Lewis Hamiltons Sprint-Pole, die der Mercedes-Pilot am Freitag herausgefahren hatte, hing in Brasilien ganze 20 Stunden lang in der Schwebe, ehe die Stewards am Samstagnachmittag die Disqualifikation aussprachen und Hamilton damit auf den letzten Startplatz im Sprint-Qualifying zwangen.

Hamilton machte mit P5 im Sprint zwar viel vom Schaden wieder wett - aber als sich Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff danach der Presse stellte, sparte er nicht mit Kritik an den Regelhütern der FIA. Und fühlt sich so, als ob in den letzten 24 Stunden vonseiten der obersten Motorsport-Behörde neue Standards zur Anwendung kamen.

Zwar will Wolff keine Schuld dem Technischen Delegierten der FIA, Jo Bauer, oder anderen Einzelpersonen zuschieben. Aber seine Worte werden in den gut 30 Minuten am Samstagabend nur deutlicher: "Irgendwas änderte sich am Modus Operandi in diesen letzten 24 Stunden, und das kam entweder durch Druck von anderen Interessensgruppen, oder wurde einfach anders gehandhabt."

0,2 Millimeter Abweichung: Wolff sieht neuen Standard

Worüber sich Wolff aufregt: Der Disqualifikationsgrund sei nichtig. Um 0,2 Millimeter sei Hamiltons DRS zu weit offen gewesen, und auch nur auf der rechten Seite. Ein offensichtlicher Schaden an einem Flügel, der laut Wolff auch schon länger in Verwendung ist und mehrmals die Tests passierte. Auch vor dem Qualifying will Mercedes selbst getestet haben, und da sei noch alles in Ordnung gewesen. Also müsse der Schaden ohne ihr Wissen während dem Qualifying geschehen sein.

Lewis Hamilton kämpfte sich im Sprint zurück auf P5, Foto: LAT Images
Lewis Hamilton kämpfte sich im Sprint zurück auf P5, Foto: LAT Images

Wie der zustande kam, da hat Mercedes noch keine Antwort. Der Flügel wurde sofort von den Offiziellen beschlagnahmt, als die Untersuchung begann, und wird erst nach dem Wochenende herausgegeben: "Wir können die Schäden nicht über einen kurzen Blick hinaus evaluieren, den unser Nummer-Eins-Mechaniker Nathan hatte, während der Test durchgeführt wurde. Er kam zurück und sagte, es sei kaputt." Danach durften sie keinen Blick mehr darauf werden: "Keines unserer Argumente zählte."

"Es war eigentlich ein Performance-Nachteil", so Wolff, der auch darauf verweist, dass die FIA und die Stewards durchweg das verstanden hätten und in ihrer Argumentation so ausführten. "Dann lese ich von der Disqualifikation, und konnte es ehrlich gesagt nicht glauben."

"Es ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang", erklärt Wolff. "Bei einem minimalen Vergehen, einer Bagatell-Situation, das überhaupt an die Stewards weiterzuleiten. In den letzten Jahren wurde gesagt, bringt das in Ordnung, repariert das." Als Beispiel führt Wolff Mexiko an. Dort durfte Red Bull im Qualifying, also bereits unter Parc-ferme-Bedingungen, die Heckflügel noch einmal verstärken: "Beides ist Parc ferme. Da kannst du fragen, warum während, aber nicht nach der Session?"

"In der Vergangenheit gab es einen Hausverstand-Puffer, der war gestern weg", so Wolff. Kaum scheiterte der Mercedes am Test, wurde die Sache sofort an die Stewards weitergeleitet. Denen macht Wolff übrigens keinen Vorwurf: "Am Ende gibt es eine Technische Direktive, die beschreibt einen Test, und wenn du den nicht schaffst, ist es schwarz und weiß. Es hätte nie zu den Stewards gehen sollen."

Wolff kündigt Vergeltung an: Werden jedes Klebeband anschauen

Die Zeit des Hausverstandes ist in Wolffs Augen nun also offenbar innerhalb eines Wochenendes vorbei, und er kündigt an, daraus Konsequenzen zu ziehen: "Wenn der Modus Operandi jetzt anders ist, dann musst du vielleicht bei anderen genauer hinschauen. Ich kann euch sagen, in den nächsten Rennen werden wir uns jedes Klebeband anschauen, das runterfällt, und Fragen stellen."

Auf einen Einspruch vor dem International Court of Appeal der FIA verzichtete Mercedes trotzdem. Zu groß sei das Risiko, im Falle einer Niederlage auch das Sonntags-Ergebnis zu verlieren, und Wolff gibt ja freiheraus zu, dass der Flügel im streng ausgelegten Sinne des Reglements nicht legal war. Gegen die von der FIA angeführten Argumentationskette war ein Einspruch nicht zu gewinnen.