Der Artikel wurde in der 81. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 28. Oktober 2021 veröffentlicht.

"Feind, Erzfeind, Parteifreund", heißt es in der Politik gerne. Ersetzt man den Parteifreund mit dem Wort Teamkollege, ist der Spruch auch im Motorsport äußerst zutreffend. Sicherlich kann der Teamkollege auch dazu beitragen, WM-Titel zu gewinnen, doch ein Valtteri Bottas an seiner Seite ist eher die Ausnahme als die Regel. Der Teamkollege ist der Erste, den es zu schlagen gilt. Er ist der Einzige, der mit dem gleichen Equipment ausgestattet ist, er ist die einzige Referenz. Genau das ist das Problem von Haas. Der US-amerikanische Rennstall fährt derart weit hinter allen anderen her, dass Mick Schumacher und Nikita Mazepin quasi niemanden haben, außer eben sich selbst. "Weil wir mit niemand anderem kämpfen können, treffen die beiden immer wieder aufeinander", meint auch Teamchef Günther Steiner. Dabei eskaliert der Kampf um den vorletzten Platz teilweise regelrecht.

Das Problem beginnt schon viel früher. Mazepin und Schumacher sind menschlich unterschiedlicher, wie sie kaum sein könnten. Auf der einen Seite der zurückhaltende, teilweise fast schüchtern wirkende Mick Schumacher, der als Meister der Formel 2 den Aufstieg in die Königsklasse schaffte. Wohlerzogen, zuvorkommend und als Sohn des Formel-1-Rekordweltmeisters natürlich Liebling der Fans, Liebling der Szene. Auf der anderen Seite der 'Rüpel-Russe': Sportlich ohne die ganz großen Erfolge dank der Millionen von Vater Dimitry Mazepin in die Formel 1 gekommen, nach einem Grapsch-Skandal im Winter Hassobjekt vieler Social-Media-Nutzer, auf der Rennstrecke oftmals nicht weniger rücksichtslos. Soweit die Stereotypen der beiden. Mehr Good Cop, Bad Cop geht kaum. Dabei ist Mazepin bei genauerem Hinsehen nicht der, für den ihn viele halten. Sicherlich hat sich der Milliardärssohn menschlich schon Dinge geleistet, die nicht akzeptabel sind. Im persönlichen Umgang ist der Russe aber alles andere als rüpelhaft. Sein Umgang mit Journalisten ist - im Gegensatz zu einigen anderen Piloten im Feld - respektvoll, seine Aussagen sind prägnant. Ein Feingeist mag Mazepin nicht sein, auf den Kopf gefallen ist er aber keineswegs. Der 22-Jährige spricht perfekt Englisch, studiert in Moskau neben der Formel-1-Karriere an der Fakultät für Globalwissenschaft. Und trotzdem: Schumacher und Mazepin sind von Grund auf unterschiedlich. Der eine - wie schon sein Vater Michael - öffentlich zurückgezogen, der andere eher im Stile eines Haudrauf.

Auf der Strecke ist Schumacher der Schnellere, Foto: LAT Images
Auf der Strecke ist Schumacher der Schnellere, Foto: LAT Images

Die Häufung der Zwischenfälle führt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner auch darauf zurück: "Nachdem die zwei das permanent in irgendeiner Form praktizieren, sich ansticheln und ärgern, ist das schon eher eine persönliche Sache." Schon beim ersten Rennen der Saison kamen sich beide in die Quere. Mazepin crashte beim Saisonauftakt, weil er nach eigenen Angaben Schumacher ausweichen wollte. Ein vergleichsweise harmloser Zwischenfall, doch die Spannung zwischen beiden stieg seither kontinuierlich an. Schumacher stellte Mazepin Performance-technisch regelmäßig in den Schatten. Im Qualifying sieht der Russe kein Land gegen den Deutschen. Weil Mazepin oftmals die bessere Startrunde erwischt, muss sich Schumacher aber wieder an seinem Teamkollegen vorbeikämpfen. Kein einfaches Unterfangen.

In Aserbaidschan eskalierte die Situation ein erstes Mal. In der Schlussrunde kommt Schumacher mit deutlichem Geschwindigkeitsüberschuss auf die Start- und Zielgerade und will an Mazepin vorbeigehen. Der aber verteidigt sich vehement, wechselt erst die Spur, als sich Schumacher für eine Seite entschieden hat. Der Deutsche geht vorbei, tobt aber im Cockpit: "Will er uns töten?" Die Szene sorgt teamintern für großen Wirbel. Schumacher ist stocksauer, während Mazepin höchstens eine halbherzige Entschuldigung über die Lippen kommt. In den nächsten Rennen kommt es immer wieder zu Zweikämpfen, in Silverstone sogar zu einer leichten Berührung. Im Hintergrund schwelt zudem ein Performance-Krieg. Mazepin kann es nicht fassen, dass er so viel langsamer als der Teamkollege ist. Bei keinem Team sind die Unterschiede im Qualifying so eklatant wie bei Haas. Nach zwei Drittel der Saison ist Schumacher im Schnitt mehr als neun Zehntel schneller. Der Russe führt das auf sein Chassis zurück. Das Monocoque, das aus der Vorsaison übernommen wurde, hat bereits zahlreiche Reparaturen hinter sich und ist schwerer als das von Schumacher. Teamchef Steiner spricht öffentlich von minimalen Unterschieden, doch Mazepin macht Druck. Das Team muss ein neues Monocoque backen lassen, das seit der zweiten Saisonhälfte im Einsatz ist. Mazepin lobt den Unterschied, merkliche Besserungen bei der Performance gab es aber nicht. Während Mazepin mit der Performance zu kämpfen hat und zu Beginn der Saison mit zahlreichen Drehern den Spott auf sich zog, sorgte Schumacher über die Saison hinweg für reichlich Karbonschrott. In Imola fuhr er sich im Rennen die Nase ab, in Monaco kollidierte er am Freitag und am Samstag heftig mit den Leitplanken, in Frankreich beschädigte er den Haas im Qualifying ordentlich, in Ungarn verpasste er zum zweiten Mal ein Qualifying nach einem Unfall im 3. Training. "Die Unfälle werden etwas häufiger und heftiger. Wir machen zu viele Fehler", ärgert sich Teamchef Steiner, fügt aber an: "Wir sprechen nicht im Plural. Nikita hat sich gut verhalten, er hatte zuletzt keine Schäden. Aber Mick hatte einige Unfälle." Mazepin kann sich im Interview einen Seitenhieb nicht verkneifen: "Ich denke, es ist besser, ein Auto fünf Mal zu drehen, als es einmal zu zerstören und eine Million zu zahlen."

Nikita Mazepin musste einige Kritik ertragen, Foto: LAT Images
Nikita Mazepin musste einige Kritik ertragen, Foto: LAT Images

Vollends eskalierte das Duell aber in Zandvoort. Am Samstag ist Mazepin auf 180, weil er sich von Schumacher verarscht fühlt. Der hatte ihn im Qualifying entgegen der eigentlichen Abmachung überholt. Das Team aber hatte Schumacher das Überholmanöver am Funk erlaubt, nachdem er eine schnellere Outlap fahren wollte, um die Reifen auf Temperatur zu bekommen. "Jeder hat immer den eigenen Vorteil im Sinne", nimmt Danner Schumacher in Schutz. "Deshalb ist es völlig legitim, dass er danach fragt. Dass man die Reihenfolge dann umgeworfen hat, fand ich vom Team sehr ungeschickt. Da müssen sie sich intern auch an den Ohren packen lassen." Am Sonntag dann die Revanche: Mazepin verteidigt sich ähnlich wie in Baku, Schumacher muss ausweichen und beschädigt sich seinen Frontflügel am Poller des Boxeneingangs. Diesmal bleibt Schumacher ruhig am Funk, reißt sich zusammen. Von nun an hat die Teamführung ein echtes Problem. Steiner gesteht nach dem Gespräch mit beiden: "Wir sind zu keinem Ergebnis gekommen." Während Mazepin sein Manöver als 'hartes Racing' verteidigt, tobt die Formel-1-Welt. "Dass man so lange wartet, bis der Gegner hinter einem ausschert und ihm dann vor die Karre fährt, ist eine Unart, die sich im Kartsport und in den Nachwuchsserien schon eingebürgert hat und jetzt in der Formel 1 angekommen ist", kritisiert Danner und fordert: "Das sollte bestraft werden." Bis zum Eingreifen der Rennleitung dauerte es noch eine Woche. Da drehte Mazepin Schumacher in Monza um und wurde bestraft. "Ganz und gar mein Fehler", zeigte sich der Russe einsichtig.

Mick Schumacher bescherte Haas einige teure Rechnungen nach Unfällen, Foto: LAT Images
Mick Schumacher bescherte Haas einige teure Rechnungen nach Unfällen, Foto: LAT Images

Besonders häufig kommt diese Einsicht von Mazepin nicht. Für Schumacher könnte das durchaus noch zum Problem werden. Denn als Streitschlichter hält Danner den Teamchef für ungeeignet. "Zu Grosjean oder Magnussen hätte er sagen können, dass er mit Gene Haas telefoniert hat, und einer von beiden am nächsten Wochenende nicht fährt, weil sie so einen Fahrer nicht im Team brauchen. Da tut er sich bei Mazepin schwer, weil der die ganze Firma am Laufen hält." Wortwörtlich nicht umsonst wurde der Bolide des US-amerikanischen Haas-Rennstalls in den russischen Nationalfarben lackiert. Uralkali, der russische Mineraldüngergigant von Vater Mazepin ist sogar Namenssponsor des Teams. Deshalb musste Nikita Mazepin trotz schwacher Leistungen nie um sein Cockpit zittern. Bis mindestens Ende 2022 dürfen - oder müssen - Schumacher und Mazepin noch ziemlich beste Feinde bleiben.

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