Mercedes ist in der Formel-1-Saison 2020 haushoch überlegen. Ein Sieg von Lewis Hamilton oder Valtteri Bottas ist deshalb nichts Besonderes mehr. Es ist Business as usual. Nur ein einziges Mal in dieser Saison wurden die Silberpfeile bei der Performance entthront, beim zweiten Silverstone-Rennen, das Max Verstappen gewann. In Monza hätte Hamilton ohne die Strafe locker gewonnen.

Und trotzdem war der Sieg in Portugal etwas Besonderes. Er war von einer anderen Dimension. Aber nicht von Mercedes, von Lewis Hamilton. Denn Valtteri Bottas überquerte die Ziellinie in Portimao 'nur' knapp zehn Sekunden vor Max Verstappen. Hamilton hingegen brummte seinem Teamkollegen 25 Sekunden auf, Verstappen sogar 35.

Es war die dominanteste Vorstellung der gesamten Saison. Dabei begann das Rennen alles andere als gut. Mercedes musste der Reifenwahl zunächst Tribut zollen. Bei den kühlen und sogar leicht feuchten Bedingungen am Rennstart dauerte es, bis die Silberpfeile die Medium-Pneus im richtigen Fenster hatten.

Hamilton und Bottas fielen auf die Plätze zwei und drei zurück. Es dauerte eine Weile, ehe sich das Rennen normalisiert hatte. Erst in Runde sieben führte das Mercedes-Duo das Feld wieder an, in Runde acht machte Verstappen daraus das übliche Führungs-Trio.

Startphase wird zum Desaster für Verstappen und Red Bull

Während Mercedes trotz DAS und dem Vorteil beim Aufwärmen der Reifen mit einer schwierigen Startphase rechnen konnte, war der Rennbeginn für Red Bull und Verstappen ein wahres Desaster. Denn die Bullen setzten am Start auf die Soft-Reifen. Genau aus diesen schwierigen Bedingungen wollte man Kapital schlagen.

Doch der Schuss ging unerklärlicherweise nach hinten los, Verstappen musste sich zunächst von beiden McLaren überrumpeln lassen. Und auch die Mercedes waren schneller. Dabei hatte der Niederländer den Temperatur-Vorteil: Während die Soft-Pneus schon ab 105 Grad Celsius optimalen Grip bieten sollen, brauchen die Medium-Reifen mindestens fünf Grad mehr.

Die ersten acht Runden konnte Verstappen davon überhaupt nicht profitieren. Und als er dann freie Fahrt hatte, machte sich der Nachteil der weichen Reifen bemerkbar: Das rot markierte schwarze Gold ließ viel zu schnell nach. Der Rückstand auf die beiden Mercedes-Piloten wurde von Runde zu Runde größer. Sogar Charles Leclerc im Ferrari konnte auf seinen Medium-Reifen einigermaßen mit Verstappen mithalten.

Als der Niederländer nach 23 Runden zum Reifenwechsel kam, war sein Rennen bereits gelaufen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 15 Sekunden Rückstand angehäuft. Red Bull sah, wie gut sich die Medium-Reifen verhielten und wechselte das Fahrzeug mit der Startnummer 33 auf die gelben Pneus.

"Sobald die auf Temperatur waren, war alles gut", erklärte Verstappen später. Tatsächlich aber war es auch damit nicht ansatzweise gut im Vergleich zu Hamilton, der in der Zwischenzeit die Führung von Bottas übernommen hatte. Im ersten Stint verlor Verstappen in 15 Runden freier Fahrt rund zehn Sekunden. Eine Welt, die sich aber mit der Reifenwahl erklären ließ.

Im zweiten Stint aber verlor Verstappen trotz Medium-Reifen deutlich. Auch mit den frischen Pirellis war er chancenlos, selbst als diese auf Temperatur waren. Hamilton fuhr auf seinen Startreifen noch immer deutlich schneller. In 16 Runden, in denen Verstappen auf frischen Mediums und Hamilton noch auf den alten Mediums fuhr, verlor der Niederländer weitere 6,5 Sekunden. Das entspricht auf deutlich besseren Reifen einem Verlust von vier Zehntelsekunden pro Runde.

Als Hamilton schließlich frische harte Reifen bekam, wurde die Geschwindigkeitsdifferenz wieder größer. Egal auf welchen Reifen, egal zu welcher Phase des Rennens: Verstappen konnte nie ansatzweise mit Hamilton mithalten. Dem geringsten Qualifying-Rückstand des Jahres folgte die bitterste Rennniederlage.

Hamilton zerstört Bottas in 46 Runden

Aber Hamilton demoralisierte nicht nur Verstappen, er brummte eben auch dem eigenen Teamkollegen 25 Sekunden auf. Und das in zwei Renndrittel. Denn bis Runde 20 führte Bottas sogar noch. Wie konnte der Finne, der das ganze Wochenende in Portimao dominiert hatte, in 46 Runden 25 Sekunden verlieren? Ohne Zwischenfall.

"Alles drehte sich um die Reifentemperaturen und das ist mir mit dem Setup gelungen, ich bin dem zuvorgekommen", erklärte Hamilton nach dem Rennen. Mercedes packte nach den Trainings am Freitag mehr Flügel aufs Auto - aber auch bei Bottas.

Der gab sich indes ratlos: "Leider weiß ich nicht, woran das gelegen hat - ich hatte einfach keine Pace. Ich habe natürlich versucht, mich gegen Lewis zu verteidigen, als er näherkam, aber es gab nichts, was ich dagegen hätte unternehmen können. Ich weiß nicht, wo meine Pace heute geblieben ist."

Hamilton lernt Strecke während des Rennens

Es war wohl eine Kombination aus zwei Faktoren: Lewis Hamilton und den Reifentemperaturen. Nachdem der bald siebenmalige Formel-1-Weltmeister zunächst mit dem Algarve Circuit zu kämpfen hatte, arbeitete er sich peu à peu an seinen Teamkollegen heran.

Nur die ersten 20 Runden konnte Bottas Hamilton die Stirn bieten, Foto: LAT Images
Nur die ersten 20 Runden konnte Bottas Hamilton die Stirn bieten, Foto: LAT Images

"In diesem Jahr ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass Lewis sich im Verlauf der Wochenenden gezielt steigert", meint Mercedes Motorsportchef Toto Wolff. "Er geht viel in sich, lernt viel, versteht die Reifen für das Rennen und er lag zu Beginn des Rennens in den ersten Runden in einer komfortablen Position. Dann legte er zu und hatte auf einmal eine unglaubliche Pace. Das hat er jetzt schon ein paar Mal so gemacht."

"Ich habe heute Runde für Runde mehr über die Strecke gelernt", gab Hamilton zu. "Ich habe viele verschiedene Linien ausprobiert und neue entdeckt - das hat gut funktioniert. Der Wind war auch sehr knifflig: Seitenwind, Gegenwind, Rückenwind. Es gab Stellen, an denen du den Wind für dich nutzen konntest."

Portimao ein Reifen-Sonderfall

Und dann ist da noch die Sache mit den Reifentemperaturen. "In 90 Prozent der Rennen geht es darum, dass die Reifen nicht zu heiß werden - hier war es andersrum", erklärt Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin. "Nach rund zehn Runden verlor Valtteri etwas an Temperatur in seinen Reifen, wodurch das Auto nicht mehr konstant war."

Oberflächentemperatur lässt sich schnell und einfach generieren, aber darum geht es nicht. Es geht um die strukturelle Erwärmung der Reifen. "Ich wurde durch das Rennen hinweg immer schneller und schneller - ich musste aber die Pace halten, um die Reifen auf Temperatur zu halten. Das war der echte Schlüssel", so Hamilton.

Das bedeutete, dass Hamilton sich nicht mit fünf Sekunden Vorsprung zufriedengeben konnte und das Rennen irgendwie nach Hause schaukelte. Stattdessen hielt er die Pace hoch, um die Reifen auf Temperatur zu halten. Gleichzeitig hatte Bottas einen höheren Reifenverschleiß, verlor damit Temperatur und damit auch Pace. Ein echter Teufelskreis, aus dem er nicht mehr herauskam. Der Überrundungsverkehr, mit dem er wieder mehr Probleme hatte als Teamkollege Hamilton, erschwerte die Sache zusätzlich.