Viel Zeit bleibt der Formel 1 nicht mehr: Vier Wochen vor dem Testauftakt zur Saison 2022 gibt es noch zahlreiche Baustellen in der Königsklasse des Motorsports. Noch immer gibt es keine aktualisierte Version des Sportlichen Reglements. Version drei datiert noch vom 30.04.2021 - seither sollten aber zahlreiche Änderungen aufgenommen werde.

Die Verabschiedung von Version vier gestaltet sich komplexer, als ursprünglich angenommen. Teams versuchen über Punkte zu feilschen, die eigentlich gar nicht zur Diskussion standen. So zum Beispiel über Sprintrennen, deren Vergütung und Ausnahmen bei der Budgetobergrenze.

Die Posse um das Sportliche Reglement nimmt ihren Ursprung in einem ganz anderen, viel größeren Problem - und hängt irgendwie auch mit dem umstrittenen Saisonfinale 2021 in Abu Dhabi zusammen.

Streit um Masi! Bekommt die Formel 1 jetzt 3 Rennleiter? (09:48 Min.)

Rennleiter Michael Masi hatte nie einen leichten Stand. Die Fußstapfen, die Charlie Whiting hinterließ, waren zu groß, um von einer einzelnen Person ausgefüllt zu werden. Masi sollte dennoch Whiting eins zu eins ersetzen.

Zu viele Aufgaben für Rennleiter Michael Masi

Im hitzigen WM-Kampf zwischen Red Bull und Mercedes wurde es zu viel. Neben seinem Posten als Rennleiter ist Masi Sicherheitsdelegierter, muss sich um Streckenabnahmen kümmern und wirkt als Monoposto-Sportchef auch noch am Sportlichen Reglement der Formel 1 mit.

Michael Masi kümmert sich nicht nur um die Rennleitung, Foto: LAT Images
Michael Masi kümmert sich nicht nur um die Rennleitung, Foto: LAT Images

Als im Mai 2021 auch noch Race Control Manager Colin Haywood nach 17 Jahren bei der FIA und insgesamt 30 Jahren Formel 1 ausschied, wurde es endgültig zu viel. Das Sportliche Reglement für die Saison 2022 blieb dabei etwas auf der Strecke.

Doch auch in der Rennleitung selbst wurde es aufgrund des engen WM-Kampfs immer hitziger, was schließlich in Abu Dhabi gipfelte. Seither steht Masi unter Dauerbeschuss. Einige wollen den Australier loswerden.

FIA will auch nach Abu Dhabi an Masi festhalten

Bei der FIA weiß man aber, was man an Masi hat - was gleichzeitig jedoch nicht bedeutet, dass in Abu Dhabi alles richtig lief. Das Saisonfinale war - wie das verschleppte Reglement - eine Konsequenz eines überforderten Systems. Der Automobilweltverband wusste schon zuvor um die Problematik, Abu Dhabi deckte die Schwachstellen aber gnadenlos auf.

Alt-Präsident Jean Todt stellte noch die Weichen für eine Neuordnung. Generalsekretär Peter Bayer ist seit dem WMSC im vergangenen Dezember auch noch Single Seater Direktor. Formel-1-Teamchefs und Liberty Media haben in ihm nun einen direkten Ansprechpartner eine Ebene über dem Rennleiter und dem FIA Technikchef Nikolas Tombazis.

Mercdedes und Lewis Hamilton sind noch immer sauer auf die Entscheidung von Michael Masi beim Saisonfinale, Foto: LAT Images
Mercdedes und Lewis Hamilton sind noch immer sauer auf die Entscheidung von Michael Masi beim Saisonfinale, Foto: LAT Images

Bayers Aufgabe ist es, so heißt es in einem Statement der FIA, die Formel-1-Strukturen auf Seiten des Automobilweltverbands zu optimieren. Der erfahrene Funktionär war bereits vor dem Saisonfinale aktiv im Formel-1-Fahrerlager unterwegs und machte sich ein Bild vom Status quo.

Rund vier Wochen hat er noch Zeit, bis zum Beginn der Testfahrten Lösungen zu bringen. In weniger als zwei Monaten startet die neue Formel-1-Saison. Die Rennleitung wird dabei unter besonderer Beobachtung stehen.

Gibt es 2022 mehrere Rennleiter in der Formel 1?

Wie Motorsport-Magazin.com erfuhr, könnte die Rennleitung in zwei Dimensionen wachsen. Bislang arbeitet die Rennleitung ausschließlich direkt an der Strecke. Teams hingegen haben in ihren Fabriken sogenannte virtuelle Garagen. Die Daten von der Rennstrecke laufen dort in Echtzeit ein. Experten in den Virtuellen Garagen unterstützen ihre Teams aus der Fabrik.

Die Teams bekommen längst Live-Unterstützung aus den Fabriken, Foto: Mercedes
Die Teams bekommen längst Live-Unterstützung aus den Fabriken, Foto: Mercedes

Ein ähnliches System ist nun auch bei der FIA denkbar. Während sich der Rennleiter vor Ort um die wichtigsten Aufgaben in Echtzeit kümmert, kann ein Team im Hintergrund verschiedene Szenarien überprüfen und im Notfall einschreiten. Ähnlich wie ein virtueller Schiedsrichter im Fußball. Pariser oder Genfer Keller statt Kölner Keller.

Dort könnten dann auch die Funksprüche der Teams eingehen. Ein Funk-Chaos wie in Abu Dhabi, wo sich Teamchefs in die Entscheidungen des Rennleiters einmischten, wird es nicht mehr geben. Einst kümmerte sich Herbie Blash um den Funkverkehr und selektierte dann für Charlie Whiting vor. Blash ist längst in Rente, das System könnte aber durchaus zurückkommen.

Lobbyarbeit am Funk soll der Vergangenheit angehören, Foto: LAT Images
Lobbyarbeit am Funk soll der Vergangenheit angehören, Foto: LAT Images

Gleichzeitig soll der Rennleiter aber noch weiter entlastet werden. 23 Grands Prix und diverse Zusatzaufgaben sind für eine Person schlicht zu viel. Deshalb gibt es Überlegungen, zusätzliche Rennleiter einzustellen. Als Kandidaten gelten WEC-Rennleiter Eduardo Freitas, Niels Wittich (zuletzt DTM-Rennleiter und inzwischen bei der FIA) und der aktuelle DTM- und Formel-E-Rennleiter in Personalunion Scot Elkins.

Erste Bewährungsprobe für neuen FIA Präsidenten

Auf das Drängen einiger Teams, Masi abzusetzen, kann und will die FIA nicht eingehen. Es ist die erste Bewährungsprobe für den neuen Präsidenten Mohammed Ben Sulayem. Der 60-Jährige will sich nicht von den Teams auf der Nase herumtanzen lassen.

Eine Verpflichtung von Steve Nielsen, die einige fordern, kann für den Automobilweltverband keine Option sein. Nielsen ist Sporting Director bei Liberty Media. Kommerzielle und sportliche Interessen dürfen aber auf keinen Fall vermischt werden. Damit würde sich die FIA angreifbar machen. Eine Rückkehr von Marcin Budkowski, der sich kürzlich von Alpine verabschiedete, steht derzeit nicht im Raum.

Keine Extra-Millionen für Sprintrennen

Wie auch immer die finale Lösung aussieht, viel Zeit bleibt nicht mehr. Beim Reglement wird es ebenfalls eng. Noch immer ist unklar, wie viele Sprintrennen es 2022 geben wird. Eigentlich waren sechs Events mit Sprint angedacht. Doch das Feilschen einiger Teams könnte das Ziel torpedieren.

Auch hier will sich der Regelhüter nicht in Geiselhaft der Teams nehmen lassen. Die Budgetobergrenze steht. Ausnahmen soll es nur bei Unfallschäden geben - nicht aber generell. Langfristig braucht es einen starken Sportdirektor bei der FIA, damit diese Diskussionen nicht kurz vor einer neuen Saison geführt werden.

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