Begeisterungsstürme auf den trotz Corona-Pandemie mit zumindest 27.500 Zuschauern gefüllten Rängen in Runde zwei des Portugal Grand Prix 2020 der Formel 1: Als Carlos Sainz sich in Kurve fünf innen am Mercedes von Valtteri Bottas vorbeidrängelte, bedeutete das einen ungewöhnlichen Führungswechsel beim ersten F1-Rennen auf portugiesischem Boden seit 24 Jahren. Plötzlich führte mal kein Mercedes, sondern ein McLaren.

„Genau das braucht der Sport“, freute sich mit Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff selbst der Verlierer dieser Szene. Wohl auch, weil Bottas in Runde sechs einfach wieder am Spanier vorbeifuhr, der Finne gemeinsam mit Lewis Hamilton letztlich den gewohnten Doppelsieg einfuhr. Doch wie waren die glorreichen ersten Runden des Carlos Sainz in Portimao möglich?

Carlos Sainz relativiert: War nicht nur Reifen-Vorteil

„Ich habe den Regen gesehen und gedacht: ‚Lass’ uns die Chance nutzen!’ In der Formationsrunde habe ich besonderes Augenmerk darauf gelegt, die Reifen aufzuwärmen, weil ich wusste, dass es auf dieser Strecke ganz besonders knifflig werden würde, sie auf Temperatur zu bekommen“, berichtete Sainz. Das erwies sich als der alles entscheidende Schlüssel. „Das hat gut funktioniert, ich war mit den ersten paar Runden sehr zufrieden.“

Gegenüber den Mercedes-Fahrern und Leclerc verfügte der Spanier dabei allerdings auch über den Vorteil der weicheren Reifen am Start. Das allein sei allerdings nicht der Grund für seinen furiosen Auftakt gewesen, meint Sainz. „Ein paar Autos waren eben auf dem Medium, aber auch andere auf dem Soft. Ich denke, dass mir die paar zusätzlichen Grad des Soft-Reifen, die ich da in der Aufwärmrunde reingebracht habe, diese gute erste Runde beschert haben“, sagte der Spanier.

Seidl: Sainz hat gute Show geliefert

„Natürlich hatten wir mit den weichen Reifen auch einen Vorteil gegenüber den Jungs auf den Medium-Reifen, Mercedes und Charles“, bestätigte Teamchef Andreas Seidl. „Aber verglichen mit Verstappen, der auf Soft-Reifen war, hat Carlos eine gute Show geliefert und konnte innerhalb einiger Runden eine schöne Lücke reißen.“

Alexander Albon ließ Sainz gleich in der Startaufstellung stehen, verbesserte sich damit schnell von P7 auf P6. Der Ferrari von Leclerc war in Kurve eins über die Außenbahn ebenfalls fix kassiert. An Sergio Perez ging Sainz in Kurve vier per Freilos vorbei. Dort war der Mexikaner mit Max Verstappen kollidiert.

Sainz crasht fast in Hamilton

Nach einem Verbremser des Red-Bull-Piloten in Kurve fünf, behauptete sich Verstappen noch kurz vor Sainz, musste sich dem Spanier wenig später jedoch binnen weniger Meter genauso beugen, wie Lewis Hamilton im Mercedes. Dabei wurde es richtig brenzlig, fast knallte der McLaren dem Mercedes ins Heck. „Ich bin da fast in ihn hinein gecrasht, denn er hat so früh gebremst! Aber ich kann einfach außenherum fahren, kein Problem“, schilderte Sainz bei Sky Sports F1.

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Damit lag der McLaren-Pilot nach Runde eins auf Position zwei und erwartete bereits das Ende seines Sturms nach vorne. Sainz: „Dann sehe ich Valtteri und habe erwartet, dass er die Pace wieder anziehen würde - denn es hat nicht mehr geregnet.“ Doch es sollte reichen. Beim Anbremsen auf Kurve fünf zuckte Sainz kurz aus dem Windschatten, Bottas ging weit und der Spanier schlüpfte innen vorbei. Die Führung!

Sainz: Habe Bottas nervös gemacht

„An ihm dran habe ich versucht, meine Nase zu zeigen, damit er ein bisschen nervös wird, in die Spiegel schaut und den Scheitelpunkt leicht verpasst. Das hat mich in Führung gebracht, glaube ich“, schildert Sainz sein Manöver. Insgesamt habe er sich in der Frühphase des Rennens schließt wohler gefühlt als wohl alle anderen. Mit Ausnahme vielleicht von Kimi Räikkönen ...

„Solche Bedingungen genieße ich immer, ich versuche immer, sie zu umarmen statt sie zu fürchten. Denn manchmal wirst du da zu vorsichtig“, beschrieb Sainz seine Herangehensweise. „Ich war zufrieden damit. Mein Vater war damit sicher noch zufriedener als ich, denn er mag solche Bedingungen und liebt es, wenn ich bei solchen Bedingungen schnell bin!“

Sainz: Endlich auch mal Kreise um Mercedes gefahren

Genauso liebte es Seidl. „Natürlich waren das schöne Bilder, die wir zuhause für zusätzliche Motivation aufhängen werden, um weiter nach unserem Ziel, in den kommenden Jahren zurück an die Spitze der F1 zu gelangen, zu streben. Das hat uns einen netten Vorgeschmack gegeben, es war schön, ein paar Führungsrunden zu sehen“, sagte der Bayer.

Sainz unterdessen zieht besondere Befriedigung daraus, endlich auch einmal mit Mercedes Katz und Maus gespielt zu habe. „Um sie herum zu fahren, war eigentlich ziemlich leicht. Es war eigentlich kein richtig harter Kampf oder so. Ich bin einfach um sie herumgefahren wie sie sonst die meiste Zeit um uns herumfahren“, sagte der Spanier.

Graining-Achillesferse wirft McLaren zurück

Dass es sich um ein kurzes Vergnügen handeln würde, erwartete McLaren allerdings von Anbeginn: „Gleichzeitig war auch klar, dass wir uns auf unser eigenes Rennen konzentrieren mussten. Wir waren dann auch schnell zurück in jenem Kampf, in den wir gehören, zurück in der Realität“, sagte Seidl. Und die hieß: Graining.

Im weiteren Rennverlauf musste Sainz deshalb nicht nur die überlegenen Mercedes-Boliden und den Red Bull Verstappens überholen lassen, sondern sich auch noch dem Ferrari von Leclerc und dem AlphaTauri von Pierre Gasly beugen. „Es war eine Herausforderung mit der niedrigen Streckentemperatur und mit dem Regen, die Reifen ins richtige Fenster zu bekommen. Die Ferrari und AlphaTauri haben da einen viel besseren Job gemacht als wir“, berichtete Sainz.

„Heute hatten wir nicht mehr Pace. In den letzten Rennen hatten wir bei kühleren Bedingungen auf den Vorderreifen schon mit Graining zu kämpfen. Heute hatten wir selbst mit dem Medium, der ein viel besserer Reifen war als der Soft, noch Graining“, klagte der Spanier.

„Unser Auto neigt in der Kurvenmitte etwas zum Untersteuern, das beschädigt den linken Vorderreifen doch ziemlich“, erklärte der Spanier das Problem genauer. „Wir müssen weiter untersuchen, warum das so ist, denn heute hätten wir in einem normalen Rennen ohne Graining nach der Führung zumindest Vierter oder Fünfter werden können.“

Ein sechster Platz sollte besser schmecken

Genau deshalb überwiegt trotz des erfreulichen Auftakts unter dem Strich der Ärger. „Leider ging es heute nach hinten. Das schmeckt relativ schlecht nachdem ich das Rennen angeführt hatte, unter dem Strich sollte ein sechster Platz viel besser schmecken“, sagte Sainz. Immerhin gelang so das nach dem Eifel GP gleich nächste solide Ergebnis.

Sainz: „Ich habe jetzt einen fünften und einen sechsten Platz hintereinander geholt, das ist glaube ich fast das erste Mal, dass ich in dieser Saison zweimal in Folge gepunktet habe angesichts all der Probleme, die ich dieses Jahr hatte.“ Tatsächlich liegt der Spanier damit nicht allzu falsch. Punkte in Serie erzielte Sainz 2020 einzig gleich zu Saisonstart, als der Spanier beim ersten Tripleheader in Österreich und Ungarn immer in die Punkte fuhr.

Einen zweiten Dreiklang hofft der Spanier nun am kommenden Wochenende perfekt zu machen. Sainz: „Ich bin froh, da etwas Konstanz reinzubekommen und hoffe, es nach Imola mitzunehmen, um die WM am Laufen zu halten!“ Vor den letzten fünf Saisonrennen rangiert der Spanier im WM-Stand mit 59 Punkten auf Platz zehn. Teamkollege Lando Norris liegt mit nur sechs Zählern mehr gleich drei Ränge weiter vorne.