-Ära.

"Ich habe ehrlich gesagt noch nicht einmal darüber nachgedacht [Hamilton ab dem ersten Rennen Paroli zu bieten, d. Red.], denn mein Ziel ist es, sicherzustellen, dass wir das Auto in die richtige Richtung weiterentwickeln", so Russell. Damit möchte er das Team in die Position bringen, über die kommenden Jahre hinweg eine starke Basis zu haben.

"Lewis und ich müssen zusammenarbeiten [, um das zu erreichen] und dürfen uns nicht so sehr aufeinander konzentrieren, denn die Dinge ändern sich ständig", sagte Russell weiter. "Wir müssen einen Schritt zurücktreten. Wir hoffen, dass Mercedes weiterhin das schnellste Auto hat, aber es gibt keine Garantie dafür. Deshalb dürfen wir nicht naiv sein, sondern müssen sicherstellen, dass wir es bekommen."

Es sei im Interesse beider Fahrer, dafür zu sorgen, dass sie das schnellstmögliche Auto haben. "Sollte dies eintreffen", so Russell abschließend. "Dann können wir vielleicht übereinander nachdenken. Bis dahin geht es jedoch darauf, für uns beide das schnellste Auto zu entwickeln." Los geht es damit bei den dreitägigen Wintertests in Barcelona.