Der Jubiläums-GP der Formel 1 begann wie erwartet: Vorne fuhren zunächst die beiden Mercedes davon, Max Verstappen bezog schnell die dritte Position. Damit hätte die Geschichte des zweiten Silverstone-Rennens auch schon erzählt sein können, doch schließlich kam es ganz anders.

Das Überraschende am Verstappen-Sieg: Kein Safety-Car, kein Unfall, kein VSC oder irgendein anderer Umstand halfen Red Bull. Mercedes wurde auf der Strecke geschlagen. Damit hätte wohl vor dem Rennen niemand gerechnet. Wie konnte das passieren? Und hätte Hamilton das Rennen ohne seinen zweiten Stopp gewinnen können? Die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse zu Jubiläums GP der Formel 1

Red Bulls Hard-Trick zieht am Silverstone-Start

Das erste Indiz, dass Silverstone II anders verlaufen könnte, gab es schon nach wenigen Runden. Verstappen musste nicht abreißen lassen, sondern blieb an den Mercedes dran. Von Runde zu Runde rückte er Hamilton sogar weiter auf die Pelle. Die Anweisung, das doch sein zu lassen, ignorierte Verstappen gekonnt: "Ich will nicht wie eine Oma fahren."

Als einziger Pilot in den Top-10 war Verstappen mit den harten Reifen ins Rennen gegangen, alle anderen waren auf Medium gestartet. Ein Vorteil, den Verstappen nun ausspielen konnte. Diesmal wollte er Mercedes nicht wieder davonfahren lassen.

Nach zehn Runden lag er sogar im DRS-Fenster von Hamilton. Weil Mercedes nun zunehmend Probleme mit den Medium-Reifen bekam, wurde der in Führung liegende Bottas in Runde 13 zum Stopp geholt. Der Finne bekam die harten Reifen aufgezogen.

Nur eine Runde später zog Lewis Hamilton nach. Verstappen führte das Rennen nun an. Den Grundstein für seinen Sieg legte jetzt Mercedes für ihn. Auf den frischen harten Reifen gasten Hamilton und Bottas nämlich richtig an. Beide fuhren einerseits gegeneinander und wollten gleichzeitig Verstappen im Fernduell Zeit abnehmen.

Da aber hatte Mercedes die Rechnung ohne die sensiblen Pirelli-Pneus gemacht: Hamilton und Bottas bezahlten den Preis für den schnellen Anfang des zweiten Stints sehr bald. Während sie in den ersten Runden Verstappen noch deutlich Zeit abnehmen konnten, brachen die Rundenzeiten der Silberpfeil-Piloten schnell ein - und lagen schnell über jenen von Verstappen.

Während Hamilton und Bottas jetzt langsamer wurden, wurde Verstappen schneller. In Runde 24 hatte Verstappen Hamilton bereits virtuell überholt, in Runde 26 auch Bottas.

Also holte Red Bull Verstappen an die Box, um ihm die Medium-Reifen aufzuziehen. Weil der Boxenstopp etwas länger dauerte, kam Verstappen knapp hinter Bottas wieder zurück auf die Strecke. Aber der 22-Jährige wusste den Vorteil seiner frischen Medium-Pneus auszunutzen und machte kurzen Prozess mit dem Mercedes-Piloten.

Verstappen drängt Mercedes in die Defensive

Von nun an war Verstappen nicht nur virtuell in Führung, sondern führte den Jubiläums-GP auch boxenstoppbereinigt an - und hatte dabei noch die deutlich frischen Reifen auf seinem Boliden. Das Blatt hatte sich gewendet, Mercedes war im Hintertreffen.

Immerhin konnte Bottas mit den älteren Hard-Reifen an Verstappen dranbleiben. Hamilton hingegen musste bereits abreißen lassen. Weil klar war, dass alle Piloten noch einmal zum Stopp kommen mussten, entledigte sich Red Bull dem Medium-Reifen schnell wieder, um einem möglichen Undercut von Bottas zuvorzukommen.

Formel 1, Verstappen schlägt Mercedes: Wie war das möglich? (11:39 Min.)

Mercedes reagierte und holte Bottas zeitgleich zum finalen Reifenwechsel an die Box. Ab Runde 32 waren Verstappen und Bottas auf identischen Reifen unterwegs. Vorteil Verstappen: Der Niederländer lag auf der Strecke weiterhin vor dem Mercedes-Piloten.

Damit war die erste Schlacht geschlagen: Bottas, der das Rennen angeführt hatte, lag nun mit gleichen Waffen hinter Verstappen. Nun konnte nur noch Hamilton das Blatt wenden. Doch der Brite hatte vor dem Boxenstopp von Verstappen und Bottas schon deutlich abreißen lassen müssen.

Verstappen unterbindet Hamiltons Einstopp-Versuch

Hamiltons Reifen erholten sich aber wieder. "Gegen Ende des Stints wurden sie besser, die Temperatur ist gesunken", erklärt Mercedes-Ingenieur Andrew Shovlin. Tatsächlich stabilisierten sich die Rundenzeiten des Weltmeisters.

Weil Mercedes den Reifensatz von Bottas nach dessen letzten Stopp analysieren konnte, wussten die Ingenieure, dass Hamiltons Reifen noch nicht an der Verschleißgrenze angekommen waren. Deshalb ließen sie den Briten weiter draußen.

An einem Punkt dachte Mercedes tatsächlich darüber nach, Hamilton nicht mehr zum Stopp zu holen. Auf seinen abgefahrenen Hard-Reifen verlor Hamilton kaum Zeit auf Verstappen, der mit frischen Hards unterwegs war. Der aber wurde von der Box angehalten, es nicht zu übertreiben - seine Strategen waren sich sicher, dass Mercedes noch einen Stopp machen würde.

Irgendwann wurde es Red Bull trotzdem zu heiß: Aus Angst, Hamilton könnte tatsächlich mit einem Stopp durchfahren, ließen sie Verstappen von der Leine. Plötzlich verlor Hamilton mehr als eine Sekunde pro Runde und Mercedes zog rechtzeitig die Notbremse.

In Runde 41 kam auch der Weltmeister noch einmal zum Reifenwechsel. Im Nachhinein lässt sich klar sagen: Die richtige Entscheidung. Verstappen legte nicht nur einen Zwischenspurt ein, sondern wurde auch ohne die Hamilton-Gefahr immer schneller. Selbst wenn Hamiltons Reifen nicht komplett eingegangen wäre, hätte Verstappen den Mercedes-Piloten noch vor dem Ziel abgefangen.

Blasen-werfende Mercedes-Reifen sorgten in Silverstone für Probleme, Foto: LAT Images
Blasen-werfende Mercedes-Reifen sorgten in Silverstone für Probleme, Foto: LAT Images

Mercedes: Besser Podium-Sicherheit als Einstopp-Risiko

Mercedes aber hatte zwei Ängste: Dass sich die Reifenschäden der Vorwoche wiederholen oder aber die Performance komplett einbricht. "Wenn das schiefgegangen wäre und er dann doch noch zum Stopp hätte kommen müssen, hätte er keine Zeit gehabt, Leclerc zu attackieren", erklärt Mercedes-Ingenieur Shovlin. "Wir mussten sowieso kommen und dann war es besser, das zu akzeptieren und es richtig zu machen."

Hamilton konnte nach seinem Stopp nicht nur an Leclerc vorbeigehen, sondern auch noch an Teamkollege Bottas. Für den Finnen verlief der GP deshalb besonders bitter: Eigentlich hatte er Hamilton im Griff. Doch weil die Strategie von Bottas auf Verstappen abzielte, verlor er am Ende sogar noch die Position gegen Hamilton.

Bei Bottas hatte sich Mercedes vom frühen zweiten Verstappen-Stopp reinlegen lassen. Deshalb war selbst der sonst so diplomatische Finne sauer auf sein Team: "Als Team haben wir an einem gewissen Punkt, als Max vorbeikam, geschlafen. Meine Strategie war weit entfernt von ideal. Wir hätten im zweiten Stint länger fahren können, so wie es Lewis auch gemacht hat, um gegen Rennende auf frischeren Reifen besser angreifen zu können."